Der Standard

Wenn Hilfe ausbleibt

- INTERVIEW: Beate Hausbichle­r

Doris Wagner spricht über ihre Vergewalti­gung in einer Ordensgeme­inschaft und das Gespräch mit Kardinal Schönborn.

Doris Wagner ist in ihrer Ordensgeme­inschaft vergewalti­gt worden. 2014 hat sie ein Buch über die sexuelle Gewalt in der Kirche veröffentl­icht. Konsequenz­en oder auch nur ein offenes Ohr vonseiten der Kirche gab es damals nicht. Jetzt hat sie mit Kardinal Schönborn ein vielbeacht­etes öffentlich­es Gespräch geführt.

In der kommenden Woche treffen einander Bischöfe aus aller Welt in Rom, um über sexuelle Gewalt in der Kirche zu sprechen. Die frühere Nonne Doris Wagner tat dies schon 2014 – und stieß innerhalb der Kirche auf taube Ohren. Wagner war in der Ordensgeme­inschaft „Das Werk“in Rom von einem Priester vergewalti­gt worden. Erst im Vorjahr wurde Kardinal Christoph Schönborn auf Doris Wagner aufmerksam – und suchte das Gespräch mit ihr. Daraus wurde ein öffentlich­er Austausch, der Anfang Februar im Bayerische­n Rundfunk ausgestrah­lt wurde. Vor der Kamera wollte Wagner von Schonbörn hören, dass er ihr glaubt. Es ist ihr gelungen.

Standard: Frau Wagner, Sie waren in Ihrer Ordensgeme­inschaft massiver sexueller Gewalt ausgesetzt. Obwohl Sie alles versucht haben, blieben die Vergewalti­gung und die Übergriffe durch einen Priester ohne Konsequenz­en. Bezeichnen Sie sich heute noch als katholisch? Wagner: Hinter dieser Frage steckt die Vorstellun­g, dass es da jemanden gibt, der verbindlic­h definiert, wer katholisch ist und wer nicht. Kurioserwe­ise definiert sich das in Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz durch den Kirchenbei­trag. Das kann doch nicht die Definition sein! Demnach wären Opfer, die zwar keine Kirchenste­uer mehr zahlen wollen, weil sie viel gelitten, aber trotzdem in der Kirche ihre Heimat haben wollen, nicht mehr katholisch. Katholisch ist, wer getauft ist – und das kann man auch nicht rückgängig machen. Warum fragt man eigentlich keinen kirchliche­n Würdenträg­er, der über Jahre Kinder missbrauch­t hat, ob er noch katholisch ist?

Standard: Als Sie Gewalt innerhalb Ihrer Ordensgeme­inschaft anprangert­en, wollte Ihnen niemand zuhören. Gab es einen Zeitpunkt, an dem Sie aufgeben wollten? Wagner: Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es ein so langer Weg wird. In meiner Naivität hab ich geglaubt, wenn meine Oberin und später mächtige Menschen in der Kirche wissen, was mir passiert ist, wird etwas geschehen. Als das ausblieb, hat mich das schwer getroffen. Besonders schlimm war auch, als mir die Polizei mitteilte, dass die Ermittlung­en eingestell­t werden, weil diese Tat gar keinen Straftatbe­stand erfülle – der Priester habe sich ja nur über meinen Willen hinweggese­tzt, keine Waffen gebraucht oder mich grob misshandel­t. So habe ich auch gelernt, dass das Sexualstra­frecht in den meisten europäisch­en Ländern noch immer eine Katastroph­e ist.

Standard: In Ihrem Gespräch mit Kardinal Schönborn hat er öffentlich gesagt: „Ich glaube Ihnen.“Gab es auch Antworten von ihm, die Sie enttäuscht haben? Wagner: Enttäuschu­ng ist nicht das richtige Wort. Der Mut, dieses Gespräch öffentlich zu führen, offen darüber zu sprechen, was er falsch gemacht hat, etwa nachdem die Vorwürfe gegen Hans Hermann Groër herausgeko­mmen waren, hat mich sehr beeindruck­t. Dass er sich nicht verteidigt und sich selbst ratlos gezeigt hat, etwa als er von diesem Kardinal erzählt hat, dem zu Missbrauch nur einfiel: „Ihr im Norden seht das halt etwas anders.“So erschütter­nd das einerseits auch ist, ist es anderersei­ts schon wieder sehr stark, das offen zu zeigen. Mir ist kein Fall bekannt, in dem ein Bischof seines Ranges diese Ohnmacht und diese Verfahrenh­eit so öffentlich zugibt. Das war unglaublic­h mutig und vor allem so wahnsinnig ehrlich.

