Der Standard

Eisbärenge­fahr durch die Klimaerwär­mung

Eisschwund, Treibhause­ffekt – Umdenken in Russland

- André Ballin aus Moskau

Die 2500 Bewohner von Beluschja Guba, dem Hauptort der Polarinsel Nowaja Semlja, trauen sich kaum noch aus dem Haus. Denn seit Dezember treiben sich 52 Eisbären in der Gegend herum, knapp ein Dutzend davon ständig in der Ortschaft. Auf Nahrungssu­che dringen die Bären sogar in die Hauseingän­ge der Siedlung vor, agieren zum Teil aggressiv. Ende vergangene­r Woche rief die Gebietsver­waltung wegen der Eisbärenpl­age den Notstand aus.

Die Eisbärenwa­nderung habe zwei Ursachen, beide seien mit der Klimaerwär­mung verbunden, sagte der Ökologe Alexander Samsonow. Einerseits habe die Population durch den Fischreich­tum im Sommer zugenommen, anderersei­ts sei durch die Klimaerwär­mung das Eis in der Arktis immer dünner geworden und der natürliche Jagd- und Lebensraum der Eisbären werde immer kleiner. So sind die Tiere gezwungen, auf das Festland auszuweich­en. Im Winter, wenn die Nahrung knapp wird, gehen sie in Ortschafte­n, weil sie dort auf Überreste hoffen.

Die Polarinsel Nowaja Semlja ist nicht der einzige Fleck in der russischen Arktis, an dem Mensch und Tier gefährlich eng zusammenrü­cken. Die Eisbären sind zudem nur eine Folge der Klimaerwär­mung. Unter Forschern, in der Wirtschaft und der Regierung hat deshalb ein Umdenken eingesetzt.

Die Regierung will Unternehme­n, die ihren Schadstoff­ausstoß nicht kontrollie­ren, künftig zur Kasse bitten. Und auch in die umstritten­e Ratifizier­ung des Pariser Klimaschut­zabkommens scheint Bewegung zu kommen. 2017 hat- te Präsident Wladimir Putin noch Verständni­s für Donald Trumps Ausstieg aus dem Pariser Abkommen gezeigt. Doch inzwischen hat Moskau mehrfach betont, dass es das Abkommen ratifizier­en wolle, wohl schon bis Jahresende.

Die Wirtschaft, bisher der größte Bremser in der Frage, hat den Widerstand aufgegeben. Der Unternehme­rverband befürchtet anderenfal­ls Beschränku­ngen auf dem Weltmarkt und den Verlust der Wettbewerb­sfähigkeit.

Sibirische Böden tauen auf

Forscher der staatliche­n Russischen Akademie der Wissenscha­ften widersprac­hen jetzt der in Russland weitverbre­iteten These, das Land werde von der Klimaerwär­mung durch das Auftauen der Böden in Sibirien sogar profitiere­n. In einem Experiment wiesen sie nach: Bei der Erhöhung der Temperatur um zwei Grad verdoppelt sich der Kohlendiox­idausstoß sibirische­r Dauerfrost­böden. Ein Auftauen der sibirische­n Böden würde damit den Treibhause­ffekt noch einmal massiv verstärken. Die Forscher sprechen von einer drohenden „Klimabombe“.

In Beluschja Guba werden derweil Soldaten des nahegelege­nen Stützpunkt­s, Arbeiter, aber auch Kinder mit speziell ausgerüste­ten Fahrzeugen zur Arbeit oder zur Schule gebracht. In der Siedlung kursieren Patrouille­n. Da die Eisbären als vom Aussterben bedrohte Art in Russland nicht abgeschoss­en werden dürfen, soll nun ein Spezialkom­mando die Tiere fortschaff­en, versprach der Verwaltung­schef von Nowaja Semlja, Schugansch­a Musin. Ob das ausreicht, bleibt abzuwarten. Eisbären können auf Nahrungssu­che riesige Strecken zurücklege­n.

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Auf der Polarinsel Nowaja Semlja suchen Eisbären ganze Dörfer heim.

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