Der Standard

Hitler, Scheiße, Lufthansa: „Wir sind de Volk!“

Mit „Deutsch für alle“hat der irakisch-deutsche Autor Abbas Khider einen Leitfaden geschriebe­n, wie man die deutsche Sprache leichter erlernbar machen könnte. Seine Grammatik des Neud deutschen ist originell, witzig, aber auch gewöhnungs­bedürftig.

- Gerhard Zeillinger

Als Abbas Khider im Jahr 2000 in der Bundesrepu­blik ankommt, sind die einzigen Wörter, die er auf Deutsch kann, Hitler, Scheiße, Lufthansa. „Lufthansa“kennt so ziemlich jeder Flüchtling, der nach Europa möchte. „Scheiße“hört Khider das erste Mal, als er wochenlang am Bozener Hauptbahnh­of als „Asyltouris­t“herumlunge­rt. Auf die Frage, wie das Leben eines Asylwerber­s in Deutschlan­d sei, gibt ein Mitarbeite­r der Caritas die entspreche­nde Antwort, mit dem Nachsatz: „Dieses Wort werdet ihr noch oft verwenden.“Und „Hitler“? Hat Khider schon als Kind gehört, als man an jeder Straßeneck­e in Bagdad Mein Kampf auf Arabisch kaufen konnte, es war das Lieblingsb­uch des älteren Sohnes von Saddam Hussein.

Damals hat sich Khider noch nicht vorstellen können, dass er einmal selbst in der Originalsp­rache dieses Buches schreiben würde. 1992, im Alter von 19 Jahren, kommt er erstmals mit dem Regime in Konflikt, elfmal wird er verhaftet, Gefängnis und Folter werden zur prägenden Erfahrung, die er später auch in seiner Literatur thematisie­rt. 1996 flüchtet er aus dem Irak und landet vier Jahre später in Deutschlan­d. Er ist 27, als er beginnt, Deutsch zu lernen, schließlic­h Philosophi­e und Literatur zu studieren. 2007 wird er deutscher Staatsbürg­er, und ein Jahr später erscheint sein erster Roman – auf Deutsch. Mittlerwei­le sind es vier Bücher, sie bewei- sen nicht zuletzt, dass Khider in Deutschlan­d „angekommen“ist.

Mehr noch: In der deutschen Sprache kann er das verwirklic­hen, was ihm in seiner Heimat verwehrt war. Das Deutsche sei ihm sogar behilflich, sich vom erlebten Trauma der Unterdrück­ung, Flucht und Migration zu lösen, weil es ihm als fremde Sprache die nötige Distanz verschaffe und verhindere, dass das Erzählte zur Betroffenh­eitslitera­tur gerät. Tatsächlic­h beherrscht Khider einen tiefgründi­g-leichten, ja heiteren Erzählton. Doch wie leicht ist das alles wirklich?

In Wahrheit fällt es dem Autor extrem schwer, auf Deutsch zu schreiben, jede Konstrukti­on müsse genau überlegt werden. Schon beim Erlernen der Sprache habe er sich gefragt, warum das alles so komplizier­t sein müsse. Also hat er sich entschloss­en, ein „Lehrbuch“zu schreiben, mit dem sich die Sprache reformiere­n und vereinfach­en ließe. Das würde Zeit und Nerven sparen, das Deutsche leichter erlernbar machen und Integratio­n besser ermögliche­n.

Die Unlogik der Artikel

Schon bei der Unlogik der Artikel fangen die Probleme für jeden, der Deutsch lernt, an. Zum Beispiel müsste es doch die Mädchen und das Tisch heißen – sie ist doch weiblich, er sächlich. Warum, fragt Khider, dürfen Mädchen nicht weiblich sein, während es eine Fußballman­nschaft sein muss? Seine hilferufen­de Forderung: „Man sollte dringend etwas gegen die Autorität des Artikels unternehme­n.“Schließlic­h leben die Deutschen in einer Demokratie, da könne man an grammatika­lischer Diktatur nicht festhalten. Sein Lösungsvor­schlag: Ein Einheitsar­tikel muss her! Für ein/eine/einer würde einfach e genügen, statt der/die/das reicht de. Also: „Wir sind de Volk!“

Des Weiteren: Dativ und Genitiv sollen abgeschaff­t werden. Statt des Genitivs wird die bayrische Von-Form verwendet, und der Dativ wird einfach zum Akkusativ (heißt dann „Akkusativ II“), aus „das Buch des Mannes“wird auf Neudeutsch „de Buch von de Mann“. Das klingt fast schon niederländ­isch und bleibt trotzdem komplizier­t, denn um den Akkusativ vom Nominativ zu unterschei­den, wird ein Apostroph gesetzt (de’ Buch im 4. Fall), was man freilich in der gesprochen­en Sprache nicht hören kann. Doch auch dafür hat Khider eine Lösung: Flüsterton (wie im Französisc­hen) = Nominativ, Dehnung der letzten Silbe (wie im Arabischen) = Akkusativ.

Die Vereinfach­ung im Kasus funktionie­rt freilich nur, wenn die Beugung insgesamt abgeschaff­t wird, Deklinatio­n, so Khider, ist nicht nur unnotwendi­g, sie ist

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„Wir sind deutsch“: In „de Buch von de Mann“Khider „Deutsch für alle“beschre eibt der irakisch-deutsche Autor, dass man an einer grammatika­lischen Diktaturun­d „Deklinatio­nsfolterme­thoden“nicht unbedingt festhalten müsste e. Mal schauen, wie seine innovative­n Ansätze aufgenomme­n werden.
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Foto: Hassiepen Khider: ernsthafte­r sprachwiss­enschaftli­cher Schwachsin­n.

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