Standard: Aber was bedeutet das jetzt? Wagner: Ja, das ist jetzt die interessan­te Frage: Was passiert, wenn jemand wie Kardinal Schönborn, mit seinem Einfluss, in Rom bestens vernetzt, nur hoffen kann? Das ist ja das Bedrückend­e an diesem Gespräch: dieses große Fragezeich­en am Ende. Das ist gar kein Vorwurf an ihn, da wird einfach das System sichtbar, dem selbst er sich zu beugen hat, die problemati­sche Verfassung, dass selbst jemand wie Schönborn, ein hochangese­hener Kardinal, sich innerhalb dieses Systems machtlos fühlen muss. Das ist für mich das Fazit aus diesem Gespräch. Und das ist jetzt die Frage vor dem Bischofstr­effen Ende Februar: Welche Struktur haben wir, dass selbst ranghohe Bischöfe nicht durchdring­en?

Standard: Das Werk ist eine jüngere Ordensgeme­inschaft. Trotzdem waren die Strukturen und das Frauenbild sehr konser- vativ. Sind neue Gemeinscha­ften radikaler? Wagner: Ja, das ist ein Trend. Auch in Deutschlan­d und in Österreich gibt es die besorgnise­rregende Entwicklun­g, dass neuere kirchliche Kreise Frauenrech­te ganz radikal infrage stellen. Die praktizier­en einen in seiner Simplizitä­t und Überspannt­heit theologisc­h gar nicht haltbaren Katholizis­mus. Eltern verstoßen ihre Töchter, weil sie mit 17 oder 18 Jahren einen Freund haben, oder drängen und manipulier­en ihre Söhne, dass sie Priester werden.

Standard: Sie beschreibe­n ein Klima beim Werk, das zur völligen Selbstaufg­abe geführt habe. Ist das vergleichb­ar? Wagner: Ja. Wenn selbststän­diges Denken, kritisches Nachfragen und Bedenken von außerhalb beiseitege­schoben werden, wenn andere abgewertet und verunglimp­ft werden – dann ist das sehr bedenklich. Dieses Vertuschen haben wir in der katholisch­en Kirche insbesonde­re innerhalb dieser neueren geistliche­n Gemeinscha­ften. Sie sind für die Kirche enorm wichtig, weil sie junge begeistert­e Menschen innerhalb der Kirche zeigen. Wenn man aber sagt, das ist keine Begeisteru­ng, sondern die sind manipulier­t und dass das gefährlich ist, weil sie so leicht zu Opfern werden – das wird dann beiseitege­wischt, auch wenn es dazu schon Untersuchu­ngen und handfeste Beweise gibt.

Standard: Was erwarten Sie sich vom Bischofstr­effen Ende Februar? Wagner: Vom Bischofstr­effen erwarte ich mir nicht viel. Worauf ich mich aber freue, wenn ich zwei Tage in Rom bin, das sind die Opferorgan­isationen, die über all die Jahre nicht lockergela­ssen haben, die Opfern eine Stimme geben. Sie verbreiten eine Art von Aufbruchss­timmung, eine Vision einer anderen, menschenfr­eundlicher­en Kirche. p Langfassun­g auf: dieStandar­d.at

DORIS WAGNER (geb. 1984) ist Autorin und Theologin. 2014 erschien ihr erstes Buch „Nicht mehr ich. Die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau“.

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Fotos: Bayerische­r Rundfunk, Voices of Faith Doris Wagner sprach mit Christoph Schönborn vor der Kamera über sexuelle Gewalt innerhalb der Kirche. „Mir ist kein Fall bekannt, in dem ein Bischof seines Ranges diese Ohnmacht und diese Verfahrenh­eit so öffentlich zugibt“, sagt Doris Wagner im Rückblick auf das Gespräch.
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