Anders gefragt
AUA-Chef Alexis von Hoensbroech führt friedliche Zeiten auch aufs Reisen per Flugzeug zurück. Der Astrophysiker über die Zukunft der AUA, seine Faust’sche Neugier, Sterne und den Zusammenhang zwischen Dirigieren und Führen.
AUA-Chef und Astrophysiker Alexis von Hoensbroech über das Gute am Fliegen, Cellospielen und das Universum.
Standard: Sie sind Astrophysiker. Stimmt es, dass wir alle aus Sternenstaub sind? Von Hoensbroech: Das ist korrekt.
Standard: Ich finde das sehr schön, Sie als Exwissenschafter sehen es pragmatischer? Von Hoensbroech: Diese Vorstellung ist faszinierend. Der Blick in Sterne und Vergangenheit zeigt einem auch die großen Relationen. Es lässt einen manchmal erschaudern, wenn man sieht, wie klein die Erde ist, wie klein die Menschen sind und wie groß das Universum ist.
Standard: Das sollte man öfter bedenken. Von Hoensbroech: Könnte helfen. Aber andererseits ist es auch eindrucksvoll, dass in einer so lebensfeindlichen Umgebung wie dem Universum so etwas Großartiges und Schönes wie die Erde entstehen kann. Auch nicht selbstverständlich.
Standard: Machen Sie sich Sorgen um das Überleben der Erde, Stichwort Klima? Von Hoensbroech: Das Risiko ist da, dass die Menschheit ihren Planeten unbewohnbar macht. Es könnte aber auch sein, dass sich die Natur als robuster erweist, als Wissenschafter sie modellieren. Das Risiko ist jedenfalls groß genug, dass es den Schweiß der Edlen wert ist, alles zur Erhaltung des Planeten zu unternehmen.
Standard: Sie sind seit August AUA-Chef, waren ab 2005 bei der Lufthansa. Fliegen belastet die Umwelt. Ihre Familie, die ein Schloss Türnich bei Köln bewirtschaftet, setzt auf Nachhaltigkeit und Bio. Sie selbst haben als Student den Verein zur Förderung der ökologischen Verantwortung gegründet. Wie passt das zusammen? Von Hoensbroech: Das ist eine Ambivalenz, mit der ich umgehen muss. Natürlich belasten Flugzeuge die Umwelt, aber auf der anderen Seite ruft gerade das Reisen per Flugzeug viel Gutes hervor. Wir hatten noch nie eine so friedliche Zeit wie heute – das hat auch damit zu tun, dass Menschen sich durch Reisen verbinden. Und der Wohlstand wird dadurch, dass Waren mit Flugzeugen geflogen werden, intensiver verteilt auf der Welt. Insofern macht das Fliegen und das Reisen die Welt etwas besser und kleiner. Der Preis dafür ist, dass wir CO ausstoßen, und deswegen ist es das Ziel 2 der Luftfahrtindustrie, diesen Ausstoß bis 2050 zu halbieren. Und wegen unseres Vereins: Den gab es zwar nicht lang, aber man sieht auch heute, wie wichtig solche Initiativen von Schülern und Studenten sind.
Standard: Noch zum Sternenhimmel. Sie haben den schon als Kind studiert, was fasziniert Sie daran so? Von Hoensbroech: Ich wollte wissen, was da draußen passiert, wie die Zusammenhänge funktionieren. Ich wollte fast im Faust’schen Sinne wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Standard: Und Astronaut werden? Von Hoensbroech: Wie fast alle Buben. Ich habe mich sogar einmal als Astronaut beworben, 2007 bei der European Space Agency. Ich kam immerhin bis zur Astronautenprüfung – fiel aber durch, auch weil ich es halbherzig und ohne echte Vorbereitung angegangen war. Weil ich wusste, dass das Astronautendasein mit meiner Lebensplanung nicht zusammenpassen würde. Standard: Und so blieben Sie beim Segelfliegen? Den Flugschein haben Sie in Zell am See gemacht. Von Hoensbroech: Ja, der mit Abstand schönste Ort, um den Flugschein zu machen. Diese Berge!
