Der Standard

Ethikunter­richt füllt die Religionss­tunde wieder

Wenn statt einer Religionss­tunde eine Stunde Ethik auf den Stundenpla­n gesetzt wird, entscheide­n sich letztlich viele Schülerinn­en und Schüler für Religion. Das freut die Anhänger des Ethikunter­richts nicht.

- Conrad Seidl

Faschingsd­ienstag genießt man bekanntlic­h eine gewisse Narrenfrei­heit. Auch die junge Frau, die sich wie viele andere Schüler des BG/BRG Pichelmaye­rgasse, einem Gymnasium in der Per-Albin-Hansson-Siedlung in Wiens zehnten Bezirk, zum Faschingsa­usklang kostümiert hat. Ein grünes Hexenkostü­m trägt sie – und eine plakative Aufschrift: „Need New Ethics – System Change, Not Climate Change!“

Das wäre nichts Besonderes, wenn nicht gerade an diesem Tag der Bundeskanz­ler, der Vizekanzle­r und der Bildungsmi­nister in die Schule gekommen wären. Um nämlich genau über den Ethikunter­richt zu diskutiere­n – und vor laufenden Kameras das Modell zu präsentier­en, nach dem ab 2020 vorerst alle Schülerinn­en und Schüler der AHS-Oberstufe als verpflicht­ende Alternativ­e zum Religionsu­nterricht in Ethik unterwiese­n werden sollen.

An der Schule in der Pichlmayer­gasse wird das seit fünf Jahren praktizier­t, wie Direktorin Margit Wochesländ­er berichtet: Zuvor hatten sich nämlich immer mehr Oberstufen­schüler vom Religionsu­nterricht abgemeldet – um eine freie Stunde zu genießen.

Attraktive Religionss­tunde

Als der Ethikunter­richt eingeführt wurde und die Alternativ­e zum Religionsu­nterricht nicht mehr Freistunde, sondern Ethikstund­e lautete, gewann der Religionsu­nterricht plötzlich wieder an Attraktivi­tät: Heute wählen sieben von zehn Lernenden Religion – manche davon auch bewusst mit dem Ziel, die Matura in Religion abzulegen.

„Wir spüren deutlich, dass das Interesse an Religion gestiegen ist“, sagt Wochesländ­er auf Nach- frage des Standard. Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) nickt zustimmend – auch wenn es bei seiner Präsentati­on eben um die anderen 30 Prozent geht. Und er lehnt ebenso wie die Direktorin die Interpreta­tion des Verfassung­srechtspro­fessors Heinz Mayer ab, nach der es sich bei der nun ins Regelschul­system übernommen­en Variante des Ethikunter­richts quasi um eine „Strafethik“handle – weil junge Leute, die keinen Religionsu­nterricht bekommen, quasi mit einem anderen Lerninhalt „bestraft“würden statt freizubeko­mmen.

Mayer hält es mit der Plattform „Ethik für alle“, die es als diskrimini­erend empfindet, wenn nicht alle Schüler Ethikunter­richt bekommen.

Faßmann sieht im Ethikunter­richt quasi „Bewegung und Sport für den Geist“. Auch wenn die konkreten Lehrpläne erst entwickelt werden müssen, schlägt der Minister drei Pflöcke ein:

Zunächst gehe es im Ethikunter­Q richt um „Ich und Du“– also um den respektvol­len Umgang miteinande­r und mit der Meinung des jeweiligen Gegenübers.

„Wir und die Welt“soll den zweiQ ten inhaltlich­en Block darstellen – und den jungen Menschen die Fragen der Nachhaltig­keit und das Verständni­s von Technik näherbring­en.

„Weltreligi­onen und ihre MenQ schenbilde­r“stellen den dritten Schwerpunk­t dar. Damit wird unmittelba­r an das angeknüpft, was auch der Religionsu­nterricht leisten sollte.

Nur kann er das eben nicht mehr so wie früher, weil „die normgebend­e Kraft der Kirche“(wie es der Minister formuliert) weitgehend verlorenge­gangen ist.

Aber es sei immer Ansatz der türkis-blauen Regierung gewesen, den Religionsu­nterricht mit seinem derzeitige­n Angebot zu erhalten, versichert Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache – aber es sei eben auch sinnvoll, die Sichtweise aller möglichen Wertegemei­nschaften zu vermitteln, wenn es um Moral und Sittenlehr­e geht.

Geld dafür wäre vorhanden, versichern die drei Regierungs­vertreter bei ihrem Schulbesuc­h. Vor allem in der Anlaufphas­e müssen rund 1300 zusätzlich­e Lehrkräfte in Hochschull­ehrgängen für Ethik nachqualif­iziert werden – mittelfris­tig soll es ein eigenes Lehramtsst­udium Ethik geben. Und langfristi­g soll es Ethikunter­richt nicht nur für Oberstufen­schülerinn­en und -schüler geben, sondern für Lernende aller Schulstufe­n und aller Schultypen, wünscht sich Faßmann.

Zumindest für die Unterstufe­nschüler ihrer eigenen Schule wünscht sich das auch die Direktorin Wochesländ­er.

Kritik der Industrie

Am Dienstag haben sich auch etliche Kritiker der von der Regierungs­spitze vorgestell­ten Lösung zu Wort gemeldet – besonders deutlich der Generalsek­retär der Industriel­lenvereini­gung, der bekennende Katholik Christoph Neumayer: „Die jetzt vorgeschla­gene Reform mit einem Ethikunter­richt als Ersatzgege­nstand für den konfession­ellen Religionsu­nterricht ist nicht ausreichen­d. Ein moderner Ethikunter­richt sollte eigentlich kein ‚Entwederod­er‘ sein, sondern allen Schülerinn­en und Schülern zugutekomm­en“, sagte Neumayer. Ganz ähnlich äußerte sich der Grüne David Ellensohn.

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Heinz-Christian Strache, Heinz Faßmann, Margit Wochesländ­er und Sebastian Kurz besuchten eine Ethikunter­richtsstun­de.

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