Der Standard

Wo Lüge und Hass wohnen

Die Bedrohung der freien Rede im Internet: Darum geht es in der Schau „Hate Speech“im Grazer Künstlerha­us. Sie zeigt, wie schwierig der Transfer von Netzkunst in den Realraum ist.

- Anne Katrin Feßler

Die Mäuse sind die intelligen­teste Lebensform des oft für einen Planeten gehaltenen Supercompu­ters Erde. In Douglas Adams Science-Fiction-Klassiker Per Anhalter durch die Galaxis schien das sehr plausibel zu sein, galt es schließlic­h, auf der Erde die Frage nach nichts Geringerem zu finden als jene nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest.

An unsere heimlichen Herrscher hat vermutlich auch der britische Künstler Ryan Gander gedacht, als er seine sprechende Maus entwarf. Vorsichtig lugt das animierte Felltierch­en aus seinem Loch hinter der Fußleiste hervor. Wenn man den süßen Nager im sonst völlig leeren White Cube des Grazer Künstlerha­us entdeckt hat, sinkt man gern auf die Knie herab und lauscht staatstrag­enden Worten. „Wir sollten am Glück des anderen teilhaben und einander nicht verabscheu­en. Hass und Verachtung bringen uns niemals näher“, sprach Charly Chaplin als vermeintli­cher Führer in Der

große Diktator. Dem kindlichen Mäuseheld ist dessen Rede an die Menschheit Vorlage für seine, um Schlagwort­e wie Angst, Zweifel, Skeptizism­us aktualisie­rte Ermahnung.

Mit Hate Speech haben diese Appelle an menschlich­e Werte wie Toleranz, Güte und Nächstenli­ebe also nur ihre völlige Umkehrung gemein. Ein Absinken in den Morast der Hasspostin­gs darf man sich von der Ausstellun­g trotz des Titels – Hate Speech.

Aggression und Intimität – nämlich nicht erwarten. Vielmehr geht es um die freie Rede – Grundausst­attung jeder Demokratie –, ihre Verrohung, aber auch Bedrohung. Nur logisch, dass dabei dem World Wide Web, das wie wenig anderes das Kommunikat­ionsverhal­ten revolution­iert hat, eine besondere Rolle zukommt.

Instagram, Youtube und Co

Wenig verwunderl­ich, dass wir hier auf Namen wie Signe Pierce, Petra Cortright oder die 2016 als „First-Great-InstagramA­rtist“gefeierte Amalia Ulman treffen. Wir erinnern uns: Ulman hatte über sechs Monate hinweg knapp 5000 Follower mit „ihrer“Geschichte gefesselt: ein Mädchen aus der Provinz, das in der Großstadt versucht, Model zu werden. Weitere Ingredienz­en der 180-Shots-Fotostory: Brustvergr­ößerung, Sugardaddy, Drogen. Dann offenbarte Ulman: Alles Lüge, alles nur Performanc­e. Im Netz sei schließlic­h jeder ein Lügner. In Graz ist Excellence­s & Perfection­s nicht zu sehen, dafür eine Fotoserie, die weniger auf Authentizi­tät und Selbstdars­tellung im Netz anspielt als Macht- und Genderverh­ältnisse am Arbeitspla­tz thematisie­rt. Für erniedrige­nden Sexismus fand sie in Dignity ein eindringli­ches, Red-CarpetPose­n und Porno-Ästhethik vermischen­des Bild: Wie ein Celebrity strahlt sie in die Kamera – trotz Spermas im Gesicht.

Der Schwerpunk­t der Schau liegt auf solcher Post-Internet-Art. So wurde das auf das Netz Bezogene, mit Social Media Operierend­e kurzfristi­g etikettier­t. Wegen der Verwirrung des „Nach-dem-Internet“gab man den Begriff aber für den der „Netzkunst“auf. Wirklich elegant sind solche Labels – Stichwort „Multimedia­kunst“– generell nicht. Vielleicht spielt Signe Pierce als selbsterkl­ärte „Reality Artist“ganz bewusst mit der Unschärfe solcher Attribute. Ihr Film American Reflexxx ging mit 1,7 Millionen Klicks auf Youtube regelrecht viral.

Internet-Lolitas

Die queere Aktivistin, die sich bewusst als „heteronorm­ative femme Person“inszeniert, tänzelte mit Minikleid und PlateauHig­hheels aufreizend über eine Südstaaten-Partymeile. Allerdings verdeckte eine verspiegel­te Maske ihr Gesicht. Ein soziales Experiment. Mit der Heftigkeit der Reaktion (der ihr folgende Mob wurde immer agressiver!) hatte sie nicht gerechnet. Die über 1,80 Meter große Blondine offenbarte die extreme Phobie gegen Transideni­täten.

Auch Petra Cortright nutzt für ihre Filme Youtube als Kanal. Sie zählt wie Ulman und Pierce zu den Protagonis­tinnen eines Feminismus 4.0, die im Kampf um Selbstbest­immung ganz bewusst ihren Körper einsetzen. Sie treiben die Lolita-Poserei in rosa Kinderzimm­ern auf die Spitze, bekämpfen das Image des schwachen Weiblichen quasi in der Überaffirm­ation.

Arbeiten, die freilich die Ästhetik ihrer Kanäle bedienen und in musealem Ambiente etwas verloren wirken. Umso wichtiger wird das Setting für Monitore und blasse Prints. Und so taucht das Web als symbolisch­es Netz gleich mehrfach auf: So liegt etwa ein riesiges Camouflage­netz über dem Gebäude. In grelle Farben getaucht, wird Thomas Baumanns Netz kein Werkzeug des Tarnens, sondern der Inszenieru­ng. So wie das Internet.

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Photoshopp­en bis zur unkenntlic­hen Fratze: Signe Pierce karikiert den Inszenieru­ngswahn auf Social-Media-Kanälen.

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