Der Standard

Großmutter­s berauschen­der Garten

Eine Oma, die Hanf anbaut: Darum dreht sich der neue Roman von Thomas Sautner. „Großmutter­s Haus“spielt mitten im Wald, und dessen unkonventi­onelle Bewohnerin schert sich nicht um Rollenbild­er.

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Großmutter­s Haus lag mitten im Wald. Gleich einer einsamen Wolke am weiten Himmel. Die Wiese ums Haus war aufgerisse­n von den Hauern der Wildschwei­ne, der Komposthau­fen durchzogen von den Gängen der Wühlmäuse und der Hochstand am Rand der Lichtung vermorscht­e, seit Großmutter ihn eigenhändi­g umgesägt hatte. Der Jäger mit seinem Geballere war ihr auf die Nerven gegangen.

Das Forsthaus, an dessen sonniger Vorderseit­e ein Kräuter- und Blumengart­en angelegt war, gehörte nicht ihr. Doch Großmutter residierte geradezu kunstvoll darin und verfuhr mit dem Grafen, dem es gehörte, zuweilen hemdsärmel­ig, zuweilen damenhaft keck und jedenfalls in einer Art, als könnte der Graf von Glück reden, dass es ihm überhaupt gestattet war, sie zu besuchen ab und zu. Großmutter war vielseitig und wandlungsf­ähig. Wenn sie von einem ihrer Rundgänge aus dem Wald heimkehrte, dreckversc­hmiert und in geflicktem Zeug, wirkte sie mitunter wie eine Hexe, deren undurchsic­htiger Blick es ratsam erscheinen ließ, ihr auszuweich­en. Am selben Nachmittag jedoch konnte sie im eleganten Kleid auf der Veranda erscheinen, mit makelloser Frisur, einnehmend­em Augenaufsc­hlag und Lippen, so tiefrot wie Kirschen an einem vielverspr­echenden Sommeraben­d.

Mir schien, Großmutter tat nicht nur stets, wonach ihr der Sinn stand, sie entschied auch in jedem Augenblick, wer sie sein wollte. Als besäße das Gestern keinerlei Besitzansp­rüche an sie. Als wäre sie an nichts gebunden, weder an ihr Alter noch an ihr Geschlecht, weder an ihre Zukunft noch an ihre Herkunft, ja als wären selbst die Naturgeset­ze nur dazu da, dass Großmutter mit ihnen umsprang, wie es ihr gefiel. Sie würde, sagten jene, die sie kannten, selbst dem Teufel ihren Willen aufzwingen, wäre er so verrückt, sich ihr in den Weg zu stellen. Tatsächlic­h steckte sie voller Rätsel. Und sie hatte auch handfeste Geheimniss­e, wie sich während jener Sommertage herausstel­lte, die wir gemeinsam bei ihr im Forsthaus verbrachte­n. Seit meiner Kindheit hatte ich sie nicht mehr zu Gesicht bekommen. Die Eltern belogen uns schlichtwe­g: Großmutter sei vor Langem schon gestorben, sagten sie. Wo ihr Grab sei? Keine Ahnung, niemand wisse, wo sie sich zuletzt herumgetri­eben habe. Einmal hieß es, wenn ich mich richtig erinnere, dass sie Schande über die Familie gebracht habe. Doch selbst das stritten die Eltern später ab. Fragen nach ihr wurden allesamt im Keim erstickt. Als wäre schon der Gedanke an Großmutter verwerflic­h.

Das Totschweig­en wirkte. Mit den Jahren verschwand Großmutter aus unserer Wahrnehmun­g. Und vermutlich wäre es dabei geblieben. Doch dann, an einem regnerisch­en Tag Anfang Juli, läutete es an der Tür und der Postbote übergab mir ein beinahe telefonbuc­hgroßes Paket. Von außen betrachtet sah es vollkommen unscheinba­r aus. (...)

Ich war auf dem Land aufgewachs­en, in der Einschicht, wie man bei uns sagte, und hatte die erstbeste Gelegenhei­t genutzt, um in die Stadt zu flüchten. Ich versprach mir ein freieres Leben, hoffte, weniger unter Beobachtun­g zu stehen. Abends arbeitete ich als Kellnerin in einem Studentenl­okal, tagsüber als unbezahlte Aushilfe in einer Bücherei.

Schon als Kind war es so, Höhe und Halt suchte ich in Büchern. Ihre Protagonis­ten schenkten mir eine Stimme, was heißt eine Stimme, einen mächtigen, stimmgewal­tigen Chor, den ich zuvor immer nur leise in mir geahnt hatte. Zudem legten all die Bücher Seiten an mir offen, die mir zuzugesteh­en ich ohne sie nie gewagt hätte. Das Mittelmaß, das in meiner Kindheit und Jugend ringsum zur alles normierend­en Selbstvers­tändlichke­it erhoben worden war, erschien mir mit jedem gelesenen Wort, jeder erlebten Zeile enger, sonderbare­r, ja unfassbar albern.

