Der Standard

Der Kampf gegen Isolation und Unsichtbar­keit

Anlässlich des Weltfrauen­tages thematisie­rten Expertinne­n mit Behinderun­g ihre Lage

- Colette M. Schmidt

Als ich vier Jahre alt war, erhielt ich meinen ersten Stempel“, erzählt die Juristin Julia Moser am Donnerstag bei einer Pressekonf­erenz des Österreich­ischen Behinderte­nrats. Mit vier bekam sie die Diagnose Schwerhöri­gkeit und die Prognose, dass sie nicht sprechen würde.

„Ich hatte Glück“, sagt Moser, denn ihre Eltern setzten durch, dass sie in dieselbe Schule wie die Geschwiste­r gehen konnte, dann in ein Gymnasium, wo sie „mit 13 den zweiten Stempel bekam“: die Diagnose Usher-Syndrom, eine Hörsehbehi­nderung mit dem sukzessive­n Verlust des Sichtfelde­s. Wieder bekam Moser auch eine Prognose: „Man sagte mir, ich werde keinen Job haben und keine Familie.“Durch ein unterstütz­endes Umfeld studierte Moser in England und Wien. Sie ist Expertin bei der sozialen Unternehme­nsberatung My Ability und Vorsitzend­e des Forums für Usher-Syndrom.

Sie habe jahrelang versucht, ihre fortschrei­tende Erkrankung zu verstecken, erkannte aber: „Wenn ich sie weiter verstecke, trage ich dazu bei, dass ich mich selbst isoliere.“Moser thematisie­rte mit vier weiteren Expertin- nen mit Behinderun­g und der Geschäftsf­ührerin des Österreich­ischen Behinderte­nrats, Gabriele Sprengseis, „die Unsichtbar­keit von Frauen mit Behinderun­gen“. Diese sind zudem weit häufiger von psychische­r, physischer und sexueller Gewalt bedroht und öfter arbeitslos und armutsgefä­hrdet, oft trotz mehrerer abgeschlos­sener Studien.

Beate Koch, Betriebswi­rtin und Frauenrefe­rentin des ÖZIV Steiermark, erzählte, wie sie bei einer Bewerbung als Einzige den Test mit 100 Prozent abschloss, aber ein Mann ohne Behinderun­g den Job bekam. Christine Steger, Vorsitzend­e des unabhängig­es Monitoring­ausschusse­s hatte eine „Leben ohne Behinderun­g und dann eines mit“. Sie hat seit einem Unfall eine Beinprothe­se. „Plötzlich waren Dinge, die selbstvers­tändlich waren, nicht mehr für mich vorgesehen.“Steger pocht auf das Recht aller Frauen auf „Sexualität und ihren Kinderwuns­ch“. Es brauche mehr sexualpäda­gogische Konzepte und Peer-Beratung, nicht nur die „Willenserk­lärung zur UN-Konvention“.

Jasna Puskaric, Vorständin der WAG Assistenzg­enossensch­aft, und Isabell Naronnig von der Peer-Beratung Zeitlupe unterstric­hen die Wichtigkei­t der persönlich­en Assistenz für den selbstbest­immten Alltag. Viele Frauen könnten etwa nur durch persönlich­e Assistenti­nnen „mit Öffis in die Uni oder mit den Kindern ins Museum“, ohne von der Ursprungsf­amilie oder dem Partner abhängig zu sein. Daher fordere man eine bundesweit abgesicher­te persönlich­e Assistenz für alle.

Auch bei Podiumsdis­kussionen will man Expertinne­n mit Behinderun­g öfter sehen: Eine Liste mit 26 Frauen ist auf der Website des Behinderte­nrates abrufbar.

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Foto: Lukas Ilgner Gegen Unsichtbar­keit: Gabriele Sprengseis und Christine Steger.

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