Standard: Wir sind in der Universitätssternwarte in Währing, Sie haben früher auch geforscht. Etwa im Observatorium Arecibo in Puerto Rico. Da wurde „Golden Eye“mit Pierce Brosnan als James Bond gedreht. Er ließ sich auf dem Teleskop dort doublen ... Von Hoensbroech: Da gibt es eine Hängebrücke, die vom Rand des Teleskops in die Mitte zum Empfänger führt, in 150 Meter Höhe. Ich bin drübergegangen, Brosnan brauchte einen Stuntman.
Standard: Sie wechselten in die Wirtschaft, weil es Ihnen in der Wissenschaft zu INTERVIEW: einsam war. Sie müssen die AUA investitionsfähig machen, den Gewinn deutlich erhöhen. Ihr Beschluss, die Crew-Standorte der AUA in den Bundesländern zu schließen, trug Ihnen viel Kritik ein. Von Hoensbroech: Deren Heftigkeit hat mich überrascht. Die AUA hat sich zuletzt gut entwickelt, schreibt keine Verluste mehr. Wir erneuern und vereinheitlichen unsere Flotte, trennen uns von den Propellerflugzeugen, schaffen Mittelstrecken-Airbusse an. Das wird unsere Konkurrenzfähigkeit mit den Low-Cost-Carriern in Wien deutlich stärken und Kosten senken. Dafür investieren wir heuer 200 Millionen Euro, allein damit wächst die AUA am Standort Wien um über zehn Prozent. Standard: Wird das reichen, den vielen Billigfluglinien Paroli zu bieten? Von Hoensbroech: Das muss man abwarten. Bisher hatte noch nie jemand neben der AUA in Wien viel Freude. Der Wettbewerb, der unter diesen Billigfluglinien entsteht, wird sehr, sehr intensiv werden. Die AUA hat am Standort Wien eine so starke Marktposition, dass wir dem mit großem Selbstbewusstsein entgegenblicken können. Wir haben uns insgesamt zehn Punkte vorgenommen, analysieren unter anderem unse- Alexis von Hoensbroech Vorstandschef der AUA
re Prozesse. Da können wir noch viel straffen, digitalisieren. Wir wollen Kosten sparen, uns schlanker aufstellen. Das muss und wird nicht nur Arbeitsplätze betreffen, sondern auch Sachkosten. Standard: Der deutschen Mutter Lufthansa wird das reichen? Von Hoensbroech: Das Schicksal der AUA entscheidet sich hier in Österreich. Wenn wir hier erfolgreich sind, wird Eigentümer Lufthansa uns unterstützen, noch erfolgreicher zu sein. Die AUA schreibt zwar Gewinn, aber nur einen kleinen. Darum müssen wir uns weiter hinaufarbeiten, selbst wenn das Schmerzen bedeutet.
Standard: Was fasziniert Sie eigentlich so am Luftfahrtgeschäft? Von Hoensbroech: Es ist die Kombination: die technologische Hochleistung, Millionen von Menschen zu höchsten Sicherheitsstandards kreuz und quer über die Welt zu transportieren. Das komplexe Zusammenspiel von Flugstrecken, Flugzeiten, Passagierströmen, Preiszahlungsbereitschaften, Wettbewerb ist wirtschaftlich extrem spannend. Wenn man analytisch angelegt ist, macht es einfach Spaß, in so einem Markt zu arbeiten. Das Geschäft mit
dem Fliegen produziert eine enorme Leidenschaft, bei Mitarbeitern wie Kunden. Und Leidenschaft motiviert.
