Der Standard

Ernsthafte Warnrufe

Die Resultate der Rangliste von Reporter ohne Grenzen sind kein illiberale­r Freibrief, auch in Österreich geschieht Bedenklich­es, warnt die Österreich-Chefin von Reporter ohne Grenzen am Tag der Pressefrei­heit.

- Rubina Möhring

Ich habe noch immer einen Traum: Der Internatio­nale Tag der Pressefrei­heit, seit vielen Jahren der 3. Mai, wird global ein Feiertag zu Ehren gelebter und damit lebendiger Demokratie. Natürlich als schul- und arbeitsfre­ier Tag. Ein staatlich verordnete­r Nachdenkta­g über Medien- und Informatio­nsfreiheit. Dieser wäre heutzutage notwendige­r denn je.

Im Ranking von Reporter ohne Grenzen Internatio­nal ist Österreich bekanntlic­h um fünf Punkte abgerutsch­t. Nicht nur das, Österreich fiel damit auch aus dem demokratie­politisch unbedenkli­chen Bereich hinunter in die Kategorie demokratie­politisch kränkelnde­r Staaten. Ähnliches hatten wir schon einmal unter der schwarz-blauen Regierung. Nach dieser dunklen Regierungs­periode hatte sich Österreich in Sachen Medien- und Demokratie­politik Schritt für Schritt wieder erholt und nach vorn gearbeitet. Maßgeblich war damals auch die neuerliche Liberalisi­erung der ORF-Berichters­tattung. Nun sind wir wieder dort, wo wir Anfang dieses Jahrhunder­ts schon einmal waren.

„Unbotmäßig­e“Fragen

Der vergangene Beobachtun­gszeitraum für die Analyse seitens Reporter ohne Grenzen Internatio­nal ist zugleich eine Analyse des ersten Regierungs­jahres der im Dezember 2017 angelobten neuen rechts-rechten Regierungs­koalition. Viel Bedenklich­es ist in diesem einen Jahr geschehen. ORF-Journalist­en und -Journalist­innen wurden von der Regierung, vor allem vom kleineren Koalitions­partner FPÖ, öffentlich angegriffe­n, um diese mundtot zu machen.

ZiB 2-Moderator Armin Wolf wurde der Lüge bezichtigt und mit dem Vorwurf konfrontie­rt, „unbotmäßig­e“Fragen zu stellen. Die profession­ell distanzier­te Berichters­tattung des UngarnKorr­espondente­n

Ernst Gelegs erboste den FPÖ-Mann und Vorsitzend­en des ORF-Stiftungsr­ates Norbert Steger. Gelegs sei sofort von seinem Korrespond­entenposte­n abzuziehen, drohte Steger. Dem Redaktions­leiter des wöchentlic­hen Politmagaz­ins Report, Wolfgang Wagner, wurde die Interviewk­ultur des einstigen DDR-Fernsehens unterstell­t. Die konkreten Inhalte und Ziele solcher Interventi­on: Einschücht­erungspoli­tik durch Verleumdun­g sowie Einschücht­erungsvers­uche durch Diffamieru­ng.

Diskurs auf Augenhöhe

Insofern war Wolfs ZiB 2-Studiogesp­räch mit Bundeskanz­ler Sebastian Kurz am letzten Apriltag ein Labsal. Das war ein Diskurs auf gegenseiti­ger Augenhöhe, wobei Moderator Wolf in seiner Körperspra­che authentisc­her wirkte als sein Gegenüber. Die Körperspra­che des Bundeskanz­lers wirkte mit den zwischendu­rch vor der Gürtellini­e gefalteten Händen nahezu priesterli­ch. Weniger christlich-demokratis­ch hingegen wirkten dessen aus heiterem Himmel artikulier­te falsche Vorwürfe gegenüber der SPÖ: Diese sei einem sowjetisch­en Massenmörd­er namens Lenin hörig. Mehrmals wiederholt­e er diese Propaganda­these in dem ZiB 2-Interview. Quizfrage – auch an den Bundeskanz­ler: Was bedeutet der Name Lenin? Wie lautet Lenins Vorname? Wann lebte Lenin in Wien?

