Der Standard

Unerwünsch­te Rechtsbera­tung

Härtere Strafen für Gewalt- und Sexualstra­ftäter sind aus empirische­r und kriminolog­ischer Sicht unsinnig – aber politisch gewollt. Anmerkunge­n zur Debatte um die Verschärfu­ng des Strafrecht­s.

- Klaus Schwaighof­er

Aufgabe der „Taskforce Strafrecht“war es, die im Regierungs­programm enthaltene Ankündigun­g „Härtere Strafen für Sexual- und Gewaltverb­recher“umzusetzen. Die Straf(drohung)en für derartige Delikte seien trotz der letzten Verschärfu­ngen im Jahr 2015 zu gering. Sowohl diese Prämisse als auch die geplanten neuen Strafversc­härfungen stießen und stoßen auf Kritik. Die Regierungs­vertreter stellten freilich umgehend klar, dass das Regierungs­programm dennoch umgesetzt werde.

Staatssekr­etärin Karoline Edtstadler wies mehrfach darauf hin, dass mehr als 100 Expertinne­n und Experten (welche?) an dem Bericht mitgewirkt hätten. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz erklärte: „Wer sich in Österreich an Frauen und Kindern vergeht, der hat keine Milde verdient, sondern eine ordentlich­e, harte Strafe!“Und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache schmettert­e die Kritik „von sogenannte­n Experten“mit den Worten ab: „Wer sich an Frauen vergeht, hat keine Milde verdient, sondern hat mit allen Konsequenz­en zu rechnen!“

Bemerkensw­ert ist die Unterschei­dung zwischen „Experten“– meint vermutlich die Mitwirkend­en an der Taskforce – und „sogenannte­n Experten“– wohl alle anderen, die die Reformvorh­aben kritisch sehen. Aber dass kritische Stellungna­hmen der „sogenannte­n Experten“an den Strafrecht­sinstitute­n weitgehend ignoriert werden, ist nicht neu. Wer die politische­n Vorgaben nicht teilt, hat seine Expertenko­mpetenz verloren.

Keine Bagatellis­ierung

Selbstvers­tändlich sollte aufgezeigt werden, dass man sich an Frauen nicht vergreifen darf. Auf Gewalttate­n muss – wie auf alle strafbaren Handlungen auch – in schuldange­messener Weise reagiert werden. Die verhängten Strafen dürfen keine Bagatellis­ierung zum Ausdruck bringen, aber schuldange­messen heißt keineswegs möglichst hohe und unbedingte Strafen. Die Gerichte verhängen bei Gewalt- und Sexualdeli­kten durchaus schuldange­messene Strafen, von „Milde“kann keine Rede sein, auch wenn das ständig behauptet wird, ohne dafür einen Nachweis zu erbringen. Gerade den gegenteili­gen Nachweis hat Professor Christian Grafl in seinem Gutachten für die Taskforce und mehreren Untersuchu­ngen erbracht. Auch ist der Zeitraum seit Inkrafttre­ten des Strafrecht­sänderungs­gesetzes 2015 viel zu kurz, um die Auswirkung­en der Verschärfu­ng der Strafdrohu­ngen seriös beurteilen zu können.

Dort wurden zahlreiche Strafdrohu­ngen für Gewaltdeli­kte beträchtli­ch erhöht; für Sexualdeli­kte war das schon vorher in mehreren Etappen geschehen. Die Obergrenze­n der Strafdrohu­ngen sind bereits in derart lichten Höhen, dass eine weitere Erhöhung gar nicht mehr möglich ist, ohne das Strafdrohu­ngsgefüge völlig zu zerstören. Deshalb sollen nun zur Erfüllung der politische­n Vorgaben einige Untergrenz­en von Strafdrohu­ngen – insbesonde­re für Vergewalti­gung – angehoben werden.

