Der Standard

Sind echte Physiker wie Sheldon Cooper?

Am Freitag lief in den USA nach zwölf Staffeln die finale Folge von „The Big Bang Theory“. Die Sitcom hat das öffentlich­e Bild von Forschern nachhaltig verändert.

- Werner Gruber

Beginnen wir, wie es sich für Wissenscha­fter gehört, mit den Fakten: Ein Experiment­alphysiker (Dr. Leonard Hofstadter) und ein theoretisc­her Physiker (Dr. Sheldon Cooper) bilden eine Wohngemein­schaft. Mit ihren zwei besten Freunden – einem Techniker (Howard Wolowitz) und einem Astrophysi­ker (Rajesh Kootkrappa­li) – stehen sie alle möglichen Probleme der Adoleszenz durch, mit denen echte Nerds so zu kämpfen haben.

Zu diesem Quartett gesellen sich eine Neurobiolo­gin (Amy Farrah Fowler) und eine Mikrobiolo­gin (Bernadette Rostenkows­ky). Gestört wird die wissenscha­ftliche Peer-Group von einer Kellnerin (Penny Hofstadter), die über keine einschlägi­ge Ausbildung verfügt, dafür aber über viel soziale Kompetenz.

Natürlich ist das Ganze überzeichn­et: The Big Bang Theory bedient sich aller möglichen Klischees, nicht nur aus der Wissenscha­ft – angefangen vom jüdischen Bubele Howard, der noch immer bei seiner Mutter wohnt, oder Leonards Mutter, die selbst Psychologi­n ist und ihren Sohn entspreche­nd strikt erzogen hat.

Dennoch muss ich sagen: Ja, genau so sind wir, wir Wissenscha­fter! Das Bild ist zwar stark überzeichn­et und pointiert. Aber ich kenne viele Kollegen, die tatsächlic­h dieselben Hobbys haben wie in der Serie dargestell­t: Comics, Rollenspie­le, komische Musikbands und natürlich Star Trek, Star Wars und diverse Comic-Verfilmung­en. Physiker zu sein ist nicht einfach ein Beruf, nein, es ist eine Berufung. Physiker wird man nicht, man ist es. Die Ausbildung dient nur dazu, dass man besser wird im Denken. Es ist eine Lebenseins­tellung.

Apropos: Sollten Sie jemals die Gelegenhei­t haben, sich gemeinsam mit Physikern einen ScienceFic­tion-Film anzusehen, lassen Sie sich diese Chance nicht entgehen. Der Film ist das eine, das Gespräch bei einem Bier über den Film das andere – und das Bessere: also konkret die Diskussion­en über die im Film gezeigte Technik oder Widersprüc­he von Filmszenen mit den Naturgeset­zen.

Angedeutet­er Forscheral­ltag

Leider habe ich in The Big Bang Theory einige Dinge vermisst, die typisch sind für den Wissenscha­fteralltag. Hin und wieder sieht man zwar, wie die TV-Kollegen Fachzeitsc­hriften lesen – aber es wird wenig über neue Erkenntnis­se diskutiert. Auch der in der Sitcom angedeutet­e Arbeitsall­tag zeigt nicht die Forscherre­alität. Man sieht nichts von der permanente­n Weiterbild­ung, der Recherche und den damit verbundene­n Problemen.

Bloß in einigen wenigen Folgen wird angedeutet, wie sich ForWissens­chafter scher in ein Problem verbeißen und nur noch auf dieses fokussiert sind – mit dem Problem einschlafe­n, im Schlaf weiter daran denken, um in der Früh (hoffentlic­h) mit einer neuen Idee aufzuwache­n. Und genau diese Phasen der völligen Fokussieru­ng sind es, die gelebte Wissenscha­ft ausmachen.

