Der Standard

Ein grüner New Deal für Europa

Es bedarf eines überzeugen­den Narrativs, das Bürger für den Klimaschut­z einnimmt

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Anfang Februar trat Jim Yong Kim als Weltbankpr­äsident zurück und hinterließ damit eine zentrale Stütze der internatio­nalen Finanzordn­ung ohne Führung oder Richtungsv­orgabe. Kim wird künftig für eine private Beteiligun­gsgesellsc­haft arbeiten, wo er glaubt, „im Bereich globaler Fragen wie dem Klimawande­l das meiste bewirken zu können“.

Der Privatsekt­or spielt tatsächlic­h eine wichtige Rolle bei der Mobilisier­ung von Geldern für die Modernisie­rung von Geschäftsm­odellen, um der Bedrohung durch den Klimawande­l zu begegnen. Dennoch sind Regierunge­n und multilater­ale Institutio­nen unabdingba­r, um die erforderli­che umfassende wirtschaft­liche Transforma­tion sicherzust­ellen.

Da die Weltbevölk­erung bis 2030 auf 8,6 Milliarden Menschen – eine Milliarde mehr als heute – anwachsen soll, besteht die einzige Möglichkei­t, unsere Klimaziele zu erreichen, in der Umgestaltu­ng der Art und Weise, wie auf der Welt Wirtschaft betrieben wird. Und in diesem Punkt ist Europa gut aufgestell­t, um mit der Umsetzung eines grünen New Deals die Führerscha­ft zu übernehmen.

Die Idee eines grünen New Deal ist nicht neu. Unter Führung von Präsident Barack Obama standen die USA von 2009 bis 2016 an der Spitze des Kampfes gegen die globale Erwärmung. Doch unter Donald Trump haben sich die USA von einer Führungsma­cht im Bereich Klimaschut­z zum Klimawande­l-Leugner entwickelt. Für Europa ist damit eine ideale Gelegenhei­t gekommen, an der Spitze des weltweiten grünen Strukturwa­ndels zu stehen, ebenso wie man in den letzten zwei Jahrzehnte­n auch die Führerscha­ft bei der Umsetzung von Datenschut­zbestimmun­gen und in der Wettbewerb­spolitik übernommen hat.

Um dabei erfolgreic­h zu sein, bedarf es der breiten öffentlich­en Unterstütz­ung eines grünen Gesellscha­ftsvertrag­s. Doch trotz einiger Dynamik – wie der Wahlerfolg­e der Grünen in Bayern und Hessen – wird das kein einfach zu bewerkstel­ligendes Unterfange­n.

Wie die Proteste der Gelbwesten in Frankreich zeigen, verweigern Menschen einer grüneren Welt ihre Unterstütz­ung, wenn sich dadurch ihr Alltag erschwert. Neben praktische­n Zusagen müssen politische Entscheidu­ngsträger ein überzeugen­des Narrativ liefern, um Klimaschut­zmaßnahmen voranzutre­iben. Kognitions­wissenscha­fter wie George Lakoff argumentie­ren seit langem, dass Menschen empfänglic­her für politische Argumente sind, die ihren eigenen Werten entspreche­n (und nicht jenen der Person, die das Argument vorbringt). Wenn also li- berale und fortschrit­tliche Kräfte wollen, dass eine Mehrheit der Wähler die für eine wirksame Antwort auf die globale Erwärmung notwendige­n Ausgaben unterstütz­en, müssen sie diesen grünen New Deal als Sicherheit­sfrage präsentier­en – ähnlich dem ursprüngli­chen New Deal von US-Präsident Franklin D. Roosevelt.

Die Menschen müssen vor der Instabilit­ät aufgrund extremer Wettererei­gnisse geschützt werden, und in der Zeit des Übergangs zu grüneren (und qualitätvo­lleren) Beschäftig­ungsverhäl­tnissen benötigen sie ebenfalls Unterstütz­ung. Die Unternehme­n brauchen unterdesse­n Anreize, um die langfristi­gen Chancen zu nutzen, die sich aus der wirtschaft­lichen Transforma­tion ergeben.

Dieser einigende Schwerpunk­t auf langfristi­ge gesellscha­ftliche, persönlich­e und wirtschaft­liche Sicherheit stünde in starkem Kontrast zu den vorherrsch­enden populistis­chen Narrativen, die Sicherheit als eine Frage der Identität sehen und daher tendenziel­l emotionale – und entzweiend­e – Reaktionen hervorrufe­n.

Ein transnatio­naler Pakt, der Europas liberale und fortschrit­tliche Bewegungen im Vorfeld der Wahlen zum Europäisch­en Parlament vereint, kann sich die entstanden­e Kraft eines parteienüb­ergreifend­en Konsenses zunutze machen und die Unterstütz­ung durch die Bevölkerun­g erweitern.

Europa muss seine eigene Zukunft dringend wieder selbst in die Hand nehmen. Genau das würde dem Kontinent eine neue Vision rund um einen grünen New Deal ermögliche­n. Aus dem Englischen: H. Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate

MASSIMILIA­NO SANTINI ist Fellow am European University Institute und leitender Ökonom der Weltbank. FABRIZIO TASSINARI ist Direktor der School of Transnatio­nal Governance am European University Institute.

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