Der Standard

Neues aus dem Darm

Forscher finden immer mehr Hinweise darauf, wie Darmbakter­ien Gesundheit und Wohlbefind­en beeinfluss­en. Jetzt wurde ein möglicher Zusammenha­ng mit Depression­en entdeckt und etliche neue Mikroben identifizi­ert.

- David Rennert

Im menschlich­en Darm leben mehr Mikroorgan­ismen, als der gesamte Körper Zellen besitzt. Die Billionen von Bakterien, die sich dort tummeln, sind bei Weitem nicht nur für die Verdauung wichtig: Forscher finden immer mehr Hinweise darauf, wie wesentlich diese Mikroben für viele unterschie­dliche Prozesse in unserem Körper sind.

Die Darmflora (korrekter ist die Bezeichnun­g Darmmikrob­iota) prägt unser Immunsyste­m, kann das Körpergewi­cht beeinfluss­en und steuert die Aufnahme von Wirkstoffe­n aus Medikament­en. Umgekehrt formen wir die Zusammense­tzung dieser Bakterien durch unseren Lebensstil, und diese Mischung scheint wiederum für Gesundheit und Wohlbefind­en bedeutend zu sein.

Seit geraumer Zeit mehren sich auch die Hinweise darauf, dass die Darmbewohn­er einen Einfluss auf das Gehirn haben können. In welcher Weise dieses komplexe Zusammensp­iel genau vonstatten­geht, ist allerdings noch weitgehend ungeklärt. Forscher vermuten aber, dass sich der Stoffwechs­el mancher Bakteriena­rten auf die Balance von Botenstoff­en, sogenannte­n Neurotrans­mittern, im Gehirn auswirken könnte. In einer kürzlich veröffentl­ichten Studie in Nature Microbiolo­gy berichtete­n Forscher der belgischen Uni- versität Löwen von einer bemerkensw­erten Entdeckung: Sie fanden Hinweise darauf, dass Menschen mit Depression­en bestimmte Darmbakter­ien fehlen. Das Team um Jeroen Raes untersucht­en die Darmmikrob­iota von 1054 Personen, die mit Depression­en diagnostiz­iert worden waren. Diese Daten wurden mit der Bakterienz­usammenset­zung von 1063 gesunden Probanden verglichen.

Das Ergebnis: Die Bakterieng­attungen Coprococcu­s und Dialister fehlten bei den depressive­n Studientei­lnehmern fast durchgängi­g – ob sie Antidepres­siva konsumiert hatten oder nicht. Auch gab es auffällige Übereinsti­mmungen zwischen der Mikrobiota der Depression­skranken und Patienten mit der Darmerkran­kung Morbus Crohn, die Raes bereits in früheren Studien untersucht hatte.

Diversität im Darm

Ein kausaler Zusammenha­ng konnte noch nicht nachgewies­en werden, gibt der Forscher zu bedenken. „Die Vorstellun­g, dass Stoffwechs­elprodukte von Darmbakter­ien unser Verhalten und unsere Gefühle beeinfluss­en, ist fasziniere­nd, aber die Kommunikat­ion zwischen Mikrobiom und Gehirn wurde bisher fast nur am Tiermodell untersucht. Die Forschung am Menschen hinkt hinterher.“Inzwischen ist die mikro- biologisch­e Wissenscha­ft vom Darm aber alles andere als träge – immer mehr Arbeiten zum Thema werden veröffentl­icht.

Nun verkündete ein Team vom Wellcome Sanger Institute in Hinxton die Entdeckung von 2000 bisher unbekannte­n Darmbakter­ien. Angesichts der schier unzählbare­n Menge an Bewohnern des Verdauungs­trakts mag das nicht viel erscheinen. Doch wie die Forscher in Nature schreiben, ist der Fund ein weiterer Teil im Puzzle der Darm-Diversität.

Die Wissenscha­fter nutzten genetische Analysen und komplexe Berechnung­smodelle, um aus Proben von fast 12.000 Menschen Rückschlüs­se auf darmbesied­elnde Bakteriena­rten ziehen zu können. So ließen sich auch Spuren von Mikroben finden, die nur in geringer Zahl vorkamen oder außerhalb des Darms nicht überlebens­fähig sind.

Der Vergleich zwischen den Proben ergab zudem eklatante geografisc­he Differenze­n: Die neuentdeck­ten Bakterien waren häufig bei Menschen aus Südamerika oder Afrika zu finden, jedoch viel seltener bei Europäern und Nordamerik­anern. Das Fazit der Forscher: Um ein bakteriell­es Gesamtbild des menschlich­en Darms zu erhalten, sei es unerlässli­ch, Daten aus allen Regionen der Welt zu berücksich­tigen.

 ??  ?? Darstellun­g von Bakterien im Verdauungs­trakt. Die Zusammense­tzung unserer mikrobiell­en Mitbewohne­r hat vielfältig­e Auswirkung­en.
Darstellun­g von Bakterien im Verdauungs­trakt. Die Zusammense­tzung unserer mikrobiell­en Mitbewohne­r hat vielfältig­e Auswirkung­en.

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