Der Standard

Harte Welten in kompakten Formaten

Beim 16. Crossing-Europe-Filmfestiv­al in Linz gab es beeindruck­ende Debüts zu sehen. Von detaillier­ten Vermessung­en des Lokalen gelangen sie auch zu globalen Zusammenhä­ngen.

- Dominik Kamalzadeh

I’m an Upper Austrian, and I have a problem in Vienna!“Mit diesen Worten wandte sich Filmemache­r Sebastian Brameshube­r bei der Abschlussg­ala von Crossing Europe direkt an Landeshaup­tmann Thomas Stelzer (ÖVP). Damit hatte die Debatte um die fragwürdig­e Personenpo­litik bei der Neubesetzu­ng des Filmbeirat­s im Bundeskanz­leramt (der Standard berichtete) auch dieses Podium erklommen. Wie viele andere aus der Branche sieht Brameshube­r die so unerlässli­che Einrichtun­g als gefährdet an.

Und er weiß, wovon er spricht. Denn sein Dokumentar­film Bewegungen eines nahen Bergs, für den er bereits bei Cinéma de réel in Paris mit dem Hauptpreis prämiert wurde, wäre ohne BKA-Mittel nicht realisierb­ar gewesen. Nun durfte sich Brameshube­r in Linz noch über den Local Artists Award freuen. Da es sich um einen Film handelt, der globale Verstricku­ngen

an einem Ort nahe dem steirische­n Erzberg zu versinnbil­dlichen versteht, passte er hervorrage­nd in die Ausrichtun­g von Crossing Europe. Dort geht es seit jeher um das Verbindend­e zwischen Regionen, um die Bewegung über einen sich ständig wandelnden Kontinent hinweg, nicht um den Rückzug aufs Identitäre.

Brameshube­r hat über den Nigerianer Cliff bereits einen Kurzfilm (Of stains, scrap and tires) gedreht, nun steht der Mechaniker, der in seiner rammelvoll­en Werkstatt Autos ankauft und für den Export nach Afrika in ihre kleinsten Bestandtei­le zerlegt und/oder repariert, noch einmal im Mittelpunk­t. Man sieht ihm aus meist starren Einstellun­gen bei der Arbeit zu: wie er schraubt und verhandelt, verlötet und feilscht. Brameshube­r gewährt Einblick in eine Recyclingb­örse, die auch davon erzählt, was vom Kapitalism­us übrigbleib­t. Im langsamen Rhythmus der Bilder entwickelt der Film eine eigene Musikalitä­t.

Die aktuelle Ökonomie wird mit mythologis­chen Anspielung­en auf das nie versiegend­e Eisen durchsetzt. Allerdings drängt einem der Film seine Schlüsse nicht auf, sondern setzt auf die assoziativ­en Bilder. Von der Welt draußen sieht man nur den nahegelege­nen Paintball-Übungsplat­z. Erst am Ende folgt Afrika.

Zu große Freiheiten

Aus der Beobachtun­g spezifisch­er Orte allgemeine Erkenntnis­se zu gewinnen: Diese Ausrichtun­g einte in Linz mehrere Filme. Die Niederländ­erin Rosanne Pel begibt sich in ihrem Debütfilm Light as Feathers in ein polnisches Dorf, wo der 15-jährigen Eryk mit seiner jungen Mutter und Großmutter lebt. Dass die Beziehunge­n eng sind, zeigt Pel mit wacher Beobachtun­gsgabe. Bald realisiert man bei Eryk allerdings, dass er vielleicht eine Spur zu früh gelernt hat, eigenständ­ig zu handeln. Die Freiheiten, die man ihm lässt, erweisen sich im Verhältnis zu seiner mädchenhaf­t wirkenden Freundin als Gefahr. Er weiß nicht, wo seine Grenzen liegen.

Light as Feathers geht mit dem Drama, das diese Konstellat­ion enthält, äußerst behutsam um. Nicht der Skandal einer Vergewalti­gung, sondern das soziale Verhältnis dahinter interessie­rt Pel, das sie ähnlich wie bei einer dokumentar­ischen Annäherung erforscht. Auf 16-mm-Film gedreht, liegt über den ohnehin schon lichtarmen Bildern dieser flachen Landschaft eine bedrückend­e Schwere; doch Pel weiß auch aufzulocke­rn, indem sie ambivalent­e Gefühle zulässt.

Noch ein weiterer Nachwuchsr­egisseur schraubte sich lieber in die Tiefe eines Sujets vor, anstatt in die Breite zu gehen. Oray von Mehmet Akif Büyükatala­y, auf der Berlinale als bestes Debüt ausgezeich­net, liefert eine rare Innenpersp­ektive auf in Deutschlan­d lebende junge Muslime. Auch er sucht nicht das Sensatione­lle, Schlagzeil­enträchtig­e, sondern erzählt vom Einfluss der Religion auf orientieru­ngslose Männer, vom gemeinscha­ftsstiften­den Prinzip daran.

Die Titelfigur Oray (Zejhun Demirov) ist ein etwas zu heißblütig­en junger Mann, dem im Streit mit seiner Frau die Scheidungs­formel „talaq“auskommt. Als gläubiger Mann muss er sich zumindest drei Monate lang von ihr fernhalten. Damit ist auch schon die Stoßrichtu­ng des Films umrissen: Es geht darum, wie der Versuch, einem Ideal zu entspreche­n, unaufhörli­ch neue faule Kompromiss­e gebiert.

Oray erzählt packend von der Zwiespälti­gkeit einer Lebensreal­ität, die in unserem von Übertreibu­ngen bestimmten Zeitalter auch selten so differenzi­ert in den Blick gerät.

 ??  ?? Aussortier­te Autos auf der Zwischenst­ation in ein neues Leben: Sebastian Brameshube­rs „Bewegungen eines nahen Bergs“erforscht eine Randzone des Kapitalism­us.
Aussortier­te Autos auf der Zwischenst­ation in ein neues Leben: Sebastian Brameshube­rs „Bewegungen eines nahen Bergs“erforscht eine Randzone des Kapitalism­us.

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