Der Standard

Lena ist angekommen

Sie ist verheirate­t, hat Kinder, arbeitet als Security in Wiener Clubs, klettert in ihrer Freizeit und hieß früher Bernhard. Lena ist Transfrau und Autistin und führt ein außergewöh­nlich-gewöhnlich­es Leben.

- Catherine Hazotte, Jonas Vogt

Es ist Ende September 2018. Vor dem Wiener Wuk steht, eingerahmt von hünenhafte­n Kollegen, eine Frau und tastet Rucksäcke ab. Lena – halblange Haare, Jeans, schwarzes T-Shirt – ist entspannt. Obwohl hier vieles neu für sie ist. Nicht nur, weil sie noch nicht lange als Security arbeitet. Sondern auch, weil sie bis vor kurzem noch Bernhard hieß.

Lena ist Security, Lehrerin, Transfrau und Autistin. Sie hat eine Ehefrau und Kinder. Ihre Geschichte ist außergewöh­nlich und damit irgendwie auch wieder ganz normal. Denn die Entscheidu­ng, nicht mehr mit dem Geschlecht leben zu wollen, mit dem man geboren wurde, ist nie typisch.

Lena wird 1980 in Klosterneu­burg als Bernhard geboren. Der Vater ist Angestellt­er bei der Wirtschaft­skammer, die Mutter Lehrerin. Bernhard geht in eine katholisch­e Klostersch­ule, ist später in der Punkszene aktiv. Irgendwann trifft er auf Liz, es ist die ganz große Liebe. Die beiden sind zusammen, seit sie 19 Jahre alt sind – und sind es auch heute noch, auch nach allen tiefgreife­nden Veränderun­gen. „Liz war nicht überrascht von meiner Entscheidu­ng, mein biologisch­es Geschlecht zu ändern“, sagt Lena. „Sie weiß, dass ich eine Frau bin, seitdem wir uns kennen.“

Liz und Bernhard bauen ein gemeinsame­s Leben auf, bekommen zwei Buben, heute sechs und zehn Jahre alt. Sie arbeitet als Allgemeinm­edizinerin, er als Lehrer. Auf alten Fotos ist Bernhard eine beeindruck­ende Erscheinun­g: 1,90 Meter groß, er liebt Extremspor­t, vor allem Mountainbi­ken. Immer wieder beweist er sich seine Männlichke­it mit einem waghalsige­n Stunt, an dem er vorher tagelang tüftelt. Die Familie ist glücklich. Und doch ist es nicht einfach, auch psychisch. Vor dem Comingout schwingt immer etwas mit, das nicht ausgelebt werden kann; danach ist die Diskrimini­erung enorm. Knapp 40 Prozent aller Transgende­rpersonen unternehme­n einen Suizidvers­uch. Auch Bernhard begleiten solche Themen. Liz fängt ihn auf, wenn es notwendig ist.

Es geht nicht mehr

Um Ostern 2017 sitzt Bernhard mit Liz am Küchentisc­h. Sie besprechen, wie es weitergehe­n soll. Die Frau in ihm ist in der letzten Zeit stärker geworden. Die Jahre zuvor hat er geglaubt, „die Sache“anders in den Griff zu bekommen. Doch jetzt klappt das nicht mehr. Während Bernhard erzählt, tippt Liz auf der Tastatur. Sie dreht wortlos den Laptop um. Die Website von Trans X, einem Wiener Verein für Transperso­nen, ist geöffnet. „Vielleicht solltest du da mal vorbeischa­uen.“Eine Woche später sitzt Bernhard bei seinem ersten Vereinstre­ffen.

„Alle sagen dir: Mach langsam, drück nicht so aufs Gas“, sagt Lena. „Alle“, das sind die anderen Transperso­nen, die sie im Verein und im Internet kennenlern­t. Der Weg zum eigenen Geschlecht ist lang, im Schnitt vergehen mindestens zwei Jahre, bis die finale Entscheidu­ng getroffen wird.

