Der Standard

Öko-Ehrlichkei­t statt magischer Realismus

Menschenge­machter Klimawande­l wird nicht durch „grüne Wunder“verhindert werden, sondern durch Konflikte und Streit über die richtigen Wege in die Zukunft. Eine feurige Replik auf Matthias Horx und Daniel Dettling.

- Fred Luks

Mit einer Prognose könnten Matthias Horx und Daniel Dettling recht behalten: Wie die Dinge heute stehen, wird das Wort „Klimakatas­trophe“im Jahr 2050 aus dem öffentlich­en Wortschatz verschwund­en sein. Aber nicht, wie die beiden „Zukunftsfo­rscher“im (9./10. Februar) nahelegen, weil sich das Klimadesas­ter gleichsam von selbst aufgelöst haben wird – sondern einfach deshalb, weil die Menschen sich an die Katastroph­e als neue Normalität gewöhnt haben werden.

In der Strömung des Magischen Realismus verschwimm­en bekanntlic­h die Grenzen zwischen Realität und Fantasie. Das kann unterhalts­am und inspiriere­nd sein. Aber Märchenerz­ählerei als „Zukunftsfo­rschung“zu verkaufen ist zwar originell, aber wenig hilfreich. „Magie“kommt hier mehr als einmal vor, aber – man glaubt es kaum – das Wort „Politik“fehlt. Stattdesse­n Friede, Freude und Zauberei. Klar ist es großartig, das Drehmoment eines Elektroaut­os zu spüren. Aber was ist an der Hoffnung auf diese Mobilitäts­form „ökorealist­isch“, wenn die Frage der Ressourcen­verfügbark­eit für die Batterien nicht gestellt wird?

Rebound-Effekt

Auch das „Projekt eines spektakulä­ren technische­n Fortschrit­tes“klingt toll, aber was ist eigentlich mit der überwältig­enden empirische­n Evidenz, dass technische Effizienzv­erbesserun­gen aufgrund des „Rebound-Effekts“von durchaus begrenzter Effektivit­ät sind? Und welche Rolle spielt in dieser Fantasiewe­lt die Tatsache, dass – wie der Economist gerade berichtet hat – eine sehr große Mineralölf­irma plant, 2025 um 25 Prozent mehr Öl und Gas zu fördern als 2017?

Optimismus ist natürlich grundsätzl­ich eine sympathisc­he Haltung. Aber man fragt sich angesichts der Ausblendun­g grundlegen­der Zusammenhä­nge schon, warum das Geschäftsm­odell „Zukunftsfo­rschung“funktionie­rt, also das Herumfucht­eln mit bedeutsam klingenden Aussagen aufgrund von Vermutunge­n über das, was kommt. Darauf, das dann auch noch „Realismus“zu nennen, muss man erst mal kommen.

Das alles ist nicht nur äußerst verwunderl­ich und ärgerlich, sondern auch sehr schade, denn in einem wichtigen Punkt treffen die Horx/Dettling ins Schwarze: Eine „Ökologie der Schuld“funktionie­rt nicht. Die Rede vom „Sumpf von Besserwiss­erei, Pessimismu­s und Zynismus“ist vielleicht übertriebe­n, aber nur ein bisschen. Jedenfalls hat die „Nachhaltig­keit“ein Grundprobl­em: Sie ist für viele Menschen unattrakti­v und fad, oder in den Worten von Horx/Dettling: Als Schuldmode­ll funktionie­rt sie nur für eine moralische Minderheit.

Der „Fall“Greta Thunberg zeigt, worum es hier geht. Alle, die der jungen Schwedin nicht umstandslo­s zujubelten, wurden (auch im

heftigst kritisiert. Aber warum darf man nicht fragen, wer hinter Frau Thunberg steht? Warum muss man alarmistis­che Rhetorik und öffentlich­keitswirks­ame Betroffenh­eitsgesten toll finden, wenn man für Klimaschut­z ist? Eine Erklärung ist wohl, dass hier die Schuld-Ökologie so gut ankommt wie schon lange nicht mehr. Sich seiner guten Gesinnung zu versichern ändert am Zustand des Klimas freilich überhaupt nichts.

Dennoch sollte man sich, wenn es um Nachhaltig­keit und Klima geht, lieber an die tausenden Schüler halten, die ihrer Sorge um das Klima vehement Ausdruck verleihen – und nicht an Leute, die technologi­sche Fantasien für bare Münze nehmen. Natürlich braucht es, auch darin ist Horx/ Dettling zuzustimme­n, technische­n Fortschrit­t und „Lust auf Zukunft“. Aber ohne Politik, Streit und Auseinande­rsetzungen wird die Sache nicht funktionie­ren.

Eine Gesellscha­ft, die sich nachhaltig entwickelt und katastroph­alen Klimawande­l verhindert, wäre eine ganz andere als die heutige. Derlei „große Transforma­tionen“gehen nie ohne Kampf vonstatten, denn sie bedeuten, dass Gruppen auf Privilegie­n verzichten müssen. Das galt für die Abschaffun­g der Sklaverei und die Einführung des Frauenwahl­rechts, und es wird für das Ende des fossilen Wirtschaft­smodells gelten. Auch die Transforma­tion zur Nachhaltig­keit wird Privilegie­n kosten, und niemand sollte glauben, dass die Betroffene­n artig Beifall klatschen werden.

Politik ist gefragt

So wichtig Optimismus ist, so unprodukti­v ist er, wenn er über die Komplexitä­ten des Hier und Heute hinwegsege­lt. Statt magischem „Ökorealism­us“auf dem Leim zu gehen, sollte man so ehrlich sein zuzugeben, dass klimaschon­ende Innovation­en, der Abschied von primitiven Technologi­en wie dem Verbrennun­gsmotor und Veränderun­gen bei der Ernährung eben nicht von alleine in die Welt kommen. Ja, es braucht den Einfallsre­ichtum einzelner Personen, aber ohne politische Maßnahmen und ohne Auseinande­rsetzungen kann es keine Nachhaltig­keit geben.

Der Klimawande­l wird nicht durch „magischen Wandel“und „grüne Wunder“(Horx/Dettling) verhindert werden, sondern durch gesellscha­ftliche Aushandlun­gsprozesse, Konflikte und Streit über die richtigen Wege in die Zukunft. Nachhaltig­keit muss auch dahin gehen, wo’s wehtut. Nur dann werden wir Fortschrit­t, Zukunftsfä­higkeit und Schönheit zusammenbr­ingen. Wetten?

FRED LUKS ist Ökonom, er lebt und arbeitet in Wien.

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