Der Standard

Brexit: Gesprächs-Aus

Endlich Einigkeit – zumindest in einem Punkt – zwischen Konservati­ven und Labour: Kommenden Monat soll Theresa May als Regierungs­chefin gehen. Dem Brexit kommt man aber auch so keinen Schritt näher.

- Sebastian Borger aus London

Opposition­sführer Corbyn hat die Gespräche mit der britischen Regierung abgebroche­n. Er glaube nicht, dass es mit der innerparte­ilich angeschlag­enen May zu einer Einigung komme.

Erst beraumte Theresa May für Anfang Juni die bereits vierte Abstimmung über den EUAustritt­svertrag an. Dann zwangen die eigenen Hinterbänk­ler der britischen Premiermin­isterin eine Erklärung ab, wonach sie unmittelba­r nach dem Votum den Zeitplan für ihren Rücktritt bekanntgeb­en werde. Und dann machte die Labour-Opposition offiziell, was auf der Hand lag: Der Brexit-Kompromiss scheitert an den unveränder­t konträren Positionen aller.

May selbst gab sich unbeirrt, als sie am Freitag erstmals in den EUWahlkamp­f eingriff: Von Rücktritt war in Bristol nicht die Rede. Die konservati­ve Partei, sagte May, habe diese Wahl „nicht gewollt“. Dann verteilte sie Tadel an jene, die dem Austritt im Weg stehen oder ihn nicht bewerkstel­ligen könnten: Parlament, Labour, Liberaldem­okraten, schottisch­e Nationalis­ten. Und natürlich Nigel Farage, dessen Brexit-Partei laut Umfragen am Donnerstag einen Wahlsieg verbuchen könnte. Der Nationalpo­pulist arbeite aber „nicht konstrukti­v im nationalen Interesse“, wetterte May.

Worin das vielbeschw­orene „Interesse der Nation“besteht, darüber hat es in der knapp dreijährig­en Amtszeit Mays nie einen Konsens gegeben. Deshalb sei es nun an der Zeit, ihre glücklose Vorsitzend­e abzulösen, finden immer mehr Mitglieder der Unterhausf­raktion.

Um noch im Sommer eine Entmachtun­g herbeizufü­hren, müsste das sogenannte 1922-Komitee, die Vereinigun­g der Tory-Abgeordnet­en,

seine Statuten ändern. So weit ließ deren Chef Graham Brady es bisher nicht kommen. Doch nach einem Treffen mit May am Donnerstag machte der Politveter­an deutlich, dass die Geduld der Fraktion erschöpft sei: Egal, wie die für 6. oder 7. Juni geplante Abstimmung über den Austrittsv­ertrag ausgeht: May muss ihm unmittelba­r danach ein konkretes Rücktritts­datum nennen.

„Schwäche und Instabilit­ät“

Wahrte die Presseerkl­ärung des konservati­ven Chef-Hinterbänk­lers wenigstens noch die Form, so ließ tags darauf eine Erklärung von Opposition­sführer Jeremy Corbyn an Brutalität nichts zu wünschen übrig. Der Labour-Chef machte die „zunehmende Schwäche und Inweichere stabilität“der Regierung für das Scheitern der vor sechs Wochen begonnenen Kompromiss­gespräche verantwort­lich. Immer wieder seien Vorschläge des Verhandlun­gsteams konterkari­ert worden. Die von Labour für unerlässli­ch gehaltene EU-Zollunion hatten eine Reihe früherer Tory-Minister als falsch und kontraprod­uktiv verdammt.

Freilich ist die Uneinigkei­t aufseiten der Konservati­ven nur die halbe Wahrheit: Auch bei Labour stehen sich unvereinba­re Positionen gegenüber. Wie der langjährig­e Europaskep­tiker Corbyn wollen viele Partei-Linke sowie Abgeordnet­e aus Wahlkreise­n mit großen Brexit-Mehrheiten das Referendum­sergebnis in die Tat umsetzen – wenn auch auf deutlich Weise als die May-Regierung, geschweige denn die rebellisch­en Tory-Hinterbänk­ler oder der Brexit-Schreihals Farage.

Hingegen setzen andere bei Labour auf eine zweite Volksabsti­mmung zur Verhinderu­ng des EUAustritt­s. Umfragetre­nd derzeit: 54 zu 46 Prozent für den Verbleib in der EU. Der Schwebezus­tand bleibt den Briten also erhalten.

„Keine Zeit für Urlaub“

Dementspre­chend harsch fielen die Reaktionen auf das Scheitern der Kompromiss­suche aus. Von lähmender Ungewisshe­it sprach die Unternehme­rlobby CBI. Das Parlament solle seine Ferien absagen: „Jetzt ist keine Zeit für Urlaub.“Das Pfund fiel auf den VierMonats-Tiefststan­d.

Unterdesse­n richtet die Regierungs­partei die Schlacht um Mays Nachfolge aus. Ex-Außenminis­ter Boris Johnson schaffte es diese Woche in die Schlagzeil­en mit der Nullmeldun­g, er werde „natürlich“seinen Hut in den Ring werfen. Auch der aktuelle Außenminis­ter Jeremy Hunt, Innenminis­ter Sajid Javid und Gesundheit­sminister Matthew Hancock wollen dort einziehen, wo einstweile­n noch die Chefin der wohl undiszipli­niertesten britischen Regierung seit je wohnt: in der Downing Street.

Doch für May gilt, so meint ein Insider: „Jeder Tag in der Downing Street ist besser als einer, an dem sie nicht mehr im Amt ist.“Hat da jemand etwas von nationalem Interesse gesagt?

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Brexit-Hardliner Boris Johnson bringt sich in Form, um bei den Konservati­ven und in der Regierung die Führung zu übernehmen.

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