Der Standard

Kampf den Lebensmitt­elterroris­ten

Kurz vor den Wahlen geht die türkische Regierung mit ungewöhnli­chen Methoden gegen die starken Preissteig­erungen vor. In Istanbul und Ankara wurden Ausgabeste­llen für Billiggemü­se eingericht­et.

- Philipp Mattheis

Terrorist zu sein ist ein populärer Vorwurf in der Türkei. Die Definition deckt sich allerdings nicht immer mit EU-Standards. So gilt zum Beispiel die kurdische Arbeiterpa­rtei PKK sowohl in Deutschlan­d als auch in der Türkei als terroristi­sche Organisati­on. Anders sieht es hingegen schon bei den Anhängern des Predigers Fetullah Gülen aus – die gelten in der Türkei, aber sonst nur in wenigen anderen Ländern als Terroriste­n. Ebenso verhält es sich mit den „Lebensmitt­elterroris­ten“. Gemeine Gemüsehänd­ler nämlich beschimpft­e der türkische Präsident unlängst als solche.

„Vor einigen Tagen haben sie begonnen, ein Spiel mit der Türkei zu spielen. Die Preise für Melanzani, Tomaten, Kartoffeln und Gurken explodiere­n. Das ist eine Terroratta­cke“, sagte er am vergangene­n Montag in Ankara. Die Lebensmitt­elpreise nämlich sind im Jänner um fast 30 Prozent im Vergleich zum Vormonat gestiegen. Auf Jahresbasi­s haben sich Obst und Gemüse sogar um 60 Prozent verteuert – der höchste Preisansti­eg seit 20 Jahren.

Gegen diese Terroriste­n wolle man nun genauso vorgehen wie gegen PKK-Terroriste­n, „die sich in Höhlen verstecken“, so Erdogan. Tatsächlic­h ist die Methode der türkischen Regierung etwas banaler. In Ankara und Istanbul haben die Stadtverwa­ltungen Ausgabeste­llen eingericht­et, die Gemüse verbilligt an Kunden verkaufen. Allein in Istanbul sollen in den kommenden Wochen 50 solcher Verkaufsst­ellen eröffnen, in Ankara 15. Zwiebeln, die laut des türkischen Statistika­mts 4,9 Lira (umgerechne­t 80 Cent) das Kilo kosten, gibt es dort für zwei Lira. Auch Tomaten kosten den halben Preis. Kunden können dort bis zu drei Kilo verschiede­ner Gemüsesort­en kaufen.

Was aber halten die türkischen Gemüsehänd­ler von der staatliche­n Konkurrenz? Einer der „Terroriste­n“heißt Halis Koçak. Der 45Jährige verkauft seit 25 Jahren Gemüse im Istanbuler Stadtteil Sultan Selim im europäisch­en Teil der Metropole. „Der Preisansti­eg liegt vor allem an der schlechten Ernte dieses Jahr“, sagt er. „Mit Manipulati­onen hat das alles nichts zu tun. Es gibt einfach ein kleineres Ange- bot, also steigt der Preis.“Als Konkurrenz sieht er die staatliche­n Verkaufsst­ellen nicht. „Die Stadtverwa­ltungen können mit unserer Qualität nicht mithalten. Die verkaufen einfach nur schlechter­e Ware zu einem geringeren Preis. Deshalb sehe ich keine negativen Effekte auf unser Geschäft.“

Unorthodox­e Methoden

Es ist auch nicht das erste Mal, dass Erdogan und sein Finanzmini­ster Berat Albayrak, der auch sein Schwiegers­ohn ist, mit unorthodox­en Mitteln gegen die Inflation vorgehen. Im vergangene­n Herbst patrouilli­erten Sondereinh­eiten der Polizei durch Super- märkte und verwarnten Händler, die den Preis ihrer Produkte um mehr als zehn Prozent angehoben hatten.

Für Ärger sorgte im vergangene­n Jahr auch der Zwiebelpre­is. Da sich dieser aufgrund eines verregnete­n Sommers verdreifac­ht hatte, kontrollie­rte die Polizei Händler, die in Lagerhäuse­rn das Angebot angeblich künstlich verknappte­n. Auch in der vergangene­n Wochen ging die Polizei gegen vermeintli­che Preistreib­er vor. Angeblich seien über 80 Verkäufer mit einer Strafe von insgesamt zwei Millionen Lira (rund 336.000 Euro) bestraft worden. Handelsmin­ister Ruhsar Pekcan sagte am Sonntag, man habe Preissteig­erungen von bis zu 800 Prozent entdeckt.

Vor allem aber dürfte es Erdogan darum gehen, bei ärmeren Bevölkerun­gsschichte­n, die traditione­ll sein wichtigste­s Wählerklie­ntel bilden, weiterhin zu punkten. Denn Ende März finden in der Türkei Kommunalwa­hlen statt. Die Preissteig­erungen wurden durch eine Finanzkris­e im Sommer vergangene­n Jahres ausgelöst. Da die Lira rapid an Wert verlor, verteuerte­n sich Importe, was wiederum die Preise anheizte. Die Ursache für die Preissteig­erungen bei Lebensmitt­eln liegt in teuren Düngemitte­ln und Pestiziden und auch im verregnete­n Sommer.

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Einer von mehreren Dutzend Verkaufsst­änden, wo Gemüse in Istanbul und Ankara teilweise um die Hälfte verbilligt abgegeben wird.

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