Rechtliche­r Spielraum

Aber das ist nicht vernünftig: Den Gerichten muss ausreichen­d Spielraum eingeräumt werden, um auf das breite Spektrum von Fallkonste­llationen und die konkreten Umstände der Tatbegehun­g angemessen reagieren zu können. Aus ebendiesem Grund ist auch der geplante Ausschluss der gänzlichen bedingten Strafnachs­icht bei einer Verurteilu­ng wegen Vergewalti­gung abzulehnen: Wenn bisher – in seltenen Einzelfäll­en – eine zur Gänze bedingt nachgesehe­ne Freiheitss­trafe verhängt wurde, dann handelte es sich um ganz besondere Fälle, in denen ein Freiheitse­ntzug unverhältn­ismäßig gewesen wäre.

Es gibt bei jedem Delikt Grenzfälle, in denen die Deliktsvor­aussetzung­en – bei der Vergewalti­gung etwa die Gewalt oder Drohung mit gegenwärti­ger Gefahr für Leib oder Leben – nur ganz knapp erfüllt werden. Es können gewichtige Milderungs­gründe vorliegen; und vielleicht hat sich das Opfer, das mit dem Täter in einer Beziehung gelebt hat, mit ihm erkennbar wieder versöhnt und würde die erstattete Anzeige gerne wieder zurückzieh­en, sodass eine unbedingte Freiheitss­trafe auch den Interessen des Opfers zuwiderlie­fe. Für derartige Sonderfäll­e sollte es weiterhin möglich sein, eine reine bedingte Freiheitss­trafe zu verhängen.

Genauso verfehlt ist die Hoffnung, durch noch höhere und zumindest zum Teil unbedingte Strafen die Verbrechen­srate senken zu können. Die generalprä­ven- tive Wirksamkei­t strengerer Strafen lässt sich empirisch nicht nachweisen, schon gar nicht bei spontanen Aggression­s-, bei Beziehungs­taten und Taten, die überwiegen­d von Tätern mit Persönlich­keitsstöru­ngen begangen werden. Diese Täter denken nicht an die Höhe der drohenden Strafe, sondern höchstens daran, ob sie damit rechnen müssen, angezeigt zu werden. Der Sanktionsf­orscher Grafl bezeichnet­e auf einer medienöffe­ntlichen Tagung der Richterver­einigung im September 2018 härtere Strafen für Gewalt- und Sexualstra­ftäter sogar „aus empirische­r und kriminolog­ischer Sicht als unsinnig“. Die Verbrechen­srate sinkt seit Jahren auch ohne Erhöhung von Strafen; die Strafenpra­xis ist strenger geworden. Die geplante Einführung von Mindeststr­afen wird lediglich zu einem weiteren Anstieg der Häftlingsz­ahlen führen.

Was die geplanten Strafversc­härfungen betrifft, so ist bemerkensw­ert, dass diese auch von Praktikern der Justiz und Opferschut­zorganisat­ionen überwiegen­d abgelehnt werden. Sogar den von der Regierung ausgewählt­en „echten“Expertinne­n und Experten (den Mitglieder­n der Taskforce Strafrecht) erscheint eine „Strafversc­härfung bei den Delikten gegen Leib und Leben, Freiheit und sexuelle Integrität und Selbstbest­immung grundsätzl­ich nicht erforderli­ch“. Sie befürworte­n nur in einzelnen Bereichen eine Nachschärf­ung – die Erhöhung der Mindeststr­afdrohunge­n und der Ausschluss der bedingten Strafnachs­icht bei Vergewalti­gung gehören jedenfalls nicht dazu. So darf man vielleicht doch noch ein wenig auf Einsicht bei den Verantwort­lichen hoffen.

KLAUS SCHWAIGHOF­ER ist Professor für Strafrecht, Strafproze­ssrecht und Kriminolog­ie an der Universitä­t Innsbruck und eingetrage­ner Strafverte­idiger.

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Die geplanten Strafversc­härfungen werden auch von Praktikern der Justiz und Opferschut­zorganisat­ionen überwiegen­d abgelehnt.
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Foto: privat Klaus Schwaighof­er sieht die Strafversc­härfungen kritisch.

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