Geisterplage in Cannes
Zombies, Voodoo und Drohnenjagden: Das Filmfestival Cannes erlebt eine Geisterplage. Die dazugehörigen Filme erzählen von wachsender sozialer Entfremdung.
Beim Filmfestival Cannes folgen auf Jim Jarmuschs Zombies noch andere Untote. Was die Filme in den ersten Tagen eint: die Frage, wie sich die Menschheit den ruhelosen Geistern stellt.
Als Lebender fühlt man sich dieses Jahr in Cannes schon etwas einsam. Jim Jarmuschs Zombies zeigten es vor, nun folgen ihnen andere Untote und Wiedergänger wie auf dem Fuße. Nicht alle davon sind grausame Horrorwesen, manchen geht es nur darum, auf begangenes Unrecht aufmerksam zu machen. Wenn die Zufallsmenge an Filmen in den ersten Tagen des Festivals eines gemeinsam hat, dann ist es die Frage, wie sich die Menschheit diesen ruhelosen Geistern stellt. Moral misst sich schließlich immer auch daran, wie wir mit unseren Ahnen umgehen.
Das Langfilmdebüt der senegalesisch-französischen Regisseurin Mati Diop, der ersten schwarzen Filmemacherin, die es in den Wettbewerb von Cannes geschafft hat, sieht anfangs noch nach einem realistischen Drama aus. Wo etliche Filme der letzten Jahre sich mit dem Schicksal von Flüchtenden auf dem Mittelmeer befassten, kehrt Atlantique nun auf lohnende Weise die Perspektive um. Erzählt wird von Ada (Mama Sané), einer jungen Frau, die in Dakar zurückbleibt, nachdem sich ihr Liebhaber über Nacht nach Europa aufgemacht hat.
Atlantique bleibt zunächst auf die sozialen Zwänge fokussiert, mittels deren man Ada in die Gesellschaft einweisen will. Eine arrangierte Ehe mit einem neureichen Geck soll ihrer Familie zum Aufstieg verhelfen. Doch dann beginnen sich seltsame Vorkommnisse zu häufen. Das Ehebett der Vermählten geht in Flammen auf, später tritt eine unheimliche Frauenkohorte auf und bedrängt einen gewissenlosen Unternehmer, seine Schulden zu begleichen. Ohne sich von den Fesseln der Wirklichkeit
zu lösen, dockt Atlantique an ein spirituelles Kino an. Man könnte ihn einen Geisterfilm nennen, weil es die Toten sind, die den Ausgebeuteten zu Hilfe eilen.
Das Übernatürliche behandelt Diop, die Nichte des bedeutenden afrikanischen Regisseurs Djibril Diop Mambéty, aber nur als ein Element unter vielen. Stilistisch erinnert das vor allem an die Filmemacherin Claire Denis. Sie baut ihre Szenenfolgen ähnlich fließend, arbeitet auch gerne mit motivischen Echos. Gefühlslagen, nicht der Plot stehen im Mittelpunkt. Man kann in die traumähnlichen Bilder richtiggehend einsinken, sich von der Musik von Fatima al Qadiri ein Stück weit forttreiben lassen.
Erratischer als bei Diop stehen sich Reales und Übernatürliches nur im neuen Film des französischen Regisseurs Bertrand Bonello gegenüber. Zombi Child wirkt stellenweise wie eine Weiterführung von Themen aus Nocturama, seinem umstrittenen Film über eine Pariser Jugend, die sich mit Terror gegen den Neoliberalismus aufbäumt. Diesmal interessieren Bonello die energielosen Schülerinnen eines Eliteinternats, die sich für schwarze Magie und Voodoo zu begeistern beginnen. Parallel dazu erzählt er die Geschichte eines „realen“Zombies in Haiti. Ein Mann, der lebend begraben wurde und als halbtoter Sklave gehalten wurde, bis er sich eigenmächtig befreite.
Bonellos Film ist betont fragmentarisch, fast wie ein Kompendium aufgebaut. Er setzt Szenen wie steile Thesen zueinander in Beziehung. Geht es Bonello um fehlgeleitetes Rebellentum, das sich in sektiererischem Verhalten verliert, anstatt sich zur politischen Handlung zu bündeln? So simpel ist es nicht, denn bei den spirituellen Praktiken geht es stets auch um Freiheit und Selbstbestimmung.
Die Bilder, die Bonello für diese Gratwanderung findet, sind jedenfalls exquisit. Die Nachtszenen in Haiti wirken wie eine Hommage an Jacques Tourneurs I Walked With a Zombie, während die Internatsszenen manchmal an Dario Argento denken lassen.
Widerstandsparabel
Eine ähnliche Sensibilität gegenüber Popkultur zeichnet auch Bacurau des Brasilianers Kleber Mendonça Filho aus. Wie schon in seinem letzten Film
Aquarius, in dem es um den Kampf einer Mieterin ging, ist auch dieser eine Widerstandsparabel, die allerdings an einem gänzlich anderen Schauplatz spielt. Bacurau ist der Name eines fiktiven Dorfes im staubigen Nordosten des Landes, dessen Bevölkerung ihre Unangepasstheit zelebriert.
Filho und Dornelles entwerfen eine brutale Dystopie, die nur ein paar Jahre entfernt von der Gegenwart liegt. Überwiegt in der ersten Hälfte des Films noch ein komisch-grotesker Tonfall, gerät die zweite zum Überlebenskampf mit einer Touristengruppe.
Angeführt von Udo Kier befindet sich diese auf dem ultimativen Abenteuertrip: Es geht um Menschenjagd mit Drohnen und schwerem Geschütz.