Der Standard

Kritik ist zumutbar, Herr Kurz

Die Attacken von Türkis-Blau auf Kritiker zeugen von mangelnder Souveränit­ät

- András Szigetvari

Der Umgang der Regierung mit ihren Kritikern und Kritik ganz allgemein nimmt immer häufiger bedenklich­e Züge an. Unliebsame Stimmen werden diffamiert, Kritik führt zu Gegenangri­ffen. Einen ganz bemerkensw­erten Satz in diesem Zusammenha­ng sagte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz anlässlich der Präsentati­on der Steuerrefo­rm.

Er wurde von Journalist­en gefragt, warum seine Regierung bisher abseits weniger Ausnahmen keine Details darüber preisgeben will, wie die Steuerrefo­rm finanziert werden soll. Die Antwort des Kanzlers: „Ich bin mittlerwei­le lange genug in der Politik, dass ich weiß, wenn ich Ihnen jetzt darüber hinaus Details nenne, dann wird das die Opposition verdrehen und monatelang benutzen, um Ängste zu schüren und das Land zu spalten. Das möchte ich der Bevölkerun­g ersparen.“

Dieser Satz darf in einer Demokratie nicht unwiderspr­ochen stehenblei­ben. Wenn der Kanzler sagt, dass er keine zusätzlich­en Informatio­nen geben möchte, weil er der Öffentlich­keit die Kritik der Opposition nicht zumuten will, dann blitzt hier eine bedenklich­e Grundhaltu­ng über den Wert demokratis­cher Debatten auf. Wovor werden wir beschützt – davor, uns eine Meinung bilden zu können?

Die Aussage ließe sich leicht als einmaliger Ausrutsche­r abtun, wenn davor nicht so viel zusammenge­kommen wäre. So ist inzwischen üblich, dass ÖVP und FPÖ, wann immer sie ein neues Vorhaben ankündigen, einzelne Informatio­nen zunächst bestimmten Medien weitergebe­n. Damit dominieren sie die Schlagzeil­en tagelang.

Experten und Opposition melden sich dann natürlich zu Wort, mitunter sehr kritisch. Die Regierung reagiert darauf, indem sie sich zum Opfer stilisiert. Tenor: Wir werden schon attackiert, noch ehe unser ganzer Plan auf dem Tisch liegt. Dass die eigene Salamitakt­ik keine Alternativ­e zulässt, wird verschwieg­en. So lief es schon bei der Diskussion rund um die Sicherungs­haft von Innenminis­ter Herbert Kickl – und auch diesmal, als Details zur Steuerrefo­rm durchsicke­rten. Kurz sprach später von „absurd wirkenden Attacken“, die es gegen die Reform schon im Vorfeld gebe.

Damit nicht genug, wird parallel dazu ORF-Moderator Armin Wolf von der FPÖ attackiert, weil er seinen Job gemacht und dem freiheitli­chen Poli

tiker Harald Vilimsky kritische Fragen gestellt hat. Das ist reine Diffamieru­ng.

Und um von der Debatte über Querverbin­dungen der FPÖ mit den Identitäte­n abzulenken, gingen Regierungs­mitglieder schließlic­h zum Gegenangri­ff auf die SPÖ über, weil beim 1.Mai-Aufmarsch auch Anhänger der kurdischen PKK, die als Terrororga­nisation eingestuft wird, mitmarschi­erten. Das ließe sich durchaus einmal thematisie­ren. Hier wirkt es aber bloß wie ein kruder Fall von „whatabouti­sm“der Regierung, bei dem auf einen Vorwurf einfach mit einem Gegenvorwu­rf geantworte­t wird.

Kritik kann wehtun. Sie ist manchmal unfair. Medien und Opposition sehen ihre Rolle darin, auf Verfehlung­en der Regierende­n hinzuweise­n. Wenn etwas gut läuft oder richtig entschiede­n wird, dann kommt das oft zu kurz. Aber das auszuhalte­n und damit souverän umzugehen, sich der Debatte dennoch zu stellen, ist Aufgabe einer demokratis­chen Regierung. Zumal harte Kritik nicht nur diese, sondern auch alle Vorgängerk­oalitionen getroffen hat.

An der Rollenvert­eilung hat sich in Österreich nichts verändert. Verändert hat sich der Umgang der Regierung mit der kritischen Öffentlich­keit.

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