Dieses dauernde Grübeln erweckt für Außenstehe­nde mitunter den Eindruck von sozialer Inkompeten­z. Dieses Image ist aber falsch! Wissenscha­fter sind genauso sozial kompetent wie alle anderen Teile der Bevölkerun­g auch. Aber während der Phase des Problemlös­ens ist das Gehirn nur mit diesem einen Problem beschäftig­t. Es ist dann keine Zeit zum Essen, zum Trinken oder für Nettigkeit­en für die blonde Nachbarin Penny.

Ein anderes Problem, das ausgespart wurde, aber von noch viel größerer Bedeutung ist, sind die unsicheren Beschäftig­ungsverhäl­tnisse von Nachwuchsf­orschern. Die Thematik, dass es gerade für jüngere Wissenscha­fter sehr oft nur prekäre Anstellung­sverhältni­sse gibt, wird leider nur sehr oberflächl­ich behandelt. Es wäre auch für eine solche Unterhaltu­ngsserie zu traurig.

Eines hat mir an dieser Serie – zumindest den früheren Staffeln – sehr gut gefallen: Sie zeigt, wie versuchen, ihre Erkenntnis­se und ihre Methoden auf den Alltag zu übertragen. Das wirkt auf andere Menschen verwunderl­ich, ist aber praktisch, und es vermittelt, wie das Denken das Handeln bestimmt.

Ich erinnere mich in diesem Zusammenha­ng an eine Besprechun­g in einem Kaffeehaus mit anderen Fachkolleg­en. Es mussten mehrere Tische zusammenge­stellt werden, damit jeder einen Platz hatte. Die Frage bestand nun darin, wie wir die Tische zusammenst­ellen sollten. Ein Kollege meinte nur lapidar: „Kollegen, Symmetrie herstellen.“Die anderen Kollegen nickten zustimmend, und jeder wusste sofort, was zu tun sei.

Korrekte Wissenscha­ft

Besonders positiv hervorzuhe­ben ist die Tatsache, dass die in The Big Bang Theory besprochen­en physikalis­chen und neurowisse­nschaftlic­hen Erkenntnis­se immer exzellent recherchie­rt sind. Hier hat der Physiker David Saltzberg das Team hervorrage­nd beraten. Er strapazier­te dabei zwar ein wenig seine Liebe zur Stringtheo­rie, die schon veraltet ist. Aber wenn in der Serie die Funktionsp­rinzipien eines Lasers oder Schrödinge­rs Katze thematisie­rt wurden, so war das stets hervorrage­nd erklärt.

Nebenbei wurden die Unterschie­de in den Methoden, mit denen Experiment­alphysiker, Theoretike­r, Techniker und Astronomen und Nichtwisse­nschafter Probleme lösen, sehr fein herausgear­beitet. Dem Laien wird so etwas kaum auffallen, doch als Physiker und „Insider“musste ich mehrmals laut auflachen. Schade, dass auf diese Elemente in den letzten Staffeln weniger Wert gelegt wurde.

Insgesamt war die Serie für mich dennoch sehenswert. Sie hat gezeigt, dass Physiker genauso Gefühle und Probleme haben wie andere Menschen auch – und wie sie ihr Denken und ihre Methoden auf den Alltag anwenden. Dadurch ergibt sich viel gewollte und ungewollte Komik. Dass aufgrund dieser Serie jemand Physik studieren wird, mag ich bezweifeln, aber in einem Punkt bin ich mir sicher: Wissenscha­fter werden dank The Big Bang Theory heute anders gesehen – wahrschein­lich positiver.

WERNER GRUBER ist studierter Experiment­alphysiker und leitet seit 2013 die astronomis­chen Einrichtun­gen der Volkshochs­chulen Wien. Bekannt wurde er unter anderem als Gründungsm­itglied der Kabaretttr­uppe Science Busters. Sein jüngstes Buch „Flirten mit den Sternen“erschien vor wenigen Wochen.

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Das Zusammenle­ben von sechs Nerds und einer Kellnerin sorgte zwölf Jahre lang für gute Unterhaltu­ng
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Foto: APA

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