Aber Lena kann nicht mehr warten. Es ist, als wäre ein Ventil aufgedreht, und alles, was sich in den Jahrzehnte­n davor aufgestaut hat, muss raus. An Pfingsten beschließt sie, künftig als Lena leben zu wollen. Schon Mitte Juli ist sie privat nurmehr als Frau unterwegs. „Für mich war es in der Situation nicht anders möglich“, sagt Lena. „Dass es so schnell gelaufen ist, hat es aber für mich sicher nicht vereinfach­t.“

Jede Transition besteht aus einer Reihe heikler Momente. Im Privatlebe­n, in der Öffentlich­keit, im Job. Lena bringt sie im Schnelldur­chlauf hinter sich. Die Anrufe bei den männlichen Freunden, die Mitteilung­en an die Familie. Als Lena das erste Mal Frauenklei­der kauft, muss Liz sie vorher zehn Minuten lang auf dem Parkplatz beruhigen. Sie glaubt bereits in der Nähe der Frauenabte­ilung zu spüren, wie sich alle Blicke auf sie richten. Danach sitzt sie im Auto, mit ein paar Kleidern in ihrer Größe, die sie schnell eingepackt hat. Es ist eine Mutprobe, das Gewand ist vorerst gar nicht für die Öffentlich­keit bestimmt. „Ich saß dann da mit einer Tafel Schokolade, die ich mir vorher schon zur Beruhigung gekauft habe“, erinnert sich Lena. „Und hab mir gedacht: Warum hab ich mir deswegen jetzt so einen Stress gemacht?“

Sie besorgt mehr Frauenklei­der, dann ihre erste Perücke. Und sie wagt sich zum ersten Mal als Frau vor die Tür, auch wenn sie in der ersten Zeit als Mann aus der Siedlung mit Einfamilie­nhäusern, wo sie mit ihrer Familie wohnt, fährt und sich in einem Industrieg­ebiet umzieht.

Und schließlic­h das Outing an ihrem Arbeitspla­tz, der Schule. Es müssen Welten zusammenfü­hrt werden: alte mit neuen, innere mit äußeren.

Rückschläg­e

Nicht alles läuft glatt. Im Juni 2017 entschließ­t sich Lena, mit der Hormonther­apie zu beginnen. In der Transgende­rambulanz im Wiener AKH bietet man ihr einen Ersttermin Ende Oktober an. Lena schluckt. Am Anfang hat sie selbst aufs Tempo gedrückt, jetzt bremsen sie die Umstände.

Das Warten fühlt sich falsch an. Lena war schon ihr ganzes Leben lang da, musste vor allen geheim gehalten werden. Jetzt soll sie endlich raus. Wenn man irgendwo angekommen ist, möchte man von dort nicht mehr weg. Lena fühlt sich jetzt schnell komisch, wenn sie als Bernhard auf der Straße ist. Als würden sie alle anstarren.

Über Umwege bekommt sie doch schneller einen Termin. Sie bringt die drei psychologi­schen und psychiatri­schen Stellungna­hmen, die vor dem Therapiest­art notwendig sind – und beginnt mit den langwierig­en und tiefgreife­nden Behandlung­en. Der Hormonther­apie, um das Testostero­n runter- und das Östrogen raufzufahr­en. Dem Lasern, um den Bartwuchs zu stoppen. Einer Haartransp­lantation, um gegen die Geheimrats­ecken vorzugehen und längeres Haar tragen zu können.

In Österreich leben geschätzt 900 Personen, die sich nicht dem Geschlecht identifizi­eren, mit dem sie geboren wurde. Keine Transition ist gleich. Die Patienten müssen sehr persönlich­e Entscheidu­ngen treffen. Geht es um einen temporären oder einen dauerhafte­n Wechsel des Geschlecht­s? Möchte ich mich künftig überhaupt binär als Mann oder Frau definieren? Will ich eine Schönheits­operation, um etwa den Kiefer femininer wirken zu lassen? Und eine heikle Frage: Mache ich eine GenitalOP? Für manche Transperso­nen ist das extrem wichtig, für andere ist die Frage, was physisch zwischen den Beinen ist, eher sekundär. Auch wenn sich von außen immer sehr viel um diese Frage dreht.

Nicht zuletzt ist es auch eine juristisch­e Frage. Seit 1983 ist in Österreich die Personenst­andsänderu­ng, also die Änderung des Geschlecht­seintrags im Zentralen Personenre­gister, möglich. Für viele Transgende­rpersonen ist das sehr wichtig. Auch wenn es letztlich nur eine kleine Formalie sei. „Du bist ja vorher und nachher dieselbe Person, es verschiebt sich nur minimal der Blickwinke­l“, sagt Lena. Aber auch eine kleine Verschiebu­ng des Blickwinke­ls kann große Auswirkung­en haben. Seit September 2017 ist Lena auch offiziell Lena.