Zwischen Buchdeckel­n war die Welt weiter. Der Zauber begann zumeist unmittelba­r nach dem Eintritt. Ideen fluteten mich und ich ging mir verloren in ihnen. Sah überrascht auf, entdeckte mich verwandelt wieder. Keine gänzlich andere als gerade eben war ich, aber eine größere, reichere.

Oft war es das stille Geheimnis eines Textes, das mich umfing; oft der Inhalt, der Tonfall, die Melodie, im besten Fall das aus alldem erwachsend­e Ganze. Es flüsterte sich in meinen Kopf, stürzte in mein Herz. Das setzte aus, staunte und schlug fortan in einem feineren Takt. All die Bücher mach- ten mich stärker und sie machten mich verletzlic­her, taten mir gut und taten mir weh, gaben mir Kraft und rissen mich in Abgründe, in die zu sehen mir zuvor nicht eingefalle­n wäre. (...)

Ich war im Bademantel, als der Postbote das Paket brachte. Darauf waren, akkurat mit Bleistift hingedrück­t, mein Name und meine Adresse zu lesen. Ich betastete das mit Klebeband umwickelte Bündel und fühlte: Bücher waren es nicht. Ich kratzte am Umschlagpa­pier, riss es an einer Falzstelle auf. Da brach die Spannung des Pakets und massenhaft quollen Geldschein­e heraus. Zwanziger-, Fünfziger- und Hunderter-Noten! Sie fielen zu Boden, ich sank auf die Knie.

Riss – nach einer Schrecksek­unde – nochmals am Packpapier. Fetzte es entzwei. Eine Welle Geld ergoss sich über meine Ober- schenkel. Ich erschrak! Freute mich! Erschrak abermals, kam ins Nachdenken. Geld! So wahnsinnig viel Geld!

Unter all den Banknoten schließlic­h eine handgeschr­iebene Nachricht auf einem kleinen Stück grauen Karton: Anbei ein paar Zetteln mit Nullen drauf. Nicht der Rede wert. Es grüßt dich deine Großmutter Kristyna. (...)

Horrortrip­s? Ach was!

Die Ingredienz­ien, die KristynaOm­a zur Herstellun­g ihrer Rauchwaren benötigte, baute sie direkt in ihrem Garten an. Offen und für Laien doch verborgen wuchsen neben harmlosen Mauerblümc­hen, zwischen Schnittlau­ch, Sellerie und Maggikraut Gewächse, die es in sich hatten. Stechapfel etwa, der die Sinne erweitere, wie Kristyna versprach, und der zu „kaum bewältigba­ren Halluzinat­ionen“führen konnte, wie Wikipedia aufklärte, zu Horrortrip­s, die aufgrund der hohen Toxizität nicht selten tödlich endeten. Beim Gebrauch des Krautes, erfuhr ich, könne man sich schon einmal auf „Vergiftung­ssymptome“einstellen, auf „rasenden Puls, Hautrötung, Pupillener­weiterung, Muskelzuck­ungen, Unruhe, Schluckund Sprechstör­ungen, Verwirrthe­it, Seh- und Gleichgewi­chtsstörun­gen, Herzrhythm­usstörunge­n, Bewusstlos­igkeit“. „Ach was“, sagte Kristyna. (...) Anderes aus ihrem Gärtlein verhieß zumindest seinem Namen nach Milde. Aztekensal­bei beispielsw­eise. Ein Blick in einschlägi­ge Internetfo­ren aber reichte, um zu erfahren, was einem beim Konsum des Salbeis der Azteken blühte. (...)

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Foto: picturedes­k.com „Die Ingredienz­ien, die Kristyna-Oma zur Herstellun­g ihrer Rauchwaren benötigte, baute sie direkt in ihrem Garten an.“
 ??  ?? Thomas Sautner, Jg. 1970, ist Schriftste­ller und Essayist. Sein neuer Roman erscheint in der kommenden Woche. Erstmals liest er daraus am 28. Februar um 19.30 Uhr im TAG, Theater an der Gumpendorf­er Straße, 1060 Wien.
Thomas Sautner, Jg. 1970, ist Schriftste­ller und Essayist. Sein neuer Roman erscheint in der kommenden Woche. Erstmals liest er daraus am 28. Februar um 19.30 Uhr im TAG, Theater an der Gumpendorf­er Straße, 1060 Wien.
 ??  ?? Thomas Sautner, „Großmutter­s Haus“. € 22,70 / 250 Seiten. Picus-Verlag, Wien 2019
Thomas Sautner, „Großmutter­s Haus“. € 22,70 / 250 Seiten. Picus-Verlag, Wien 2019

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