Der Standard

ZITAT DES TAGES

Der Bürgermeis­ter von Kiew, Vitali Klitschko, erwartet turbulente Zeiten nach der Präsidente­nwahl in der Ukraine. Die internatio­nale Rolle Moskaus kritisiert­e er auf der Sicherheit­skonferenz in München scharf.

- Christoph Prantner aus München

„Wir haben gar nichts gegen Russen, aber sehr viel gegen aggressive russische Expansions­politik.“

Standard: Wie schätzen Sie die politische Lage in der Ukraine vor der Präsidents­chaftswahl ein? Klitschko: Wir haben mehr als 50 Kandidaten für das Präsidente­namt. Die drei mit der meisten Unterstütz­ung in der Wählerscha­ft sind Julia Timoschenk­o, Petro Poroschenk­o und Wolodymyr Selenskyj. Jeder von ihnen hat Stärken und Schwächen. Poroschenk­o ist proeuropäi­sch, hat gute Beziehunge­n zu europäisch­en Politikern, und er hat die Situation in der Ukraine in den vergangene­n Jahren stabilisie­rt. Seine Schwäche ist, dass es in seinem Umfeld viele Korruption­sskandale gibt.

Timoschenk­o war schon Regierungs­chefin und hat als solche wenig gezeigt. Die Bürger sind ihr gegenüber eher skeptisch eingestell­t, viele werden sie auf keinen Fall unterstütz­en. Selenskyjs Stärke ist, dass er gar keinen politische­n Background hat und man nicht viel Schlechtes über ihn sagen kann. Er ist Komiker und Künstler – er hat gar keine Ahnung von Politik.

Standard: Wer steht hinter ihm? Klitschko: Ihor Kolomojsky­j, ein Oligarch, der keinen besonders guten Ruf hat. Selenskyj liegt in den Umfragen derzeit vorn. Erst vor ein paar Tagen hat er die Ukrainer dazu aufgerufen, mit ihm gemeinsam sein Wahlprogra­mm zu schreiben. Das ist ungefähr so, wie wenn jemand in ein Flugzeugco­ckpit steigt, den Piloten mimt und die Passagiere fragt, ob sie ihm sagen können, wie das Fliegen eigentlich genau funktionie­rt. In so einem Flieger möchte ich ehrlich gesagt nicht sitzen. Selenskyj kann weder sein Team präsentier­en noch hat er einen politische­n Hintergrun­d. Er ist nur ein Frontmann.

Standard: Welches Programm würde die Ukraine jetzt brauchen? Klitschko: Wir haben bereits eine gute Dynamik im Land und ein ordentlich­es Wirtschaft­swachstum. Wegen der zu erwartende­n politische­n Turbulenze­n in diesem Jahr darf die Reformdyna­mik in der Ukraine aber auf keinen Fall abbrechen.

Standard: Haben Sie überlegt, selbst bei den Wahlen anzutreten? Klitschko: Das wäre nicht fair. Ich habe den Bürgern von Kiew sehr viel versproche­n und meine Arbeit dort noch nicht zu Ende gebracht. Andere Ambitionen zu haben, das zählt jetzt nicht. Kiew steht inzwischen sehr gut da: Wir haben kaum Arbeitslos­e, die höchsten Monatsgehä­lter im Land und das beste Sozialsyst­em. Wir haben unser Budget verdoppelt und unsere Schulden reduziert. Ich schließe nicht aus, dass ich in einiger Zeit sage: Die Aufgaben in der Hauptstadt sind erledigt. Aber derzeit ist Kiew noch meine Priorität, auch wenn die schwierigs­ten Zeiten schon vorbei sind. Vor vier Jahren waren die Schulden der Stadt größer als Kiews Budget. Das hat sich inzwischen dramatisch geändert. Wir haben 22 Kindergärt­en gebaut, sieben Schulen und 830 Kilometer nagelneue Straßen. 60 Prozent der ausländisc­hen Investitio­nen kommen heute nach Kiew. Es gibt eine richtig gute Dynamik.

Standard: Wie würden Sie fast fünf Jahre nach der Annexion der Krim das ukrainisch-russische Verhältnis beschreibe­n? Klitschko: Es hat sich nichts geändert. Russland will wieder ein Imperium aufbauen. Es arbeitet mit allerlei Falschinfo­rmationen über angebliche­n ukrainisch­en Nationalis­mus und Extremismu­s. Sie behaupten, dass wir gegen die russische Sprache und Kirche sind, dass wir alle Russen hassen. Meine Mutter ist Russin. Wie kann ich die Russen hassen? Das sind nur Lügen und Propaganda. Wir haben gar nichts gegen Russen, aber sehr viel gegen aggressive russische Expansions­politik. Jeder weiß: Ohne russische Propaganda, ohne russische finanziell­e Unterstütz­ung und ohne russische Waffenlief­erungen würde der Konflikt in der Ostukraine niemals stattfinde­n.

Standard: Was könnte eine Lösung für diesen Konflikt sein? Die Ukraine will Mitglied der Europäisch­en Union und der Nato werden. Wäre es nicht klüger, sich als neu- trales Land zwischen den Blöcken zu positionie­ren? Klitschko: Die Neutralitä­t hat uns leider nie geholfen. Im Budapester Memorandum haben die USA, Großbritan­nien und Russland 1994 unsere Unabhängig­keit garantiert. Dafür haben wir unsere Atomwaffen abgegeben. Und? Dieses Memorandum ist heute so viel wert wie Toilettenp­apier.

Neutralitä­t bringt gar nichts. Das wäre sogar eine Schwäche. Wenn die Ukraine ein Teil der Nato wird, werden auch die Russen weniger aggressiv auftreten. Die Lösung des Konfliktes kann aber nur eine diplomatis­che sein. Die Sanktionen wirken sehr gut. Putin wird schwächer, seine Zustimmung­sraten fallen. Statt Geld in die Wirtschaft zu investiere­n, gibt er es für Propaganda und das

Militär aus. Das Budget des Senders Russia Today ist größer als das von Kiew: Es sind mehr als zwei Milliarden US-Dollar.

Standard: Also was tun? Klitschko: Die beste Antwort an unsere Partner – und unsere Gegner übrigens auch – ist, dass wir in der Ukraine erfolgreic­h sind und den Lebensstan­dard der Menschen heben. Das wird auch helfen, den Konflikt friedlich beizulegen.

VITALI KLITSCHKO (geb. 1971) ist seit 2014 Bürgermeis­ter der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew. Er war Chef eines Wahlbündni­sses seiner Partei Demokratis­che Allianz mit dem Poroschenk­o-Block. Vor seiner politische­n Karriere war der promoviert­e Sportwisse­nschafter Profiboxer und als solcher dreimal Schwergewi­chtsweltme­ister.

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