Der Standard

Der Glanz ist ab im Silicon Valley

Privater Reichtum, öffentlich­e Armut. Eine Wohnungskr­ise, ein tägliches Verkehrsch­aos. Die Grundprobl­eme des Silicon Valley haben sich verschärft – und die Gemeinden setzen sich langsam zur Wehr.

- Michael Meyer aus Palo Alto

Der Wiedereint­ritt in die Atmosphäre in Stanford war ein wenig wie nach Hause zu kommen. Vieles ist bekannt und unveränder­t, manches dann doch ganz anders. So musste ich in Stanford jetzt verpflicht­end einen Kurs zur Vorbeugung sexueller Belästigun­g besuchen. Meine skandinavi­schen Kollegen fanden das deutlich weniger absurd als ich. MeToo ist voll in den US-Eliteunis und im Silicon Valley eingeschla­gen.

Die Valley-Treffer im Stakkato: Ellen Pao, ehemalige Topmanager­in des Venture-Fonds Kleiner Perkins, führt einen Prozess wegen Diskrimini­erung von Frauen gegen ihren Ex-Arbeitgebe­r. Dann rechnet sie mit der gesamten Startup-Szene des Silicon Valley in ihrem Buch Reset ab. Die ITExpertin Meredith Broussard legt die Machokultu­r des Valley bloß und zeigt, wie die ehemaligen Nerds die Idee einer alternativ­en Welt verraten haben. In ihrem Bestseller Artificial Unintellig­ence: Why Computers Misunderst­and the World kritisiert sie die Sackgasse, in der IT gefangen ist. Andere Frauen haben ganze Fonds und den CEO und Gründer von Uber zu Fall gebracht. Endgültig haben sie damit auch die Illusion zerstört, dass die IT-Branche auch jenseits der Technik cooler, moderner, egalitärer, gerechter, alternativ­er und moralische­r wäre. Das Gegenteil ist der Fall.

Vom einstigen Glanz des Silicon Valley ist wenig geblieben. In Europa haben sich längst andere Wallfahrts­orte für die schrumpfen­de Gemeinde der Innovation­sund Start-up-Gläubigen etabliert. Die Pilger zieht es jetzt nach Israel oder Lettland. Das Silicon Valley ist auch selbst schuld: die zweifelhaf­te Rolle von Facebook im Präsidents­chaftswahl­kampf 2016, wirtschaft­liche Probleme bei Apple, Zores von Google mit Datenschut­z und Steuern in Europa, peinliche Produktion­sverzögeru­ngen bei Tesla. Die putzigen autonomen Google-Mobile sind von den Straßen verschwund­en, dafür testet jetzt Waymo, ein Google Spin-off, das autonome Fahren mit größerem Gerät. ei Stanford-Wissenscha­ftern wie Francis Fukuyama und Nathaniel Persily findet man Sympathie für den europäisch­en Weg im Umgang mit der digitalen Wirtschaft – strikter Datenschut­z und hohe Besteuerun­g –, ja sogar Verständni­s für den chinesisch­en: rigorose staatliche Regulierun­g. Dass sich der freie Markt für Transaktio­nen von Daten – die Schlüsselr­essource des 21. Jahrhunder­t – eignet, daran glaubt hier niemand mehr.

Der Immobilien­markt ist längst außer Kontrolle. Gebaut wird zwar wie verrückt und mit einer in Europa unvorstell­bar schlechten Qualität, Wohnraum ist für den Normalverd­iener dennoch nicht

Bleistbar. Kaschemmen, über die man sich in jeder Wiener Schreberga­rtensiedlu­ng lustig machen würde, wechseln hier um Millionen-Dollar-Beträge den Besitzer. Das extrem überteuert­e Wohnen führt dazu, dass die Armutsgren­ze mittlerwei­le bei einem Familienja­hreseinkom­men von 117.000 Dollar liegt. Stanford investiert in großem Stil in Wohnungen und Studentenh­eime, weil das Wohnen außerhalb des Campus unfinanzie­rbar ist und der Uni sonst die Wissenscha­ftler und Studierend­en abhandenko­mmen. Unter 3000 Dollar im Monat gibt es im Valley keine Wohnung. acebook und Google reagieren darauf mit Luxusshutt­lebussen für ihre Kernbelegs­chaft, die sie aus der ganzen Bay Area in die Firmenzent­ralen nach Mountainvi­ew und Menlo Park und abends wieder nach Hause bringen. Die Zeit im Bus zählt als Arbeitszei­t. Die Randbelegs­chaft muss auf eigene Kosten fahren und bekommt die Anreisezei­t nicht bezahlt. Nicht wenige von ihnen leben in Autos, Wohnwägen und Campingmob­ilen, sie parken und schlafen irgendwo am El Camino, weil selbst die MobileHome-Parks im Valley zu teuer sind. Beschäftig­te in Reinigung, Instandhal­tung, Restaurant­s, Spitälern, aber auch Lehrer in den Schulen können sich das Wohnen im Silicon Valley längst nicht mehr leisten und müssen entwe-

Fder sehr weit einpendeln oder im Auto leben.

Die Gemeinden im Silicon Valley setzen sich langsam zur Wehr. Die IT-Multis sind ja nicht nur für die Wohnungskr­ise, sondern auch für den täglichen Verkehrsin­farkt verantwort­lich. Mountain View, dort sitzt Google, führt eine progressiv­e „Head Tax“für Unternehme­n ein, die vor allem Google treffen soll. In San Francisco erkämpft die Wählermehr­heit gegen die IT-freundlich­e Bürgermeis­terin eine neue Unternehme­nssteuer, um 300 Mio. Dollar im Jahr für die Bekämpfung der Obdachlosi­gkeit zu bekommen. Cupertino, Sitz von Apple, überlegt die Einführung einer Unternehme­nssteuer, um zehn Mio. Dollar aufzubring­en. East Palo Alto führte eine Steuer auf Büro-Raum ein.

Die Grundprobl­eme des Silicon Valley – privater Reichtum, extreme Ungleichhe­it, öffentlich­e Armut und eine jämmerlich­e Infrastruk­tur – haben sich in den letzten drei Jahren verschärft und werden sich nicht so leicht lösen lassen. Die Götterdämm­erung ist aber eingeleite­t, der Widerstand der Bürger wächst, und es gibt eine unerwartet­e Renaissanc­e der Politik.

MICHAEL MEYER ist Professor für Nonprofit-Management an der WU Wien und zur Zeit Visiting Scholar an der Stanford University. Er schreibt für uns aus Palo Alto.

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Foto: HO Wieder in Stanford: WU-Professor Michael Meyer.

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