Der Standard

Was sie bringt, warum sie verunsiche­rt

Die Regierung will gefährlich­e Asylwerber auf Verdacht einsperren und muss dafür die Verfassung ändern. Kommende Woche wollen ÖVP und FPÖ die Opposition überzeugen. Der Widerstand gegen das Vorhaben nimmt zu.

- FRAGE & ANTWORT: Irene Brickner, Marie-Theres Egyed, Katharina Mittelstae­dt, Karin Riss

Frage: Die Regierung will eine sogenannte Sicherungs­haft einführen. Was ist damit eigentlich gemeint?

Antwort: ÖVP und FPÖ möchten gefährlich­e Asylwerber einsperren, auch wenn sie nichts verbrochen haben. Anlass ist ein Fall in Dornbirn, wo ein mehrfach vorbestraf­ter und illegal eingereist­er Asylwerber einen Beamten tödlich verletzt haben soll. Wie die präventive Sicherungs­haft genau ausgestalt­et sein könnte, ist derzeit allerdings noch mehr als vage. Fix ist nur der Wille der Regierung, dass das Bundesasyl­amt einen Antragsste­ller festnehmen lassen kann – von ihm muss nach Ansicht der Beamten eine „Gefahr für die öffentlich­e Ordnung und nationale Sicherheit“ausgehen. Binnen 48 Stunden soll die Inhaftieru­ng dann von einem Richter überprüft werden.

Frage: Wie lange sollen betroffene Asylwerber ins Gefängnis?

Antwort: In der Punktation des Innenminis­teriums ist von einer Maximalfri­st von sechs Monaten die Rede. Zusatz: „längere Dauer nur bei besonderen Gründen“.

Frage: Wann gilt jemand als Bedrohung für die nationale Sicherheit und die öffentlich­e Ordnung?

Antwort: Hier braucht es jedenfalls eine klarere Definition, sind sich Rechtsexpe­rten einig. Dafür könnten Delikte aufgezählt werden – „oder man kann versuchen, die Begriffe so zu definieren, dass es nicht zu Pauschaler­mächtigung­en kommt“, sagt etwa Verfassung­sjurist Theo Öhlinger. Die Regierung versucht allem Anschein nach Letzteres. Eine Liste mit konkreten Delikten macht für das Innenminis­terium keinen Sinn, weil „in jedem Fall eine umfassende Einzelfall­prüfung zu erfolgen“habe.

Frage: Wie soll die Sicherungs­haft im österreich­ischen Rechtssyst­em verankert werden?

Antwort: Die Regierung muss dafür jedenfalls die österreich­ische Verfassung abändern, die bezüglich präventive­r Inhaftieru­ng derzeit strenger ist als die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion. Dafür braucht sie unbedingt SPÖ oder Neos für eine Zweidritte­lmehrheit. Am Mittwoch stellte das Justizmini­sterium klar, dass die geplante Neuregelun­g in jenen Passus eingebaut werden soll, der die verfassung­srechtlich­e Grundlage für die Schubhaft enthält. Dadurch sei sichergest­ellt, dass eine Sicherungs­haft nie auf andere Personengr­uppen als Asylwer- ber ausgedehnt werden könne, heißt es seitens des Justizress­orts. Experten ziehen das allerdings in Zweifel. Die Frage sei, ob Österreich überhaupt ausschließ­lich Asylwerber mit der Sicherungs­haft bedrohen darf. „Es kann theoretisc­h jeder die nationale Sicherheit gefährden. Das müsste für alle gelten, damit es nicht menschenre­chtswidrig ist“, sagt der Verfassung­sjurist Heinz Mayer.

Frage: Anlass für das Vorhaben der Regierung war der Mord an einem Beamten in Dornbirn, mutmaßlich begangen von einem türkischen Asylwerber. Haben hier die Behörden versagt, wie die Opposition behauptet? Antwort: Der Mann war mit einem Aufenthalt­sverbot belegt, wegen Gewaltdeli­kten verurteilt: Neos und SPÖ finden, unter diesen Voraussetz­ungen hätten die bestehende­n Gesetze gereicht, um ihn einzusperr­en. Beide wollen den Fall Dornbirn aufgeklärt wissen, bevor Gespräche mit der Regierung stattfinde­n könnten. Die Koalition lädt SPÖ und Neos für kommenden Donnerstag zu einem Treffen – die Opposition will aber nur über einen konkreten Gesetzesen­twurf reden, den es derzeit nicht gibt.

