Das ist der Unterschied
Zum 30er seines Festivals Imagetanz lässt das Brut-Theater es gut krachen: mit neun Paradebeispielen aus der pulsierenden jungen Performanceszene, darunter sechs Uraufführungen aus Österreich.
Und schon ist das vom Wiener Brut veranstaltete Imagetanz-Festival (bitte beachten: „image“wird hier französisch ausgesprochen) dreißig. Seit seiner Erstausgabe 1989 in dietheater Wien, wie das Brut bis 2007 hieß, hat sich die Welt so sehr verändert, dass ImagetanzKurator Flori Gugger seinen Festival-Fokus ausschließlich in die Zukunft lenkt.
Wagen wir trotzdem einen Blick zurück, fällt zuerst auf, dass es im 89er-Jahr eine freie Wiener Tanzszene überhaupt erst seit rund zehn Jahren gab. Von da an konnte man miterleben, wie es diese Kunstform zu ihrer heutigen ästhetischen Vielfalt bringen konnte – in Wien und international.
Fixstern für die Szene
Gugger unterstreicht die Rolle von Imagetanz dabei mit einem Satz des Festivalgründers Christian Pronay, dietheater-Leiter bis 2007: „Die Idee war ein Format, das neue Strömungen aufgreift und mit erfolgreichen Produktionen verbreitert.“Kuratiert wurde dieser Fixstern für die Wiener freie Szene vor Gugger von Anna Thier, Bettina Kogler, Katalin Erdödi und Jacopo Lanteri.
Ziel für alle war, die lokale Szene in über die Jahre recht unterschiedlichen Ausprägungen und im größeren Kontext von internationalen Gastspielen zu präsentieren. Von allen kleinformatigen Festivals, die Wien im Lauf der Jahre bereichert haben – wie Tanzsprache und Neuer Tanz im Wuk oder TanzKosmos im KosmosTheater –, konnte sich nur Imagetanz bis heute behaupten.
Explizites zum Frauentag
Für Flori Gugger ist es das „Aushängeschild“einer „jungen, lokalen und internationalen Tanzund Performanceszene im Wandel der Generationen“. Aus einem Interesse an innovativer Kunst komme auch das diesjährige FestivalMotto „dancing 30 years ahead“. Wichtig ist dem Kurator die Reflexion des Unterschieds zwischen Alltagsrassismen und „alternativen Strategien der Selbstermächtigung“aus „queer-feministischen Perspektiven“.
Nicht von ungefähr also hat Imagetanz seinen Auftakt diesmal am Internationalen Frauentag, dem 8. März. Und zwar mit dem Stück
Oh My von dem Berliner queerfeministischen Kollektiv Henrike Iglesias. Experimentiert wird hier ganz in Guggers Sinn „mit Pornografie als Strategie der Selbstermächtigung“. In einem künstlerischen Pornofilmset wird mit ma- nipulativer Stimme über Publikumskopfhörer sowie mit Sounds und Close-ups gespielt.
„Warum“, fragt die Gruppe, jetzt erstmals in Österreich, „wusste bis vor kurzem niemand, wie die Kli- toris wirklich aussieht?“Und: „Wer darf im Patriarchat Objekt und wer Subjekt sein?“
Dieser genitale Start ist zugleich die Einweihung der diesjährigen Hauptspielstätte Atelier Augarten. Mit vier Bühnen, einem kleinen Pavillon für Studiopräsentationen und drei Räumen des ehemaligen Ambrosi-Museums – in den größten wird eine Black Box eingebaut – plus einem Café, das während der ersten beiden Wochen als Treffpunkt für Gespräche und Austausch dient.
Weiter im Programm: Von Alltagsrassismus handelt das Duett
What’s the difference? der beiden Österreicherinnen Cat Jimenez und Maiko Sakurai Karner, deren familiäre Wurzeln auf den Philippinen und in Japan liegen. Mit Tanz und bildender Kunst untersuchen die beiden Performerinnen die Diskrepanzen zwischen Selbstgefühl und Außenwirkung als Österreicherinnen mit „asiatischem“Aussehen.
Ein Frauentrio – Jasmin Hoffer, Sara Lanner und Liv Schellander – untersucht in seiner gemeinsamen Arbeit Volume die Natur und Kultur des Mundes: zum einen als Übergangs-„Raum“zwischen der Außenwelt und dem Körperinneren und zum anderen als symbolträchtiges Werkzeug des Zusichnehmens und – auch als Teil der Mimik – des Sichäußerns.
Revolution der Kehrseite
Das, körperlich gesehen, andere Ende des Verdauungstrakts thematisiert der aus Frankreich stammende Wiener Robyn/Hugo Le Brigand in seinem Solo sans culot
tes, das mit Bezug auf die Französische Revolution eine „sanfte Revolution des Anus“zu werden verspricht. Der zweite männliche Künstler des Festivals ist der New Yorker Alex Franz Zehetbauer. In
Wet dreaming at 52Hz taucht er solo ab in die Akustik und Visualität von Walen.
Um die Sinnlichkeit des Ozeanischen, das Verführerische und Versessene im Meer der Gefühle, geht es der Finnin Elina Pirinen in ihrem Quintett Brume de Mer, während die Wienerin Zoë Schreckenberg die Geheimnisse von Übergangsphasen erkundet, wie sie Nach dem Aufstehen und vor dem Liegen unser Leben bestimmen. Und schließlich bewegt sich Sophia Hörmann, ebenfalls aus Wien, als Grenzgängerin zwischen den Oberflächen von Selbstdarstellung und Erwartungshaltung: unter dem Titel Glowing current
moods und inspiriert vom – Eiskunstlauf.
„Oh My“, im Atelier Augarten, 8. + 9. 3., 20.00; „What’s the difference“, Atelier Augarten, 12.–14. 3., 20.00; „sans culottes“, Atelier Augarten, 15.–17. 3., 19.00; „Wet dreaming at 52Hz“, Atelier Augarten, 15.–17. 3., 20.30; „Volume“, im Studio Brut, 19.–21. 3., 20.00; „Brume de
Mer“, Atelier Augarten, 22. + 23. 3., 20.00; „Nach dem Aufstehen und vor dem Liegen“, im Studio Brut, 27. 3., 20.00 + 29. 3., 18.30; „Glowing current moods“, im Dschungel Wien, 28. + 29. 3., 20.00