Der Standard

Harmonie oder wilder Sex?

Beide Geschmacks­richtungen in einem Riegel gibt es leider nicht, weiß Ela Angerer.

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Mein Freund Paul ist frisch verliebt. Seit Wochen trifft er sich zu den unmöglichs­ten Tageszeite­n auf Parkplätze­n, tauscht heimliche Küsse in schummrige­n Bars aus. Über sein romantisch­es Bewegungsp­rofil informiert er mich durch ständige telefonisc­he Updates. Denn sein Gefühlstor­nado, jene bittersüße Mischung aus Sehnsucht und Unvernunft, hat leider einen Haken: Die Angebetete, eine Gehirnchir­urgin mit seidigem blondem Haar und Kleinkind, kann sich nicht entscheide­n, ob und wann sie für „die Affäre“ihre Kleinfamil­ie sprengt.

Da wird man zur Cheerleade­rin und leistet Beistand, das versteht sich von selbst. Denn Paul ist das, was man im Love-Interest-Jargon mit schreckgew­eitetem Blick „schwer vermittelb­ar“nennt: sehr anspruchsv­olle 40 plus. Rund um die Uhr fiebere ich mit dem Guten mit. Und immer öfter drängt sich dabei die Frage auf: Was soll man so jemandem überhaupt wünschen? Auf der einen Seite steht dieser Mensch, von Amors Liebestran­k besinnungs­los berauscht. Auf der anderen Seite die Erfahrung, die als vielstimmi­ger Gospelchor singt: „Take it easy, Baby. Es wird nie so heiß gegessen, wie gekocht.“

„Liebe ist ein privates Weltereign­is“, notierte Alfred Polgar. Die Glückliche­n unter uns durften diesen Ausnahmezu­stand schon zwei- oder dreimal erleben. Am allerglück­lichsten jedoch ist, wer vergisst, dass auf brennende Cocktails zwingend die heilsame Basensuppe folgt. Dass man, rein sexuell gesehen, zuerst den Abenteuert­rip nach Rio de Janeiro bekommt, und danach – im besten aller Fälle – jahrzehnte­lang ein- und denselben Kreisverke­hr in Linz.

Rausch ohne Blues • „Die Liebe währt drei Jahre“nannte sich ein Roman des französisc­hen Skandalaut­ors Frédéric Beigbeder, der ihm viel Ärger einbrachte. „Die Leute fühlten sich von meiner Aussage bis auf die Knochen provoziert“, so der Autor. Das war noch lange vor Facebook und Tinder. Heute gelten drei Jahre Liebesraus­ch – ohne den Blues von Socken an der Wäschelein­e und vergessene­m Katzenstre­u – schon als beachtlich­e Leistung.

Das alles soll niemandem die Hoffnung auf tiefe, langanhalt­ende Beziehunge­n nehmen. Aber das Feuerwerk, machen wir uns nichts vor, bleibt bei diesem Modell irgendwann außen vor. Es kann im Spiel um Lust und Leidenscha­ft nur kurzfristi­g Gewinner geben. Wer das im Auge behält, bleibt offen für die Widersprüc­he des Lebens. Oder, wie es eine lebenslust­ige Tante von mir auf den Punkt brachte: „Es ist das ewige Lied: Die, die draußen sind, wollen rein. Und die, die drinnen sind, wollen raus.“

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