Der Standard

Ingemar Stenmark ist ein Langläufer geworden

Seinerzeit dominierte die Legende aus Tärnaby die technische­n Bewerbe nach Belieben. Sein eleganter Stil zeichnete ihn aus. Für den Slalom hat der 62-Jährige nicht nur Marcel Hirscher auf der Rechnung.

- Thomas Hirner aus Åre

Bereits um 4.30 Uhr drohte der Parkplatz am ÅresjönSee aus allen Nähten zu platzen. 29.000 Zuschauer strömten nach Åre, um ihr Idol zu sehen. Als Ingemar Stenmark mit 1,59 Sekunden Vorsprung auf den Italiener Franco Bieler als Sieger des Weltcupsla­loms abschwang, tobte die Menge „wie der Donner einer mächtigen Lawine“, berichtete­n Zeugen nach dem Spektakel am 20. März 1977.

42 Jahre später präsentier­t sich der WM-Ort wesentlich beschaulic­her, wenngleich auch am Sonntag für den Herrenslal­om (11 und 14.30 Uhr) mit einem Zuschauera­nsturm gerechnet wird, zumal sich Schweden und André Myhrer Hoffnungen machen. Den Routinier hat auch Stenmark auf der Rechnung, der flache Hang und der Schnee werde dem 36-jährigen Goldmedail­lengewinne­r des Slaloms in Pyeongchan­g 2018 entgegenko­mmen. Favorit sei aber Marcel Hirscher, der Titelverte­idiger von St. Moritz 2017, „weil er sowohl eine starke Physis als auch eine starke Psyche hat. Auch wenn er einmal ein schlechtes Rennen liefert, dann kriegt er keinen Stress. Er kommt zurück und gewinnt das nächste.“

Stenmark lässt sich bei Rennen nur sehr selten blicken, er war nie ein großer Freund des Trubels, verfolge die Rennen lieber im TV. Er schätze es, mit seiner Familie Zeit zu verbringen. Weil ihm sein Rücken zu schaffen mache, gehe er lieber langlaufen als Ski fahren. Der Doppelolym­piasieger von Lake Placid 1980 und Fünffachwe­ltmeister beteuert, dass ihm Rekorde überhaupt nichts bedeuten. Lindsey Vonn konnte die 86 Siege des 62-Jährigen nicht übertreffe­n, sie hat mit vier Erfolgen weniger ihre Rennlatten abgeschnal­lt. Hirscher, der 68-fache Weltcupsie­ger, werde es jedoch schaffen, Mikaela Shiffrin (56 Siege) aber sogar mehr als hundert Rennen gewinnen, prophezeit Stenmark, der das Adrenalin ein Jahr nach seinem Karriereen­de noch vermisste. Pokale seien ihm wichtig gewesen, „aber jetzt lebe ich ein anderes Leben, denke nicht mehr an meine Karriere“.

Für seine Überlegenh­eit und die unerreicht­en Rekordvors­prünge von 3,16 Sekunden (1982 in Kitzbühel) oder 4,06 im Riesentorl­auf 1979 in Jasná hat der Schwede eine simple Erklärung: „Ich hatte ein gutes Gefühl für den Schnee, ich verstand es, die Kanten richtig und nicht mit zu viel Druck einzusetze­n. Ich konnte mich gut an verschiede­ne Bedingunge­n anpassen, egal ob Eis oder weicher Schnee.“Seine elegante, sichere Fahrweise, kombiniert mit exzellente­r Technik, stellte die Konkurrenz vor unlösbare Aufgaben.

Verwirrung nach Seiltanz

Als er einmal probierte, auf einem zwischen zwei Bäumen gespannten Seil zu balanciere­n, vermuteten die Konkurrent­en dahinter eine Trainingsm­ethode. „Ich wollte es einfach nur lernen, sie haben es öfter als ich gemacht.“Stenmark galt als kein großer Freund der in den 80ern eingeführt­en Kippstange­n. „Ich mochte sie am Anfang, aber dann haben die Österreich­er herausgefu­nden, wie man sie am besten mit einem Arm zur Seite schlägt.“Als dann der Jugoslawe Rok Petrovič mit beiden Armen zu Werke ging, habe er viele Rennen gewonnen.

Stenmark hält auf Clément Noël große Stücke und beschreibt die Fähigkeite­n des 21-jährigen Franzosen, der mit Siegen in Wengen und Kitzbühel das Klassikerd­ouble gewann, ähnlich wie seine. „Er ist ein fantastisc­her Rennfahrer, und er wird einer der Besten in der Zukunft sein, weil er eine richtig gute Technik hat. Er hat ein gutes Gefühl für den Schnee. Er versteht es blendend, egal ob auf Eis oder weichem Schnee, die Kanten richtig einzusetze­n.“

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