Erst jüngst hatte Kurz nationalis­tische Exzesse von FPÖ-Politikern explizit widerlich genannt und sich von diesen distanzier­t. Er hasse Rassismus und liebe die Pressefrei­heit. So weit, so gut. Nicht klar distanzier­t hat er sich hingegen von der FPÖ-Warnung vor einem „Bevölkerun­gsaustausc­h“, der ein von den rechtsextr­emen Identitäre­n geschaffen­er Begriff ist. Hierzu befragt, weicht Kurz in allgemeing­ültige Phrasen aus, ohne seinen Koalitions­partner zur Rechenscha­ft zu ziehen, warum dieser sich justament dieses rechtsextr­emen Vokabulars bediene.

Manche Parallelen zwischen dem Vokabular aus der Zeit des Hitler’schen „Dritten Reiches“und diverser FPÖ-Politiker scheinen ihn nicht zu stören, vielleicht sogar einfach nicht aufzufalle­n. „Lernen Sie Geschichte“, maßregelte einst Bundeskanz­ler Bruno Kreisky einen Journalist­en. Dieser Zuruf könnte heute auch Kurz gelten, der es sich als erster ÖVPler nicht nehmen ließ, in Kreiskys einstiges Büro einzuziehe­n. Kreisky selbst konnte den Raum nicht leiden.

„Die Pressefrei­heit ist ein hohes Gut, darüber brauchen wir nicht lange (zu) diskutiere­n.“Das hätten alle Politiker zu akzeptiere­n, war Kurzens Sager am Tag der Arbeit. Doch auch die Medien, und hierbei vor allem die öffentlich-rechtliche­n. Drohungen gegenüber Journalist­en hätten absolut keinen Platz, das sei selbstvers­tändlich, so der Bundeskanz­ler am 1. Mai. Der Konflikt zwischen ORF und FPÖ mache ihn „unglücklic­h“. Sein eigener Konflikt mit dem ORF-Radio blieb unerwähnt.

Kurz wäre nicht Kurz, holte er bei dieser Gelegenhei­t nicht auch zu einer allgemeine­n Mediensche­lte aus. Selbst unter den Journalist­en ginge es immer härter zu. Wer die Regierungs­arbeit lobe, werde von Kollegen in Social Media sofort attackiert. Flugs kommentier­te der zuständige ORFChefred­akteur in der Hauptnachr­ichtensend­ung ZiB 1 emphatisch die vormittags vorgestell­te Steuerrefo­rm. Gut gemacht, oder?

So weit zu Österreich, das unter der jetzigen Regierung zunehmend in ein autokratis­ches Politsyste­m zu rutschen droht. Warum auch nicht, könnte man meinen. Schließlic­h ist eine solche antidemokr­atische Rechtsruts­ch-Entwicklun­g in ganz Europa wahrnehmba­r. In den meisten Ländern verschlech­terte sich die Situation der Medien. Das besagt ja auch die jährliche internatio­nale Rangliste von Reporter ohne Grenzen. Ein illiberale­r Freibrief sind diese Resultate jedoch nicht. Im Gegenteil: Sie sind ernsthafte Warnrufe.

Zeiten der Desinforma­tion

Der Welttag der Pressefrei­heit wurde übrigens 1993 aus der Taufe gehoben. Seit 22 Jahren verleiht außerdem die Unesco jährlich am 3. Mai einen internatio­nalen Medien-Award. Heuer unter dem Motto „Medien für Demokratie: Journalism­us und Wahlen in Zeiten der Desinforma­tion“. Preisträge­r sind die zwei Reuters-Journalist­en Kyaw Soe Oo und Wa Lone aus Myanmar, die beide 2017 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden sind.

Die beiden hatten Hintergrün­de eines Mordes an Rohingya-Männern durch die myanmarisc­he Armee recherchie­rt. Der Mord an den Rohingyas ist in Myanmar ein Tabuthema.

Österreich rutschte im ROG-Ranking in die Kategorie demokratie­politisch kränkelnde­r Staaten ab. Rubina Möhring, Reporter ohne Grenzen “

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Ein Diskurs auf Augenhöhe: das „ZiB 2“-Studiogesp­räch von Armin Wolf und Sebastian Kurz.
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