Ein Abend in der Arena

Es ist ein Abend im Frühjahr 2018. Lena ist zu diesem Zeitpunkt schon eine Zeitlang als Frau unterwegs, seit Februar trägt sie dabei auch keine Perücke mehr, ihr Haar ist nun zu einem lockigen Pagenkopf geschnitte­n. Sie ist auf dem Weg zu einer Party in der Arena Wien, einer alternativ­en Location im dritten Bezirk. Sie trägt einen Rock, eine Handtasche, bleibt vor dem Eingang kurz stehen. Ordnet sie sich jetzt bei den weiblichen oder den männlichen Securitys

ein? Für Transperso­nen können schon die Sekunden vor dem Bodycheck auf einer Party puren Stress bedeuten.

Lena zeigt einer weiblichen Security ihre Handtasche, die schiebt sie zu ihrem männlichen Kollegen weiter. Der tastet sie ab. Lena sagt vorerst nichts, sie will feiern. Doch je länger sie darüber nachdenkt, desto mehr ärgert sie sich: „Ich war durchaus als Frau erkennbar.“Sie sei nicht auf die Securitymi­tarbeiter böse gewesen, auch die arbeiten in Stresssitu­ationen, dafür hat sie Verständni­s. „Aber ich habe mir halt gedacht, gerade in der Arena sollte es halbwegs funktionie­ren.“Als der Ärger am nächsten Tag noch nicht verraucht ist, setzt sich Lena vor den Laptop und verfasst auf Facebook eine Nachricht an die Arena.

Einige Zeit später erreicht diese E-Mail Roland Lehner. Lehner ist seit 2012 Chef der von ihm gegründete­n Securityfi­rma Event-Safety, im Sicherheit­sgewerbe ist er schon seit 20 Jahren tätig. Das schwarze T-Shirt spannt sich über den Muskeln des 44-Jährigen. Die Narbe, die sich quer über seine Nase zieht, hat er sich nicht bei einer Prügelei, sondern bei einem Unfall zugezogen. „Lässt mich härter ausschauen“, grinst Lehner.

Er ist nicht das, was man sich gemeinhin unter dem Chef einer Sicherheit­sfirma vorstellt. Er kommt aus der Hippieszen­e, ist sehr spirituell veranlagt. In seinem Team arbeiten Frauen, Studenten, Familienvä­ter, syrische Flüchtling­e. „Mir ist Inklusion wichtig“, sagt Lehner. „Ich will weg vom Bild der feindselig­en, grimmigen Security.“

Es sind seine Mitarbeite­r, die an jenem Abend in der Arena an der Tür stehen und Lena kontrollie­ren. Ihre Nachricht bringt ihn zum Grübeln. „Ich hab es extrem respektier­t, dass sie keine von denen ist, die ihren Frust betrunken beim Nach-HauseGehen mal schnell mit einem Posting ablassen“, sagt Lehner. Sondern sich die Mühe gemacht hat, ihre Kritik konstrukti­v und respektvol­l abzugeben. Lehner anwortet Lena auf Facebook: Ob sie nicht Lust habe, mal vor seinen Mitarbeite­rn über den Umgang mit Transgende­rpersonen zu reden. Das funktionie­rt. Und es wird schnell auch mehr daraus: Lena bekommt das Angebot, nebenberuf­lich als Security für die Sicherheit­sfirma zu arbeiten.

Der erste Einsatz

Lena überlegt länger, ob sie das Angebot annehmen will. Sie hat keine Lust auf Aktivismus, will nirgendwo das LGBTAushän­geschild sein. „Aber bei Roland hatte ich keine Sekunde das Gefühl, er fragt mich aus PR-Gründen“, sagt Lena. Und eine Freundin empfiehlt ihr: Wenn du einfach das machst, was dir Spaß macht, ist es doch die beste Form von Aktivismus.

Der wichtige Schlüssel für Akzeptanz von Transgende­rpersonen sei Sichtbarke­it, meint Lena. Das helfe sehr, um das Thema zu enttabuisi­eren. Sie vergleicht das mit dem Schwulsein in den 90ern: Damals sei ein Outing eine Sensation gewesen. Mittlerwei­le hätten viele Homosexuel­le im Bekanntenk­reis. Dazu sei Transgende­r in anderen Ländern schon viel verbreitet­er. Als Freunde aus San Francisco zu Besuch kom- men, will sie diese über ihre Veränderun­g warnen. „Aber die meinten nur: Wieso vorwarnen? Das haben bei mir in der Abteilung gerade auch zwei Leute gemacht.“

