Verständnis für Putin
Die „Europa spricht“brachte am 11. Mai tausende Menschen mit unterschiedlichen politischen Ansichten zusammen. Redakteur Sebastian Fellner diskutierte mit Ingenieur Michael Brünner aus Bayern über den Mythos Stammtisch und Russlands Annexion der Krim. Sei
Meine Sorge vor einem zähen Gespräch war unbegründet. Gleich zu Beginn stellt sich heraus: Michael Brünner hat Erfahrung im Führen einer gepflegten Debatte. Bei jenen Fragen, die zur Anmeldung zum Dialogprojekt „Europa spricht“gestellt wurden, waren wir uns vor allem in einem brisanten Punkt uneinig:
Sollte Europa eine engere Verbindung zu Russland haben?
Er sagt: Ja. Ein Russland-Versteher? Soll man die widerrechtliche Annexion der Krim schulterzuckend hinnehmen? Was meint mein Gegenüber dazu?
Wir treffen uns in Salzburg; quasi in der Mitte. Das Gespräch sprudelt zunächst fast wie von allein zum Thema soziale Medien, Filterblasen und was das mit einer Demokratie macht. Brünner beschäftigt das: Er hat eine dreistündige Zugfahrt hinter sich, „da ist jeder in seiner eigenen Realität, auch wenn man räumlich am gleichen Ort ist“– einer schaut einen Spielfilm, der andere liest Nachrichten, keiner bekommt etwas vom anderen mit. Früher sei man in so einer Situation ins Gespräch mit Fremden gekommen.
Ich versuche die Gegenrede. Das mag ja alles sein, aber wenn man will, kann man sich heute mit Menschen auf der ganzen Welt austauschen, während man noch vor einigen Jahrzehnten kaum aus dem eigenen Dorf gekommen ist. Und den vielbeschworenen Stammtisch, wo unterschiedliche Meinungen aneinandergekracht seien, halte ich für einen Mythos.
Den Ingenieur beeindruckt das nicht. Klar, wer es darauf anlegt, kann online mit einer Arbeiterin aus Indien debattieren – aber wer macht das schon? Er vermisst den harten politischen, sachlichen Diskurs.
men. Punkt. „Da muss man doch deutlich Stopp sagen“, meine ich. Zumal die baltischen Staaten und Finnland bezüglich Russland ganz eigene, berechtigte Sorgen haben. Brünner hält Sanktionen, wie die EU sie gegen Russland verhängt hat, für kontraproduktiv. „Bedeutet das dann, dass die Russen da wieder rausgehen, weil sie sagen: Ui, das ist jetzt schwierig?“Er schließt das aus. Noch nie hätten Sanktionen irgendeine Situation verbessert, sagt er. Das nicht, entgegne ich – aber die Aussicht, sie wieder aufzuheben, sehr wohl. Am Ende finde ich Brünners Position verständlicher und nicht mehr so abwegig. Wir werden uns nicht einig und finden das in Ordnung. Den Krim-Konflikt werden jedenfalls andere lösen.