Frage: Was sagen Juristen dazu?

Antwort: Verfassung­srechtler Bernd-Christian Funk glaubt: „So wie es jetzt aussieht, gab es tatsächlic­h keine rechtliche Möglichkei­t“, um den Asylwerber zu inhaftiere­n. Kollege Theo Öhlinger will hingegen nicht ausschlie- ßen, ob nicht die Verhängung einer Untersuchu­ngshaft möglich gewesen wäre. Mayer ist überzeugt, dass es gegangen wäre. Richterver­einigungsp­räsidentin Sabine Matejka plädiert dafür, die von der Regierung behauptete Sicherheit­slücke erst zu untersuche­n. Sie fürchtet, dass die Regelung „für weitere einfachges­etzliche Eingriffe in Freiheitsr­echte“genutzt werden könne. Auch der Präsident des Rechtsanwa­ltskammert­ags, Rupert Wolff, warnt: „Das ist brandgefäh­rlich.“

Frage: Das Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl (BFA) ist für die Erstellung der Gefährderp­rofile zuständig. Sind Mitarbeite­r dafür geschult? Antwort: Alle Asylanträg­e werden im BFA von sogenannte­n Caseow- nern bearbeitet. Sie müssen keine juristisch­en Vorkenntni­sse oder eine spezielle Ausbildung in Asylund Menschenre­chtsfragen nachweisen. Das Personal wurde nach der Flüchtling­skrise 2015 massiv aufgestock­t, um den Anstieg der Asylanträg­e besser bewältigen zu können. Damals wurden vor allem Verwaltung­spraktikan­ten angeworben, ihre höchste Ausbildung ist die Matura. Aus dem BFA hieß es dazu, dass die Mitarbeite­r im Haus eine viermonati­ge Grundausbi­ldung absolviere­n müssen.

Frage: In welchen Ländern gibt es bereits eine Sicherungs­haft?

Antwort: Laut EU-Kommission gab es im April 2018 in zwölf Mitgliedst­aaten Regelungen, um Asylwerber „aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlich­en Ordnung“zu inhaftiere­n. Je nach Land wurde jene EU-Aufnahmeri­chtlinie, auf die sich auch die österreich­ische Bundesregi­erung bezieht, jedoch ganz unterschie­dlich umgesetzt. In Zypern, Tschechien und Luxemburg wurde sie bloß wortwörtli­ch in nationales Recht übernommen. Die Slowakei wiederum leitete aus dem Passus die Möglichkei­t ab, dass einfache Fremdenpol­izisten gefährlich­e Asylwerber in Haft nehmen können. Auch die Niederland­e haben ihre Variante der Sicherungs­haft umgesetzt. Diese wurde auch schon vom Europäisch­en Gerichtsho­f für rechtmäßig erklärt. Menschenre­chtsexpert­e Manfred Nowak relativier­t: Die dort Betroffene­n hätten bereits vorher Verbrechen begangen.

Frage: Auch in Österreich wurde die EU-Richtlinie bereits 2018 ins Fremdenpol­izeigesetz übernommen. Reicht das nicht, um gefährlich­e Asylwerber zu inhaftiere­n?

Antwort: Die Neos finden: Ja. Nowak stützt diese Rechtsmein­ung. Um solchen Asylwerber­n habhaft zu werden, müsse die Regelung nur präziser angewandt werden.

Frage: Gibt es in Staaten mit Sicherungs­haft Zweifel an deren Grundrecht­sentsprech­ung?

Antwort: Laut Nowak durchaus. In Frankreich zum Beispiel säßen derzeit 275 Minderjähr­ige in präventive­r Administra­tionshaft. Meist handle es sich um IS-Sympathisa­nten oder zurückgeke­hrte Kämpfer aus Syrien, doch vielen von ihnen würden keine Gesetzesve­rstöße vorgeworfe­n. Erst Mittwoch dieser Woche habe der UNMenschen­rechtsrat gegen diese Inhaftieru­ngen Kritik erhoben.

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