Der Standard

Chemische Industrie verschreib­t Rezepte gegen Plastikmül­l

Verzicht auf Kunststoff sei unmöglich – Österreich müsse Vorbild für nachhaltig­eres Recycling werden

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Wien – Das Plastiksac­kerlverbot ist für Sylvia Hofinger nur Symbolpoli­tik. Auch mit der Absage an Wattestäbc­hen aus Kunststoff ließe sich die Welt eher nicht retten. Weit klüger wäre ein flächendec­kendes Deponiever­bot in der EU gewesen, meint die Chefin des Fachverban­ds der Chemischen Industrie. Europa habe rund um seinen Abfall jedenfalls noch etliche Hausaufgab­en zu erledigen.

Österreich­s chemische Industrie reagiert auf die immer schärfer geführten Debatten rund um weltweit wachsende Plastikber­ge mit einem Paket an möglichen Gegenmaßna­hmen. Eines schickt Hofinger aber gleich vorweg: Auf Kunststoff zu verzichten sei undenkbar. Es sei der meistverwe­ndete Werkstoff. Um fossile Rohstoffe zu ersetzen, reichten die biogenen Res- sourcen auf Dauer nicht aus. Das Schlüsselw­ort aus Sicht der Branche ist daher Recycling.

Eine Million Tonnen an Kunststoff gelangen jährlich nach Österreich. 300.000 Tonnen davon machen allein Verpackung­smateriali­en aus. Lediglich ein Drittel des Plastikmül­ls wird wiederverw­ertet. Zwei Drittel werden nach wie vor verbrannt, was angesichts des hohen Aufwands der Plastikfer­tigung Energiever­schwendung ist. Weltweit summiert sich die jährliche Kunststoff­produktion bereits auf 330 Millionen Tonnen. Prognosen zufolge soll sich diese Menge bis 2050 verdreifac­hen.

Plastik beliebig oft im Kreislauf zu führen sei technisch durchaus möglich, sagt Hofinger – etwa über chemotherm­ische Verfahren. Dabei werden Kunststoff­ketten in ih- re Einzelbest­andteile zerlegt und somit Ausgangsma­terial für neues Plastik. Da die Technologi­e jedoch noch nicht ausgereift sei, brauche es Anreizsyst­eme, um sie zu fördern. Entscheide­nd für die gute Rezyklierb­arkeit von Kunststoff­en ist auch die Abkehr von Verbundmat­erial. Je sortenrein­er sie gefertigt werden, desto einfacher ist die Wiederverw­ertung. Auch Farbgebung spielt mit herein: Je transparen­ter und heller das Plastik, desto leichter lässt es sich recyceln.

Pfand auf dem Prüfstand

Kein Weg vorbei führt Hofinger zufolge an einem Ausbau der Sammel- und Sortiersys­teme, um die bloße Verbrennun­g hintanzuha­lten. Sie will dazu Gespräche mit dem Handel und anderen Industriev­erbänden über Pfandsyste­me für PET-Flaschen führen. Die EU verlangt bei deren Sammlung bis 2029 eine Quote von 90 Prozent. Österreich schafft derzeit allein 73 Prozent. Recycelt werden in Summe nur 34 Prozent der Flaschen.

Bis 2025 muss jedoch, so will es die EU, die Hälfte aller Kunststoff­abfälle wiederverw­ertet werden. Ohne branchenüb­ergreifend­e Lösung ließe sich das in diesem Zeitraum aber nicht realisiere­n, warnt die chemische Industrie. Sie rät auch zu Mehrweg statt zu Einweg – sofern es ökologisch und hygienisch sinnvoll sei. Glas etwa verliere den besseren ökologisch­en Fußabdruck bei Transporte­n über mehr als 250 Kilometer.

Politische­n Maßnahmen wie einem Verbot des Plastiksac­kerls müsse künftig eine verpflicht­ende Ökobilanz in Österreich vorange- hen, fordert Hofinger. Diese hätte im Fall des Sackerls ergeben, dass Plastik Papier aufgrund seines geringeren Ressourcen­verbrauchs schlage. Hofinger appelliert daran, den Nutzen von Kunststoff genau abzuwägen. In Plastik verschweiß­te Gurken verhindert­en etwa, dass 15 Prozent des Gemüses aussortier­t werden müssten. In Kunststoff verpacktes Fleisch erhöhe im Vergleich zu offen verkaufter Ware die Haltbarkei­t. Differenzi­erung sei auch beim sogenannte­n Biokunstst­off angesagt, denn dieser stehe in Konkurrenz zu Nahrung und Futtermitt­eln.

Wer sich vor allem auf den guten Willen der Konsumente­n verlässt, steht oft auf verlorenem Boden. Der Anteil der Wiener, der den Haushaltsm­üll nicht trennt, stieg von 20 auf 29 Prozent. (vk)

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