Der Standard

Caster Semenyas Rennen gegen die Testostero­nregel

Ab 8. Mai gilt für Läuferinne­n über bestimmte Strecken ein Testostero­ngrenzwert. Caster Semenya rennt heute in Doha über 800 Meter und weiter gegen die vom Sportgeric­htshof CAS bestätigte Regel an.

- Sigi Lützow

In Doha darf Caster Semenya nach aktuellem Stand das letzte Mal ihren natürliche­n Vorteil auf ihrer Paradestre­cke voll nützen. Die je zweimalige Olympiasie­gerin und Weltmeiste­rin hat sich kurzfristi­g entschloss­en, zum Auftakt der Diamond League in Katar den Sieg über 800 Meter abzuholen. Ihre persönlich­e Bestzeit aus dem Vorjahr liegt schließlic­h mehr als fünf Sekunden unter der von der Australier­in Catriona Bisset gehaltenen Jahreswelt­bestzeit über die doppelte Stadionrun­de.

Lauf der Instanzen

Semenya, die heuer erst über 200, 1500 und 5000 Meter lief, sicherte sich die bestmöglic­he Bühne für die Fortsetzun­g ihres Kampfes gegen die vom internatio­nalen Leichtathl­etikverban­d beschlosse­ne Regel, wonach Läuferinne­n über die Strecken zwischen 400 Meter und einer Meile (1609 Meter) sechs Monate vor jedem Wettkampf einen Testostero­nwert von maximal fünf Nanomol pro Liter Blut aufweisen dürfen. Die 28-jährige Südafrikan­erin, die aufgrund intersexue­ller Anlagen klar über diesem Wert liegt, ihn also in Zukunft künstlich drücken müsste, blitzte am Mittwoch vor dem Internatio­nalen Sportgeric­htshof CAS mit ihrem Einspruch gegen das Regelwerk der IAAF ab. Semenya kann gegen das Urteil vor das Schweizer Bundesgeri­cht ziehen, auch der Gang vor den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte ist denkbar.

Sportrecht­ler halten eine Klärung vor einem ordentlich­en Gericht für sinnvoll. Der CAS hatte den Einspruch Semenyas abgewiesen, obwohl er selbst die IAAFRegel als „diskrimini­erend“bezeichnet­e. Schließlic­h wurde aber die Chancengle­ichheit für die große Mehrheit der Läuferinne­n als höheres Gut bewertet. Entscheidu­ngen in ähnlichen Fällen wurden zumindest indirekt den Sportverbä­nden überantwor­tet. Das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC), das selbst einen Testostero­ngrenzwert in doppelter Höhe empfohlen hat, installier­te eine Expertengr­uppe, die den Verbänden helfen soll, beim Thema Geschlecht­sidentität „sportartsp­ezifische Richtlinie­n und Regelungen in Bezug auf Fairness, Sicherheit, Inklusivit­ät und Nichtdiskr­iminierung“zu gestalten.

Aus Südafrika kam vernichten­de Kritik am CAS. „Das ist ein enttäusche­ndes Urteil. Es ist eine Verletzung ihrer Menschenre­chte“, sagte Frauenmini­sterin Bathabile Dlamini. Beim nationalen Leichtathl­etikverban­d ASA fühlte man sich gar gleich an die Zeit der Rassentren­nung erinnert. Der CAS habe „die Wunden der Apartheid geöffnet“.

Differenzi­erter urteilte ein Kommentato­r der BBC. „Niemand hat wirklich gewonnen. Eine Seite hat nur weniger verloren als die andere.“Semenya müsse eine grausame Entscheidu­ng fällen: sich einer radikalen Hormonther­apie unterziehe­n oder sich von dem Sport zurückzieh­en, der ihr Leben definiert habe. Die britische Marathon-Weltrekord­lerin Paula Radcliffe verteidigt­e das Urteil des CAS klar, „weil es festschrei­bt, dass der Frauenspor­t Regeln benötigt, um ihn zu schützen“.

„Furchtbar unfair“und „prinzipiel­l falsch“findet dagegen Tennislege­nde Martina Navratilov­a das Verdikt der drei Sportricht­er. Semenya habe „nichts Falsches getan, und es ist schrecklic­h, dass sie nun Medikament­e nehmen muss, damit sie an Wettkämpfe­n teilnehmen kann“, sagte die 62Jährige. „Allgemeine Regeln sollten nicht aus ungewöhnli­chen Fällen abgeleitet werden.“

Verstand vs. Empathie

„Mich würde wirklich interessie­ren, was Usain Bolt sagen würde, wenn man ihm Hormone gäbe, damit seine Beine schrumpfen. Nichts anderes verlangt man von Semenya“, vertrat der Deutsche Balian Buschbaum, der als Yvonne Buschbaum mehrfach deutscher Stabhochsp­rungmeiste­r war, einen plakativen Ansatz. Er findet es schade, „dass Gerichte über Verstand und nicht mit Empathie entscheide­n“.

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Caster Semenya kämpft nicht nur, sie läuft auch gegen die Testostero­nregel des Weltverban­ds an.

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