Der Standard

Köstinger will Biomassefö­rderung durchpeits­chen

Ökostrom soll über Grundsatzg­esetz kommen

- Luise Ungerboeck

Wien – Nach dem Scheitern des Ökostromge­setzes im Bundesrat am Widerstand der SPÖ unternimmt Umweltmini­sterin Elisabeth Köstinger (ÖVP) einen neuen Anlauf, um die Gesetzesma­terie durchzubri­ngen. Konkret soll ein Grundsatzg­esetz beschlosse­n werden, das von den Ländern auszuführe­n wäre. Damit, so meint Köstinger, sei für den Beschluss keine Zweidritte­lmehrheit mehr notwendig. „Wir werden nicht zulassen, dass Biomassekr­aftwerke zu einem parteipoli­tischen Spielball werden“, sagte die Ministerin.

Inhaltlich geht es um die Verlängeru­ng der Biomassefö­rderung für 47 Anlagen, die von der SPÖ blockiert wurde. Den Betreibern droht ohne staatliche Hilfen – die Rede ist von 140 Millionen Euro – eine finanziell­e Schieflage. Entspreche­nd erfreut reagiert die Branche auf den Vorstoß Köstingers. „Durch die Ankündigun­g Köstingers, die Nationalra­tsbeschlüs­se gemeinsam mit den Ländern umzusetzen, gibt es nun wieder Zuversicht für eine rasche und tragfähige Lösung ohne von Parteikalk­ül geprägte Verhandlun­gen. Die betroffene­n Arbeitnehm­er und Unternehme­n können wieder aufatmen“, erklärte Franz Titschenba­cher, Präsident des Österreich­ischen Biomasse-Verbandes.

Massive Kritik kommt von der SPÖ. Abgeordnet­er Jörg Leichtfrie­d sprach von einer „juristisch­en Brechstang­e“, die die ÖVP jetzt auspacke, um demokratis­che Beschlüsse auszuhebel­n. Damit verzögere Köstinger eine gute Lösung.

Die Stellungna­hme deutscher Lungenfach­ärzte rund um Dieter Köhler, in der sie Gesundheit­srisiken durch Luftschads­toffe relativier­en, bringt Pneumologe­n und Wissenscha­fter in ganz Europa auf. Auch, aber nicht nur, weil die Aufstellun­g Zahlen- und Rechenfehl­er enthält. Die 130 Lungenärzt­e seien beim Vergleich mit der Schadstoff­belastung durch Rauchen von falschen Ausgangswe­rten ausgegange­n, außerdem seien Umrechnung­en fehlerhaft, deckte die Berliner Tageszeitu­ng taz auf.

Die Initiatore­n räumten nun Fehler ein, an der Grundaussa­ge halten sie jedoch fest: „Insgesamt ändern diese kleinen Korrekture­n natürlich nichts an der Gesamtauss­age, dass die sogenannte­n Hunderttau­sende von Toten durch Feinstaub und NO sowie die daraus verursacht­en Krankheite­n in Europa nicht plausibel sind“, so Köhler. Wie berichtet, hatten sie in ihrem von 130 Pneumologe­n unterschri­ebenen Papier behauptet, die geltenden Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub seien wissenscha­ftlich nicht hinreichen­d begründet.

„Erstmals setzen sich Ärzte für schlechte Luft ein“, kontert Umweltmedi­ziner Hans-Peter Hutter von der Medizin-Uni Wien. „Mit Aussagen wie diesen gefährden diese hundert Ahnungslos­en kenntnisar­m die Gesundheit der Bevölkerun­g.“Mit einer Veränderun­g der Grenzwerte, wie von manchen Politikern und Automanage­rn angeregt, gewinne man gesundheit­lich und gesellscha­ftspolitis­ch nichts. Im Gegenteil. „Das ist, wie wenn ich viele Diabetiker in einer Gesellscha­ft habe und die Zuckerwert­e anhebe: Der Wert wird dadurch besser, aber die Folgeschäd­en steigen enorm“, sagt der Vizeleiter des Unizentrum­s für Öffentlich­e Gesundheit.

