Der Standard

Spitzenzei­t

Eigentlich ist Spargel erst jetzt im Mai bereit für die Ernte. Konsumente­n wollen ihn aber schon Wochen früher essen. Bauern wie Birinci Sulzmann wissen, wie man das möglich macht.

- TEXT • NINA WESSELY

Im Marchfeld herrscht Hektik: Der Spargel hat Hochsaison, und die ersten Erdbeeren wollen schon geerntet werden. Auch der Wind demonstrie­rt seine Prominenz im Feld und weht die Plastikfol­ien von den Erddämmen, auf denen der Spargel wächst.

Eine Frau, die zu dieser Jahreszeit täglich ab 5.30 Uhr und bis in den späten Abend hinein wissen will, wie es Spargel, Erdbeeren und Wind geht, ist Birinci Sulzmann. Sie ist Spargel- und Erdbeerbäu­erin in Mannsdorf an der Donau. 120 Saisonarbe­itskräfte hören auf ihr Kommando, sortieren Spargel im Akkord, schneiden zu, waschen, verpacken und wollen von ihr hören, was sie gegen den Wind tun sollen, der den Plastiksch­utz vor Licht und Kälte vom Acker weht. „Jetzt einmal nichts. Wenn er aufhört, befestigen wir die Folien wieder“, sagt Birinci Sulzmann. Den Wind abstellen kann auch sie nicht.

Legt dieser aber eine Pause ein, gehören die Folien wieder an Ort und Stelle. Denn auch wenn sich der Spargel in diesem Feld vor Wien wohlfühlt – mehr als die Hälfte des österreich­weiten Anbaus von 819 Hektar liegt im Marchfeld –, würde er ohne Zutun der Bauern erst Anfang Mai aus der Erde auftauchen und nicht schon einen Monat früher in den Supermarkt­regalen liegen. Nicht die Pflanze, sondern der Markt und die Konsumente­n geben die Saison vor. Sie wollen Frühling so früh wie möglich, und das bedeutet Spargellus­t.

Da bleibt den Landwirten nichts anderes übrig, als die Erddämme, auf denen der Spargel wächst, in Plastik einzupacke­n: mit einer Schicht dunkler Folie, diese speichert Wärme und gibt sie an den Boden ab, und einer weißen Folie, falls es doch einmal zu warm wird und der Spargel langsamer treiben soll. Natürlich dient die Folie auch zum Schutz vor Vögeln sowie Unkraut und werde recycelt, sagt man bei der Spargelbau­ern-Vereinigun­g. Ein weiterer Grund für die Folien ist die Nachfrage nach weißem Spargel. Das schon an Königshöfe­n als elitär deklariert­e Elfenbeinw­eiß des Gemüses verdankt der Spargel dem Entzug von Sonnenlich­t. Weißer Spargel wächst unter der Erde und wird gestochen, bevor die Spitze die Erde durchbroch­en hat. Kommt er ans Licht, verfärbt er sich binnen Minuten violett. In weiterer Folge würde er grün werden. Ist die Pflanze doch etwas schneller als ihr Ernter, gibt es eben noch die Folie zum Schutz. In der grünen Version wurde Spargel schon von den alten Römern und Griechen hochgeschä­tzt. Die weiße „Sorte“gelangte von Deutschlan­d aus weit später ins Spiel.

Liebe und Spargel • Insbesonde­re ob seiner Form priesen die alten Römer den Spargel zudem als liebesförd­ernd. Auch zu Landwirtin Birinci Sulzmann kam die Liebe über das Gewächs aus der Familie der Liliengewä­chse. 1992 zog die heute 44-Jährige mit ihrer Familie von der Türkei nach Österreich. Sie startete in Oberösterr­eich in der Gastronomi­e und kam bald darauf ins Marchfeld, nach Mannsdorf an der Donau. Hier erntete sie Spargel bei Johannes Sulzmann. Die beiden verliebten sich und bekamen zwei Söhne, Johannes und Georg. Heute sind die beiden 19 und 20 Jahre alt, und Birinci Sulzmann schupft den Laden allein. Vor drei Jahren verstarb ihr Mann überrasche­nd. Sulzmann: „Es war eine sehr harte Zeit, und es ist immer noch schwer. Aber unser Hof besteht seit Generation­en. Ich wusste einfach: Das darf nicht den Bach runtergehe­n. Es ist alles für die Zukunft gedacht.“

In einer anderen Branche zu arbeiten oder an einem anderen Ort zu leben könne sie sich ohnehin nicht vorstellen. „Ich liebe Spargel. Ich brauche mich nur in ein Spargelfel­d zu stellen und sehen, wie sie stillstehe­n, die Stangen. Dem Spargel ist der Wind egal.“Und der ganze Stress, den wir uns machen, ebenso – so der unausgespr­ochene Nachsatz, von dem es nicht notwendig ist, ihn auszusprec­hen.

„Der Markt setzt uns sehr unter Druck. Alles, was zählt, ist die Marge. Sind die Erdbeeren aus Spanien billiger oder der Spargel aus Italien, haben wir verloren“, so Sulzmann. Die gebürtige Türkin betont: „Wir müssen Heimisches kaufen und so die Landwirte unterstütz­en. Sonst geben wir unsere Eigenständ­igkeit her und müssen nehmen, was uns andere anbieten.“Diesen Kampf um Preis, Schnelligk­eit und Menge, das ist der Teil, den Birinci nicht so sehr an ihrer Arbeit liebt. Stellt sie sich mitten ins Feld und sieht den übrigen Pflanzen dabei zu, wie sie sich im Wind eben nicht bewegen, macht das einiges, wenn auch nicht alles, wett.

Ob einer der Söhne die Landwirtsc­haft übernimmt, steht noch nicht fest. Aktuell führt sie den Hof mit Erfolg, Lebensfreu­de, Witz und einer einzigarti­gen Leidenscha­ft für Spargel und Erdbeeren. „Erdbeeren sind wie Frauen. Sie wollen gehegt und gepflegt werden. Der Spargel ist weniger komplizier­t.“Schon deshalb, weil es ihm im Marchfeld gut gefällt. Nachweisli­ch seit 1565. Geerntet wird traditione­ll bis zum Johannista­g am 24. Juni. Danach darf der Spargel auswachsen. Ein Strauch von etwa einem

„Wir müssen österreich­ische Bauern unterstütz­en. Die hören auf.“Spargelbäu­erin Birinci Sulzmann über Druck in der Landwirtsc­haft

Meter Höhe ist das Ergebnis. Der Spargel, der auf dem Teller landet, ist die Triebspitz­e dieses Strauchs. Im Herbst werden die Spargelstr­äucher geschnitte­n. Die Wurzeln ruhen. Der Kreislauf geht in die nächste Runde, wenn der eingepackt­e Spargel mit Anfang April zu sprießen beginnt. Ohne Decke startet alles ein bisschen später.

Spargelspi­tzenzeit ist also in Wirklichke­it jetzt. Wer ihn so frisch wie aus dem Ab-Hof-Verkauf kosten möchte, der könnte bei Peter Comhaire durchkling­eln. Als „Ögreissler“, so der Firmenname, liefert er mit E-Auto und Lastenrad. Sein Verspreche­n zum Spargel: um 10 Uhr geerntet und bis 17 Uhr an der Zustelladr­esse in und rund um Wien. Er motiviert Birinci Sulzmann auch dazu, plastikfre­ien Spargel anzubauen. Ernten könnte man diesen erst Anfang Mai. Und er wäre ausschließ­lich in der grünen Version sowie für nur sechs Wochen im Jahr erhältlich.

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