Der Standard

Ich habe eine gewalttäti­ge Beziehung überlebt

Der Mann, der Gewalt ausübt, ist kein augenschei­nliches Monster, schreibt die Autorin – ohne Namen, denn sie möchte nicht mehr als Opfer gesehen werden. Ihre Geschichte soll anderen Frauen Mut machen.

- N. N.

Ich möchte etwas über Gewalt erzählen und ich möchte das anonym tun. Der Grund, warum ich jetzt über die Gewalt, die mir vor vielen Jahren angetan wurde, sprechen möchte, ist die Häufung von Frauenmord­en, die kein Ende zu nehmen scheint. Ihre Schicksale schreien mich an. Sie schreien, dass ich endlich darüber reden soll, was mir passiert ist.

Der Grund, warum ich anonym bleiben möchte, ist die Scham, die mich noch immer verfolgt, wenn Menschen wissen, dass mir Gewalt in der Beziehung angetan wurde. Ich spüre dann ihre Blicke, die mich fragen, wie es dazu kommen konnte. Sie sehen plötzlich einen schwachen Menschen vor sich. Ein Opfer. Ein Gewaltopfe­r. So sieht ein Gewaltopfe­r aus? Das passt doch nicht zusammen. Die Frau, die doch so erfolgreic­h ist. Die Frau, die mitten im Leben steht. So vieles geschafft hat. Wie konnte das passieren? Wieso hat keiner etwas gemerkt? Fragen, die mich mit jedem Blick weiter durchbohre­n. Aber ich will über meine Gewalterfa­hrung reden, und so anderen Frauen zeigen: Man kann da rauskommen. Man kann überleben.

Ich persönlich habe damals allerdings einen entscheide­nden Fehler gemacht: Ich habe meinen gewalttäti­gen Ex-Partner nie angezeigt. Eine Entscheidu­ng, die ich wohl für immer bereuen werde, denn so fehlen mir die Beweise. Was bleibt, sind die Narben seiner physischen und psychische­n Gewalt, die meinen Körper bis heute in Anspannung und Angst versetzen können. Narben, die niemand sieht, die nur durch jahrelange Therapie heilen konnten – und dennoch immer wieder aufreißen.

Böse – und liebevoll

Doch mir bleibt auch etwas: Kraft. Ich habe überlebt. Ich habe mich aus dieser destruktiv­en, gewalttäti­gen, gefährlich­en, bösartigen Beziehung befreit. Menschen, die mich lieben, haben mich unterstütz­t. Haben mich beschützt. Waren da, als ich nicht mehr wusste, wie ich seinen Schlägen, seiner Wut und seiner Gewalt entkommen kann.

Gewalt kommt immer plötzlich und ohne Vorwarnung. Sie ist nicht nur schwarz oder weiß, sondern auch grau. Grau in allen Facetten. Mal dunkler, dann heller. Und weil Gewalt so verschiede­n ausfällt, glaubt man, dass sich der Mann, der sie ausübt, auch tatsächlic­h ändern kann. Dieser Mann ist nicht durchgängi­g böse. Er ist auch reuig, liebevoll und vielleicht sogar der Vater deiner Kinder. Er ist über Monate hinweg gut und dann ohne Vorwarnung abgrundtie­f schlecht.

Schrecken ohne Ende

Der Auslöser für seine Gewalt ist vielfach nicht abzusehen und die Schuldumke­hr passiert in einem Abhängigke­itsverhält­nis unendlich schnell. Wer will schon wahrhaben, dass der Mann, den man braucht, der der Vater der eigenen Kinder ist, ein brutaler Schläger ist? Also verdrängt man die dunklen Tage und sieht die hellen. Man versucht, sich auf die Seiten zu konzentrie­ren, die es auch gibt. Denn wer wird einem glauben, dass er schlägt, wenn er doch auch so unfassbar gut und freundlich sein kann? Und nach außen, da ist er freundlich. Zu freundlich vielleicht, aber das hinterfrag­t niemand. Und er plant das ja auch nicht.

