Der Standard

Karl Lagerfelds letzter Gruß aus Paris

Die Chanel- Show war das Ereignis der Pariser Modewoche. Das französisc­he Modehaus zeigte die letzte Kollektion des verstorben­en Modedesign­ers Karl Lagerfeld. Wie geht es mit Chanel weiter?

- Estelle Marandon aus Paris, Anne Feldkamp

Ein pittoreske­s Alpendörfc­hen mit Almhütten, im Hintergrun­d weiße Berge: Das Modehaus Chanel inszeniert­e die letzte Kollektion ihres langjährig­en, im Februar verstorben­en Designers Karl Lagerfeld so zurückhalt­end wie bewegend – und die Modewelt hielt im Pariser Grand Palais einen Moment lang den Atem an. Eröffnet wurde die Show von Lagerfelds letzter Muse Cara Delevingne, beendet wurde sie von der Schauspiel­erin Penélope Cruz mit einer weißen Rose in der Hand. Zum Ende hin marschiert­en alle Models sichtlich gerührt durch die winterlich­e Kulisse, kaum ein Zuschauer bewegte sich vom Platz.

Leises Klingeln und ehrfürchti­ge Stille. So begann die Chanel-Show, auf die am Dienstagmo­rgen die Modewelt blickte. Es war die letzte Kollektion, die Karl Lagerfeld vor seinem Tod entworfen hatte. Das Setting: ein kleines, pittoreske­s Alpendörfc­hen, romantisch­e Almhütten, der Boden mit (Kunst-)Schnee bedeckt und im Hintergrun­d die weißen Berge.

Ohne Musik, begleitet nur vom zarten Glockengel­äut, kamen die Models langsam und alle nacheinand­er aus dem „Chalet Gardenia“heraus und postierten sich davor. In dem Moment hielten die Zuschauer, darunter auch Claudia Schiffer und Naomi Campbell, den Atem an. Karl Lagerfeld hatte sich keine Hommage gewünscht, dennoch sollte dies ein würdevolle­r Abschied werden. Nach einer bewegenden Schweigemi­nute hörte man aus den Lautsprech­ern eine Interviews­equenz des Modeschöpf­ers, in der er über seine Anfänge bei Chanel sprach.

Erst danach fingen die Models an, über den Laufsteg zu schreiten und so ihre Spuren im Schnee zu hinterlass­en. Eine schöne Metapher für die letzten Entwürfe von Karl Lagerfeld, die vor allem mit bodenlange­n Mäntel bestachen und eleganten Marlene-DietrichHo­sen, die hoch in der Taille sitzen. Daneben gab es Kleider und Röcke im Norwegermu­ster zu sehen, mondäne Tweedhüte und mit Teddyfell besetzte Schneestie­fel. Extravagan­t waren vor allem die Dreivierte­l-Leggings aus Tweed, die unter kurzen Kleidern getragen wurden. Beendet wurde die Show von Penélope Cruz in einem schneeweiß­en, kurzen Bal- lonrock mit einer weißen Rose in der Hand. Eine diskrete, aber bewegende Inszenieru­ng.

Am Ende waren die Zuschauer wie gelähmt. Keiner bewegte sich vom Platz. Es war, als warteten alle darauf, dass Karl Lagerfeld doch noch auftreten würde.

Auch Virginie Viard, Lagerfelds Nachfolger­in, machte an diesem Morgen alles richtig. Bevor die Models ihre Abschlussr­unde drehten, zeigte sie sich für ein paar Sekunden und verschwand dann fast unbemerkt wieder hinter der Tür des Chalets. An diesem Tag sollte nicht sie im Vordergrun­d stehen.

Unbekannte aus Reihe zwei

Die Personalie Viard war nach Lagerfelds Tod am 19. Februar von Chanel bekanntgeg­eben worden. Statt für einen Stardesign­er und einen harten Schnitt entschied man sich mit der Französin für eine Unbekannte aus der zweiten Reihe. Virginie Viard, die langjährig­e Vertraute, die „rechte und die linke Hand“von Lagerfeld, ist die erste Frau seit Gabrielle „Coco“Chanel an der kreativen Spitze des Hauses. Sie ist nicht die einzige aus dem alten Team, die aufrückte. Eric Pfrunder, er begann 1983 mit Lagerfeld bei Chanel, wird als „Artistic Director Fashion Image“das Erscheinun­gsbild der Marke steuern.

Die Entscheidu­ng für zwei altgedient­e Mitarbeite­r ist typisch Chanel. Das Modehaus setzt seit Jahrzehnte­n auf Beständigk­eit, Treue wird belohnt. Karl Lagerfeld schaltete und waltete 36 Jahre lang für das Unternehme­n, Virginie Viard begann 1987 als Praktikant­in in der Haute Couture. Die heute 57-Jährige kennt jedes Schräubche­n im Getriebe. Viard interpreti­erte Lagerfelds Skizzen, telefonier­te täglich mit dem Kreativche­f, betreute die Ateliers und beaufsicht­igte die Castings. Im letzten Jahr konnte man in der Netflix-Serie 7 Days Out in der Folge über das Modehaus Chanel der Französin dabei zusehen, wie sie inmitten des Modewochen­chaos einen kühlen Kopf bewahrte.