Standard: Sie haben an einem Buch Ihrer zwei Brüder mitgeschrieben, in dem es ums Führen geht. Sie schreiben, es sei Aufgabe von Managern, Veränderungsbedarf zu erkennen und darauf zu reagieren. Wo ist der Veränderungsbedarf der Luftfahrtindustrie? Von Hoensbroech: Die Luftfahrtindustrie ist noch in einer Phase des Erwachsenwerdens. Sie kommt aus einer Zeit, in der es viele nationale Fluggesellschaften mit hohem Staatseinfluss gab, der Markt extrem fragmentiert war. Jetzt scheiden kleine Spieler aus oder werden gekauft, der Markt konzentriert sich auf weniger, größere und effizienter arbeitende Unternehmen. In dem Prozess sind wir mittendrin, das wird zur Gesundung der Branche führen. Die Luftfahrtindustrie hat bisher noch nie ihre Kapitalkosten verdient. Sie braucht höhere Margen, damit sie in modernes, umweltfreundliches Gerät investieren kann. Die jetzige Konsolidierung trägt sicher dazu bei.
Standard: Ihr Bruder, der Dirigent, lässt in Workshops Manager ans Pult. Was für ein Dirigent wären Sie? Ein Karajan, ein Jansons? Von Hoensbroech: Sie stellen Fragen. Ich hoffe, ich wäre ein guter Dirigent. Aber ich hab’s noch nie probiert. Die Analogie zwischen der Aufgabe einer Führungskraft und der eines Dirigenten ist jedenfalls gut. Denn der Dirigent ist der einzige Musiker in einem Orchester, der keinen Ton von sich gibt und lauter Experten um sich herum hat, die ihre Disziplinen besser können als er selbst. Seine Aufgabe ist, aus all diesen Experten ein großes Ganzes zu machen.
Standard: Musiker spielen auch ohne Dirigenten gut. Als Sir Neville Marriner 2016 vor einem Konzert gestorben war, hat sein Orchester zu seinen Ehren trotzdem gespielt. Ich hab’s gehört: sehr toll. Von Hoensbroech: Früher haben Orchester ganz ohne Dirigenten gespielt, gab der Erste Geiger den Takt vor. Als die Orchester groß wurden, brauchte es jemanden, der den Überblick hat und aus den Einzeldisziplinen das große Ganze formt. Orchester können wunderbar ohne Dirigenten spielen, aber es wird sehr schnell sehr mechanistisch. Auch ein Unternehmen funktioniert eine Weile weiter, wenn da oben kein Vorstand sitzt. Alle machen ihren Job ...
Standard: Die Frage ist, wann das kippt. Von Hoensbroech: Ja. Wann aus Musikmachen Nur-Noten-Spielen wird. In der Wirtschaft würde es kippen, wenn nötige strategische Schritte nicht gesetzt würden, weil sich jeder nur um sein Thema kümmert.
Standard: Spielen Sie noch Cello? Von Hoensbroech: Ich habe wieder angefangen und nehme jetzt Stunden. Ich fand, in der Kulturhauptstadt Wien muss ich auch selbst wieder musikalisch tätig sein.
Standard: Sie sagen, Sie seien stolz auf das Wertegerüst, das Ihnen Ihre Familie mitgegeben hat. Welche Werte sind das? Von Hoensbroech: Ich komme aus einer Familie mit stark christlich orientiertem Wertegerüst. Einer Familie, die auch versucht hat, in schwierigen Situationen Haltung zu bewahren und sich für wirtschaftliche, kulturelle, politische Dinge interessiert. Das sind sehr wichtige Werte für mich. Wir wurden sehr darin gefördert, uns eine eigene Meinung zu bilden und dafür einzustehen – ohne uns dabei von Obrigkeiten allzu sehr beeinflussen zu lassen.
Standard: Worum geht’s im Leben? Von Hoensbroech: Darum, dass man sein Bestes gibt und die Dinge etwas besser an die nächste Generation übergibt, als man sie selbst in Empfang genommen hat. Das gilt im Kleinen wie im Großen.
ALEXIS VON HOENSBROECH (48) stammt aus niederländisch-deutschem Adel, verbrachte seine frühe Kindheit in Japan. Seine Diss schrieb der vielgereiste Astrophysiker über Pulsare. Er war Berater, ging 2005 zur Lufthansa und 2018 zur AUA. Er läuft, fliegt, mag Sterne und Berge und hat fünf Kinder.
p Langfasssung: derStandard.at/Andersgefragt