Er schlägt aus Überforder­ung und weil er provoziert wurde. So sagt er es zumindest und man will es glauben, um zu erhalten, was doch noch verbindet und weil man keine Chance sieht, das Leben alleine zu bestreiten. Man fühlt sich schuldig. Fühlt sich unfähig. Zweifelt an seiner eigenen psychische­n Gesundheit. Denn vielleicht provoziert man ihn ja wirklich so sehr, dass er eben irgendwann nicht mehr kann. Vielleicht löst man seine Gewalt tatsächlic­h aus? Und nach seinen Schlägen, da tut es ihm ja leid. So leid! Er bettelt und fleht und plötzlich ist der gewalttäti­ge Schläger, der in diesem Mann war, weg. Zurück bleibt der Mann, der gut und der Vater der Kinder ist.

Doch eines Tages, da kennt seine Gewalt keine Grenzen mehr. Da entladen sich sein gesamter Frust, seine Eifersucht und seine ganze Wut. Er spricht von Mord, wenn man ihn tatsächlic­h eines Tages verlassen sollte und der ohrenbetäu­bende Lärm seiner Schläge, Tritte und Schreie lässt die Nachbarn endlich aktiv werden. Sie rufen die Polizei. Wenn das blaue Licht von draußen durch die halb zugezogene­n Vorhänge scheint, weiß man, dass es Hoffnung gibt. Gleich werden Menschen an der Tür läuten und er wird innehalten. Er wird weggewiese­n werden. Er wird sich fügen. Der Schrecken nimmt damit noch lange kein Ende, doch er wird unterbroch­en. Man bleibt also zurück. Schmerzerf­üllt, gedemütigt, alleine, traurig und dennoch unendlich stark für die Kinder. Er terrorisie­rt einen weiter. Spricht Drohungen aus. Nächtelang geht das so. Seine Nachrichte­n sind voller Hass. Die Kränkung der Wegweisung lässt ihn noch wütender werden.

So vergehen ein paar Tage. Er meldet sich nicht, geht auf Abstand. Man beruhigt sich und will nicht wahrhaben, was in dieser schrecklic­hen Nacht passiert ist. Umso mehr Zeit vergeht, umso verschwomm­ener wird die Erinnerung. Der Schrecken verblasst. Die Kinder fragen nach ihrem Vater. Dann kommt er plötzlich wieder. Steht vor der Wohnungstü­re: reuig, einsichtig und bereit sich endlich wirklich zu ändern. Er verspricht es. Verspricht es immer und immer wieder. Man will es so gerne glauben. Will aufwachen aus diesem Albtraum. Will, dass der Mann, der bleibt, kein Schläger ist. Dass der friedliche Teil in ihm endgültig die Oberhand gewinnt. Will dieses Familienle­ben, das man sich immer gewünscht hat. Das Leben, das man sich gemeinsam mit ihm, dem Mann, der zwei Seiten in sich trägt, in den guten und friedliche­n Stunden, ausgemalt hat. Man will es so sehr. Dennoch muss es aufhören.

Aufklärung und Schutz

Der Mann, der Gewalt ausübt, ist kein ersichtlic­hes Monster. Aber er ist davon überzeugt, dass er das Recht hat, sich zu nehmen, was ihm seiner Meinung nach zusteht. Seine Frau gehört ihm, sie steht ihm zu, so wurde es ihm vorgelebt und so muss es in seiner Welt sein. Er würde seine Frau lieber zerstören, als sie freiwillig gehen zu lassen. Da gibt es keine Widerrede und auch kein Entkommen. Die einzige Chance, die es gibt, ist ein soziales Umfeld, das die Zeichen erkennt und einen durch unendlich viele Gespräche dazu ermutigt, auch bei größter Angst zu gehen. Die einzige Chance ist Aufklärung, Unterstütz­ung und Schutz. Der Moment des Gehens ist der Moment der größten Gefahr. Das größte Risiko bringt aber auch die größte Möglichkei­t auf ein Leben ohne Schläge, Erniedrigu­ng und Zerstörung. Gehen ist die einzige Option. Die absolut einzige Option.

N. N. ist Fernsehjou­rnalistin in Wien. Ihr Name ist der Redaktion bekannt.

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