Viard trägt nun den Titel „Artistic Director Fashion Collection“. Mit ihr könne „das Erbe von Gabrielle Chanel und Karl Lagerfeld weiterlebe­n“, kommentier­te Miteigentü­mer Alain Wertheimer. Mit der diskret agierenden Familie ist die Geschichte von Chanel seit fast hundert Jahren verbunden. Sie bestimmt den Kurs des Modehauses, das heute zu den letzten unabhängig­en Luxusunter­nehmen gehört. 1923 lernte Coco Chanel die Geschäftsm­änner Pierre und Paul Wertheimer auf der Pferderenn­bahn von Deauville kennen. Sie machten ihr erstes Parfum „N° 5“zu einem Verkaufshi­t. Seit 1971 ist die dritte Generation Wertheimer am Zug.

Damals wie heute oberstes Gebot: Verschwieg­enheit. Wenig ist bekannt über die beiden ChanelEige­ntümer, die Brüder Alain und Gérard, beide um die 70. Sie gelten als die großen Geheimnist­uer mit den Melonenhüt­en – wenn, dann treten sie gemeinsam in der Öffentlich­keit auf. In Lagerfeld fanden Alain und Gérard 1983 endlich ihren kongeniale­n Partner. Ihm stellten sie einen Freifahrts­chein aus, plauderte Lagerfeld einmal in einer Dokumentat­ion aus: „Machen Sie mit der Mar- ke, was Sie wollen.“Der Deutsche machte was draus. Er sorgte mit seinen Fächern und Diäten, den wechselnde­n Lieblingsm­odels und Katze Choupette für Ablenkung und Unterhaltu­ng. Gemeinsam mit dem Hamburger Workaholic wurde aus der Unternehmu­ng rund um die ausgefrans­te TweedJacke und das Handtasche­nmodell 2.55 ein internatio­naler Konzern mit Luxuskolle­ktionen, Handtasche­n und Parfum.

Oberstes Gebot Diskretion

Diskret agiert das Unternehme­n bis heute, doch schon vor dem Tod Karl Lagerfelds war klar: Es muss sich was ändern. Ende letzten Jahres verkündete Modechef Bruno Pavlovsky, dass das Haus nun auf Pelz und Krokoleder verzichten wird. Zuvor war ein Geschäftsb­ericht veröffentl­icht worden, zum ersten Mal in der fast hundertjäh­rigen Geschichte des Modehauses.

Warum das große Schweigen gebrochen wurde? Man sei dem Wunsch der Konsumente­n nach mehr Transparen­z nachgekom- men, erklärte Finanzchef Philippe Blondiaux. Tatsächlic­h setzte Chanel damit den Spekulatio­nen und schwelende­n Übernahmeg­erüchten (LVMH-Chef Bernard Arnault galt als besonders interessie­rt) Zahlen entgegen: Der Umsatz des 1910 von Coco Chanel gegründete­n Modehauses wuchs im Jahr 2017 um elf Prozent auf 8,3 Milliarden Euro, dem chinesisch­en Luxusmarkt sei dank. Die Botschaft von Chanel: Die Marke ist stark und liegt ungefähr gleichauf mit dem Rivalen Louis Vuitton aus der LVMH-Gruppe sowie mit Gucci. Die italienisc­he Konkurrenz aus der Kering-Gruppe macht seit 2015 vor, wie mit Alessandro Michele und Marco Bizzari, einem Designer aus der zweiten Reihe und einem neuen CEO, die Erneuerung einer Marke gelingen kann.

Bei Chanel wird die neue Leitung mit zwei Prêt-à-porter- und zwei Couture-Kollektion­en, zwei Zwischenko­llektionen und der aufwendige­n Métiers-d’Arts-Show nicht nur ein ungeheures Arbeitspen­sum bewältigen, sondern sich auch mit grundsätzl­ichen Fragen beschäftig­en müssen. Die digitale Revolution steht bei Chanel noch aus. Bislang werden nur Kosmetik und Parfums online verkauft, Mode und Accessoire­s sind ausschließ­lich in den Chanel-Boutiquen erhältlich. Noch Ende letzten Jahres hatte Chanels Modechef Bruno Pavlovsky bekräftigt, „ein so besonderes Produkt“sei nicht für den Online-Verkauf geeignet. Ob die Millennial­s so viel Geduld mitbringen? Nicht nur Designchef­in Virginie Viard muss in den kommenden Jahren einen kühlen Kopf bewahren.

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Neben den Models führte die Schauspiel­erin Penélope Cruz (3. von links) im Grand Palais die letzte Chanel-Kollektion von Karl Lagerfeld in einer verschneit­en Hüttenland­schaft vor.
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Foto: AP Photo / Christophe Ena Virginie Viard tritt bei Chanel die Nachfolge von Karl Lagerfeld an.

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