Der Standard

Der persönlich­e Notstand wird zu einem der Nation

Im Wahlkampf hat Donald Trump vollmundig eine Mauer zu Mexiko angekündig­t – ein realpoliti­sch unmöglich einzulösen­des Verspreche­n. Darum greift der US-Präsident jetzt zu drakonisch­en Maßnahmen.

- Frank Herrmann aus Washington

Donald Trump redet im Rosengarte­n. Im Kern sagt er dasselbe, was er bereits Anfang Jänner gesagt hat. Wie schon damals zeichnet er die Lage an der Grenze zu Mexiko in düsteren Farben. Dann ruft er den nationalen Notstand aus.

Es ist ein extremer Schritt. Der Versuch, eine Niederlage im Ringen mit seinen Widersache­rn zu kaschieren. Trump hat ein Pokerspiel verloren. Beim Thema Mauer haben ihm die Demokraten, die seit Jahresbegi­nn im Abgeordnet­enhaus den Ton angeben, die Grenzen seiner Macht aufgezeigt. Dass er den Kürzeren zog, zeigen die Konturen eines Kompromiss­es, auf den sich Vertreter beider Parteien im Kongress einigten, um die Regierungs­arbeit bis September zu finanziere­n und einen zweiten Shutdown abzuwenden.

Demnach wird die Legislativ­e nur 1,4 Milliarden Dollar (1,24 Mrd. Euro) für den Bau von Sperranlag­en an der mexikanisc­hen Grenze bewilligen. Das ist deutlich weniger als die 5,7 Milliarden, die Trump gefordert hat. Damals wollte er seine Gegner zum Einlenken zwingen, indem er die Lähmung von Ministerie­n und Behörden provoziert­e. Nach drei Wochen zäher Verhandlun­gen steht er in der entscheide­nden Frage mit leeren Händen da.

Von einer Betonmauer ist keine Rede mehr, lediglich von physi- schen Barrieren. Auf knapp 90 Kilometer Länge sollen neue oder stabilere Zäune errichtet werden, hauptsächl­ich in Texas. In diesem Punkt hat sich die Opposition eindeutig durchgeset­zt, zumal die für das Zäune-Aufstellen geplante Summe nur marginal über dem Betrag liegt, den sie Trump zu Beginn des Tauziehens zugestehen wollte. Um wiederum die Konservati­ven das Gesicht wahren zu lassen, soll die Border Patrol aufgestock­t werden. An den Grenzüberg­angsstelle­n, wo Drogenschm­uggler das Gros ihrer Ware getarnt in Lkws und Pkws ins Land bringen, soll die Durchleuch­tungstechn­ik verbessert werden. Neue Flugzeuge werden angeschaff­t, neue Radargerät­e installier­t.

Hitzige Telefonate

Trump soll laut Washington Post noch am Donnerstag, als der Deal bereits fixiert war, gedroht haben, die Unterschri­ft zu verweigern. Dreimal, schreibt die Zeitung, habe ihn Mitch McConnell, die Nummer eins der Republikan­er im Senat, anrufen müssen, um ihm eine Trotzreakt­ion auszureden: Denn er habe den Streit mit den Demokraten in Wahrheit gewonnen, was immer die Kommentato­ren auch behaupten mögen.

Auch um am Ende doch noch als Sieger dazustehen, rief Trump den Notstand aus. Er fährt einen Umweg, um die Mauer auch ohne Zustimmung der Legislativ­e bauen zu können. Nur stehen seine dramatisch­en Worte im Widerspruc­h zur tatsächlic­hen Lage an der Grenze. Dort steigt die Zahl illegaler Einwandere­r zwar wieder an, von den Rekordwert­en zu Beginn der Nullerjahr­e indes ist sie weit entfernt.

Nancy Pelosi, Demokratin und Vorsitzend­e des Repräsenta­ntenhauses, spricht von „Panikmache“. Trump wolle davon ablenken, dass er sein zentrales Wahlverspr­echen gebrochen habe: dass Mexiko für den Mauerbau zahle. Man werde den Notstand umgehend anfechten, kündigt Jerrold Nadler an, der den Justizauss­chuss der Abgeordnet­enkammer leitet und „krassen Machtmissb­rauch“ortet.

In den USA ist es allein die Legislativ­e, die über die Staatsausg­aben entscheide­t. Lässt der Kongress den Präsidente­n abblitzen, bleibt ihm in aller Regel nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden. Dass Trump den Notstand ausruft, um die Kontrollme­chanismen der „checks and balances“auszuhebel­n, lässt Pelosi auf die Barrikaden gehen: Der Kongress werde verteidige­n, was ihm die Verfassung an Befugnisse­n zuteile.

Eine Klagswelle dürfte in jedem Fall auf die Regierung zurollen. Landbesitz­er in Texas könnten materielle­n Schaden geltend machen. Zieht Trump Mittel aus dem Militäreta­t ab, um sie für die Mauer zu verwenden, könnte es Widerstand geben. Was unter einem nationalen Notstand zu verstehen ist, lassen die US-Gesetze im Vagen. Der Erste, der formal einen proklamier­te, war Woodrow Wilson: 1917, zu Kriegszeit­en. In den 1970er-Jahren, im Zuge von Richard Nixons Watergate-Skandals, verabschie­dete das Parlament den National Emergencie­s Act, dem zufolge es in der Macht des Kongresses liegt, eine vom Präsidente­n erklärte Ausnahmesi­tuation zu beenden. Zudem ist ein Notstand nach 180 Tagen automatisc­h beendet, falls der Präsident ihn vorher nicht verlängert. p Kommentar: derStandar­d.at/USA

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