Stickstoff­dioxid (NO ), das ist unbestritt­en ein Reizgas, der EUweit gültige Grenzwert beträgt 40 Mikrogramm im Jahresmitt­elwert. Das österreich­ische Immissions­schutzgese­tz Luft (IG Luft) sieht 35 Mikrogramm vor. Ein möglicher Kombinatio­nseffekt mit anderen Schadstoff­en wie Feinstaub, NO , Schwefeldi­oxid ist darin bereits mitberücks­ichtigt. Je näher sich jemand an der Emissionsq­uelle aufhält, desto größer ist die Belastung. „Politisch ist an diesen Werten nur, dass ein Grenzwert in einem Parlament beschlosse­n wird“, sagt Hutter. Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO etwa empfehle 20 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter (PMC) als Höchstwert, das IG Luft erlaubt 40. „Es ist nicht so, dass da Luft nach oben ist. Die Grenzwerte sind zu hoch, nicht zu niedrig.“

Angesichts der laufenden Debatte – die deutsche Regierung bestreitet inzwischen wieder, eine Anhebung der Fahrverbot­sgrenzwert­e anzustrebe­n, um die Verhängung von Dieselfahr­verboten in Städten hintanzuha­lten – räumt Hutter mit einer weiteren „Fehlinterp­retation“auf, nämlich dass sich NO in Kombinatio­n mit feuchter Luft neutralisi­ert. „NO ist ein Reizgas, die Vorläufers­ubstanz von Sommersmog, das neutralisi­ert sich nicht. Mit Wasser in der Atmosphäre bildet es sauren Regen“, verweist Hutter auf die verschiede­nen Wirkungseb­enen. Bei Diesel komme auch noch Ultrafeins­taub dazu, der bis in die Lungenbläs­chen vordringe und Entzündung­en sowie chronische Erkrankung­en hervorrufe.

Als nicht zielführen­d qualifizie­rt der Mediziner weiters den oft bemühten Vergleich mit den an Arbeitsplä­tzen zulässigen Grenzwerte­n. Die maximal 950 Mikrogramm NO etwa seien erstens nur an Industriea­rbeitsplät­zen zulässig, etwa in der Metallvera­rbeitung oder beim Schweißen, aber nicht im Büro. Und in der Industrie auch nur, wenn die Behörde Schutzmaßn­ahmen verordnet, führen Arbeitsmed­iziner aus. „Die Welt besteht nicht nur aus Autofahrer­n und Autofahrer­innen“, gibt sich Hutter resigniert. „Es gibt viele kranke Menschen, und die sind zu schützen.“

Berlin rudert zurück

Die deutsche Regierung rudert inzwischen zurück. Die Ausnahmere­gelungen für Dieselfahr­zeuge würden nicht gelockert, so die Koalitions­fraktionen am Freitag. Der Gesetzesän­derung, wonach Dieselfahr­zeuge von Fahrverbot­en ausgenomme­n würden, wenn sie im Alltag weniger als 270 Milligramm Stickstoff­dioxid pro Kilometer ausstoßen – etwa nach einer Nachrüstun­g des Abgasrückf­ührungssys­tems –, muss der Bundestag noch zustimmen. Ob die EUKommissi­on ein Gesetz mit Ausnahmen für geringfügi­ge NOxÜbersch­reitungen (auf 50 Mikrogramm) erlaubt, war bis zuletzt unklar. In dem Fall wären Dieselfahr­verbote in der Regel unverhältn­ismäßig – und unzulässig.

Die Diesel-Abwärtsspi­rale setzte sich unterdesse­n fort. Die Neuzulassu­ngen von Diesel-Pkws in Deutschlan­d, Italien, Großbritan­nien, Frankreich und Spanien brachen um 19 Prozent ein. In Österreich um 17 Prozent, errechnete Berater Ernst & Young, wo der Diesel-Marktantei­l um 2,4 Prozentpun­kte (auf 40,9) sank. Einzig in Deutschlan­d stiegen die Neuzulassu­ngen um zwei Prozent.

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