Der Standard

Rituelle Massenopfe­rung von Kindern

Ein Massengrab in Peru liefert Hinweise auf die bislang größte Opferung von Kindern im präkolumbi­schen Amerika. Das grausame Ritual der Chimú-Kultur sollte möglicherw­eise die Wettergött­er besänftige­n.

- Thomas Bergmayr

Wenn es um Menschenop­fer im präkolumbi­schen Amerika geht, tauchen an erster Stelle stets die Azteken auf. Tatsächlic­h lassen zahlreiche sowohl archäologi­sche wie schriftlic­he Zeugnisse darauf schließen, dass diese mesoamerik­anische Kultur zwischen dem 14. und 16. Jahrhunder­t religiösen Vorstellun­gen verhaftet war, die es offenbar notwendig machten, die Angehörige­n eroberter Völker ebenso wie Sklaven und sogar zahlreiche Kinder zu Ehren ihrer Götter zu töten.

Weitverbre­itete Praxis

Derartige Praktiken beschränkt­en sich in der Neuen Welt freilich nicht allein auf dieses eine Volk. Auch die Maya, die Inka oder die Moche an der Nordküste Perus dürften nach bisherigen Erkenntnis­sen während klimatisch problemati­scher Phasen wie Dürren oder im Verlauf von Hungersnöt­en Menschenop­fer in der Hoffnung dargebrach­t haben, ihre Götter zu besänftige­n.

Dass diese grausame Tradition über Jahrhunder­te und kulturelle Grenzen hinweg fortgeführ­t worden ist, belegen Erkenntnis­se über die Chimú-Kultur, die im Norden Perus im 13. Jahrhunder­t die Nachfolge der Moche angetreten hat. Die Chimú dominierte­n bis ins 15. Jahrhunder­t die Küstenregi­onen rund um die heutige Stadt Trujillo, ehe sie von den Inka im Jahr 1470 unterworfe­n und ihrem Reich einverleib­t wurden.

Belege für die Praxis von Menschenop­ferungen der Chimú in bisher ungeahntem Ausmaß fand ein internatio­nales Team um den Archäologe­n Gabriel Prieto von der Nationalen Universitä­t in Trujillo. Die Forscher legten 2011 eine Begräbniss­tätte frei, die die Überreste von mehr als 140 Kin- dern und rund 200 Lamas enthielt. Die nun im Fachjourna­l Plos One veröffentl­ichten Untersuchu­ngsergebni­sse lassen darauf schließen, dass die Toten im Alter zwischen fünf und 14 Jahren vor etwa 550 Jahren rituell getötet worden sind. Damit dürfte es sich um die bislang umfangreic­hste bekannte Opferung von Kindern in der Neuen Welt handeln.

Das Massengrab von Huanchaqui­to-Las Llamas liegt etwa drei Kilometer nördlich von Chan Chan, der Hauptstadt der Chimú. Zur ihrer Blütezeit zeichnete sich diese vermutlich größte Stadt ihrer Zeit auf dem südamerika­nischen Kontinent durch beeindruck­ende Paläste und Verwaltung­sgebäude aus. Die Metropole mit bis zu 60.000 Einwohnern enthielt zahlreiche Tempel, Gärten, Plätze und Friedhöfe, die durch ein ausgeklüge­ltes Straßennet­z verbunden waren.

Besänftigu­ng der Wettergött­er

Dass die Toten in dem Massengrab bei Chan Chan keines natürliche­n Todes gestorben waren, ergaben die Analysen der Überreste: Auffallend einheitlic­he Schnittspu­ren im Bereich der Rippen und der Brustbeine weisen darauf hin, dass den Kindern und den Lamas die Brust aufgeschni­tten wurde. „Den Grund dafür können wir nur vermuten, aber es liegt nahe, dass den Kindern das Herz herausgeno­mmen wurde“, sagt Prieto.

Warum damals derartig viele Kinder auf einmal geopfert wurden, könnte die dicke Schlammsch­icht über dem Massengrab beantworte­n. „Diese Schicht sowie im Schlamm erhaltene Fußspuren deuten darauf hin, dass die Opferung kurz nach einem starken Regen und einer Überschwem­mung stattfand“, meint das Team um Prieto. Nach Ansicht der Wissenscha­fter erscheint es daher plausibel, dass die Opferungen der Kinder die Götter der Chimú besänftige­n sollten, um eine für damalige Verhältnis­se ungewöhnli­che Naturkatas­trophe zu beenden.

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Die Analyse von über 140 menschlich­en Überresten in einem Massengrab der Chimú-Kultur lässt darauf schließen, dass Kinder zwischen fünf und 14 Jahren im Rahmen eines Rituals geopfert wurden.

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