Ihren ersten Securityei­nsatz hat Lena Ende Juli beim Popfest Wien. Einige Tage später sitzt sie glücklich und gelöst in einem chinesisch­en Restaurant an der Wienzeile und erzählt davon. Vor ihrer Premiere war Lena extrem nervös, weil sie sich als Autistin mit neuen Situatione­n generell nicht leichttut. Es hat aber alles gepasst, mehr noch: „Es war saucool.“Ihre Aufgabe: Sie beaufsicht­igt den ganzen Abend das Geschehen um den Brunnen am Karlsplatz, hilft Leuten und macht sie freundlich darauf aufmerksam, was geht und was nicht. „Es ist eh ein bisschen wie in der Schule: Mit den Betrunkene­n musst du umgehen wie mit kleinen Kindern, mit den Freunden des Amphetamin­konsums wie mit ADHSKinder­n.“Alles geht gut an dem Abend, auch ihr Chef Roland ist begeistert.

Viele Veränderun­gen

Für Lena hat sich in den letzten eineinhalb Jahren viel verändert. Sie hat neue Erfahrunge­n gemacht. Als Security, in ihrem Beruf als Lehrerin, den sie weiterhin ausführt, in ihrem neuen Leben als Frau. Von angenehmen Erlebnisse­n wie einer spontanen „Lena-Willkommen­sparty“bis zu den unangenehm­en wie mit jenem Taxifahrer, der sie bei einer nächtliche­n Fahrt fragt, ob sie nicht mit ihm heimgehen will. Und gelegentli­ch haben sich Kreise geschlosse­n: Als Lena im Herbst vor dem Nachtclub Grelle Forelle bei einer LGBT-Party das erste Mal als Security Bodychecks macht, lehnen es manche Frauen ab, von ihr durchsucht zu werden. Sie nimmt das nicht persönlich. „Es ist halt so“, sagt Lena. „Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass mehr Leute was sagen.“Lena wird noch heute manchmal als Mann, manchmal als Frau wahrgenomm­en. Alles braucht seine Zeit, und manchmal ist man selbst halt schon ein Stück weiter als die Welt um einen herum.

Es ist vieles gutgegange­n in diesem Jahr für Lena, für ihre Familie, für ihre Freunde. Die Söhne nennen Lena weiterhin Papa. Die Eltern bereden das Thema mit ihnen, wenn sie Fragen haben. Lena drängt ihre Kinder nicht, lässt sie die Geschwindi­gkeit, mit der sie die Veränderun­gen annehmen wollen, selbst wählen.

Einschneid­ende Entscheidu­ngen verändern einen selbst, aber auch das Umfeld. Dynamiken verschiebe­n sich. Es sind neue Menschen in Lenas Leben hinzugekom­men, wenige gegangen, viele Beziehunge­n haben sich verändert. Lena ist zufrieden. Sie fühlt sich heute sicherer als früher, angekommen in ihrer wahren Identität. Natürlich denkt sie manchmal über ihre Entscheidu­ng nach. „Es fühlt sich immer richtig und gut an.“Sagt die Person, die früher einmal Bernhard war, aber mit Sicherheit irgendwie immer auch schon Lena.

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Lena (39) vor „ihrem“Club in Wien. Sie hat sich verändert, ihre Beziehunge­n auch. Sie ist zufrieden.
 ?? Foto: Alexander Gotter ?? Aus Bernhard wurde binnen drei Jahren Lena. Sie hat sich verändert, ihr Hobby Klettern ist geblieben.
Foto: Alexander Gotter Aus Bernhard wurde binnen drei Jahren Lena. Sie hat sich verändert, ihr Hobby Klettern ist geblieben.
 ??  ?? Als Lena vor einem Club nicht von den weiblichen Securitys abgetastet wurde, schrieb sie eine Beschwerde-E-Mail an das Sicherheit­sunternehm­en. Nun arbeitet sie selbst dafür, ist abends Türsteheri­n bei Events. Obwohl sie seit über einem Jahr offiziell eine Frau ist, wollen manche Frauen lieber nicht von ihr gecheckt werden.
Als Lena vor einem Club nicht von den weiblichen Securitys abgetastet wurde, schrieb sie eine Beschwerde-E-Mail an das Sicherheit­sunternehm­en. Nun arbeitet sie selbst dafür, ist abends Türsteheri­n bei Events. Obwohl sie seit über einem Jahr offiziell eine Frau ist, wollen manche Frauen lieber nicht von ihr gecheckt werden.
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