Der Glanz ist ab im Silicon Valley
Privater Reichtum, öffentliche Armut. Eine Wohnungskrise, ein tägliches Verkehrschaos. Die Grundprobleme des Silicon Valley haben sich verschärft – und die Gemeinden setzen sich langsam zur Wehr.
Der Wiedereintritt in die Atmosphäre in Stanford war ein wenig wie nach Hause zu kommen. Vieles ist bekannt und unverändert, manches dann doch ganz anders. So musste ich in Stanford jetzt verpflichtend einen Kurs zur Vorbeugung sexueller Belästigung besuchen. Meine skandinavischen Kollegen fanden das deutlich weniger absurd als ich. MeToo ist voll in den US-Eliteunis und im Silicon Valley eingeschlagen.
Die Valley-Treffer im Stakkato: Ellen Pao, ehemalige Topmanagerin des Venture-Fonds Kleiner Perkins, führt einen Prozess wegen Diskriminierung von Frauen gegen ihren Ex-Arbeitgeber. Dann rechnet sie mit der gesamten Startup-Szene des Silicon Valley in ihrem Buch Reset ab. Die ITExpertin Meredith Broussard legt die Machokultur des Valley bloß und zeigt, wie die ehemaligen Nerds die Idee einer alternativen Welt verraten haben. In ihrem Bestseller Artificial Unintelligence: Why Computers Misunderstand the World kritisiert sie die Sackgasse, in der IT gefangen ist. Andere Frauen haben ganze Fonds und den CEO und Gründer von Uber zu Fall gebracht. Endgültig haben sie damit auch die Illusion zerstört, dass die IT-Branche auch jenseits der Technik cooler, moderner, egalitärer, gerechter, alternativer und moralischer wäre. Das Gegenteil ist der Fall.
Vom einstigen Glanz des Silicon Valley ist wenig geblieben. In Europa haben sich längst andere Wallfahrtsorte für die schrumpfende Gemeinde der Innovationsund Start-up-Gläubigen etabliert. Die Pilger zieht es jetzt nach Israel oder Lettland. Das Silicon Valley ist auch selbst schuld: die zweifelhafte Rolle von Facebook im Präsidentschaftswahlkampf 2016, wirtschaftliche Probleme bei Apple, Zores von Google mit Datenschutz und Steuern in Europa, peinliche Produktionsverzögerungen bei Tesla. Die putzigen autonomen Google-Mobile sind von den Straßen verschwunden, dafür testet jetzt Waymo, ein Google Spin-off, das autonome Fahren mit größerem Gerät. ei Stanford-Wissenschaftern wie Francis Fukuyama und Nathaniel Persily findet man Sympathie für den europäischen Weg im Umgang mit der digitalen Wirtschaft – strikter Datenschutz und hohe Besteuerung –, ja sogar Verständnis für den chinesischen: rigorose staatliche Regulierung. Dass sich der freie Markt für Transaktionen von Daten – die Schlüsselressource des 21. Jahrhundert – eignet, daran glaubt hier niemand mehr.
Der Immobilienmarkt ist längst außer Kontrolle. Gebaut wird zwar wie verrückt und mit einer in Europa unvorstellbar schlechten Qualität, Wohnraum ist für den Normalverdiener dennoch nicht
Bleistbar. Kaschemmen, über die man sich in jeder Wiener Schrebergartensiedlung lustig machen würde, wechseln hier um Millionen-Dollar-Beträge den Besitzer. Das extrem überteuerte Wohnen führt dazu, dass die Armutsgrenze mittlerweile bei einem Familienjahreseinkommen von 117.000 Dollar liegt. Stanford investiert in großem Stil in Wohnungen und Studentenheime, weil das Wohnen außerhalb des Campus unfinanzierbar ist und der Uni sonst die Wissenschaftler und Studierenden abhandenkommen. Unter 3000 Dollar im Monat gibt es im Valley keine Wohnung. acebook und Google reagieren darauf mit Luxusshuttlebussen für ihre Kernbelegschaft, die sie aus der ganzen Bay Area in die Firmenzentralen nach Mountainview und Menlo Park und abends wieder nach Hause bringen. Die Zeit im Bus zählt als Arbeitszeit. Die Randbelegschaft muss auf eigene Kosten fahren und bekommt die Anreisezeit nicht bezahlt. Nicht wenige von ihnen leben in Autos, Wohnwägen und Campingmobilen, sie parken und schlafen irgendwo am El Camino, weil selbst die MobileHome-Parks im Valley zu teuer sind. Beschäftigte in Reinigung, Instandhaltung, Restaurants, Spitälern, aber auch Lehrer in den Schulen können sich das Wohnen im Silicon Valley längst nicht mehr leisten und müssen entwe-
Fder sehr weit einpendeln oder im Auto leben.
Die Gemeinden im Silicon Valley setzen sich langsam zur Wehr. Die IT-Multis sind ja nicht nur für die Wohnungskrise, sondern auch für den täglichen Verkehrsinfarkt verantwortlich. Mountain View, dort sitzt Google, führt eine progressive „Head Tax“für Unternehmen ein, die vor allem Google treffen soll. In San Francisco erkämpft die Wählermehrheit gegen die IT-freundliche Bürgermeisterin eine neue Unternehmenssteuer, um 300 Mio. Dollar im Jahr für die Bekämpfung der Obdachlosigkeit zu bekommen. Cupertino, Sitz von Apple, überlegt die Einführung einer Unternehmenssteuer, um zehn Mio. Dollar aufzubringen. East Palo Alto führte eine Steuer auf Büro-Raum ein.
Die Grundprobleme des Silicon Valley – privater Reichtum, extreme Ungleichheit, öffentliche Armut und eine jämmerliche Infrastruktur – haben sich in den letzten drei Jahren verschärft und werden sich nicht so leicht lösen lassen. Die Götterdämmerung ist aber eingeleitet, der Widerstand der Bürger wächst, und es gibt eine unerwartete Renaissance der Politik.
MICHAEL MEYER ist Professor für Nonprofit-Management an der WU Wien und zur Zeit Visiting Scholar an der Stanford University. Er schreibt für uns aus Palo Alto.