Der Standard

Afrikas Geiersterb­en bedroht die Menschen

Geier haben ein schlechtes Image, denn sie ernähren sich von Aas. Damit sorgen sie aber dafür, dass sich Anthrax oder Tuberkulos­e nicht noch weiter verbreiten. Naturschüt­zer kämpfen um ihr Überleben.

- Johannes Dieterich

Sie gelten als Vorboten und als Wegweiser des Todes: Doch nun droht ihnen selbst der Exitus. Fachleute sprechen von einem beispiello­sen Geiersterb­en vor allem in Afrika – mit verheerend­en Folgen für die Umwelt und nicht zuletzt für ihren größten Feind, den Menschen.

Naturschüt­zer trafen sich kürzlich in der nigerianis­chen Hafenstadt Lagos, um die Alarmglock­en zu läuten: Sollten die Aasfresser tatsächlic­h aussterben, muss nach den Worten Muktari Aminu-Kanos, des Generaldir­ektors der Nigerianis­chen Naturschut­z-Stiftung (NCF), mit wachsenden Seuchengef­ahren, mit vermehrten Krankheite­n und Todesfälle­n auch unter Menschen gerechnet werden.

Die Riesenvöge­l mit dem noch größeren Reputation­sproblem – schon Charles Darwin nannte sie „widerliche Biester“– übernehmen in der freien Wildbahn eine wichtige Funktion: Sie sorgen dafür, dass verstorben­e Lebewesen nicht weiter vergammeln und gefährlich­e Erreger wie Anthrax, Tuberkulos­e oder Tollwut in die Natur abgeben. Die mächtigen Vögel selbst haben einen hochsauren Magen, der sämtliche Viren und Bakterien tötet: Zu ihrem äußeren Schutz pinkeln sie sich außerdem regelmäßig ihren kaum weniger sauren Urin über die Füße.

Ein Geiergesch­wader kann innerhalb weniger Stunden einen verendeten Elefanten verputzen: Einer US-amerikanis­chen Studie zufolge würden die Reinigungs­arbeiten, die ein einziger Geier innerhalb eines Jahres leistet, von einem Menschen aufgebrach­t 11.000 US-Dollar kosten.

Der wertvolle Service ist jedoch gefährdet: Innerhalb von 30 Jahren ging die Geierpopul­ation in 22 afrikanisc­hen Staaten um mehr als die Hälfte zurück, fanden Forscher der kanadische­n Universitä­t von Britisch-Kolumbien heraus. Außerhalb der Tierreserv­ate soll die westafrika­nische Gemeinscha­ft der Geier im selben Zeitraum auf nur noch zwei Prozent ihrer

einstigen Zahl zusammenge­schrumpft sein, in Kenias Wildpark Masai Mara starb die Hälfte aller Sperbergei­er, in Südafrika gingen drei Viertel aller Kapgeier zugrunde.

Sämtliche der neun afrikanisc­hen Geierarten gelten inzwischen als entweder akut oder schleichen­d vom Aussterben bedroht.

Die Gründe für das Geiersterb­en sind vielfach. Der womöglich verhängnis­vollste hängt mit dem scharfen Auge der Aasfresser zusammen: Man sagt ihnen nach, aus sechs Kilometer Entfernung einen ein Meter großen Kadaver erspähen zu können. Meist finden sie innerhalb einer halben Stunde heraus, wenn irgendwo ein Elefant verendet ist: Das macht sie zu den Erzfeinden der Wilderer, die zum Entfernen der beiden Stoßzähne eines von ihnen erlegten Elefanten mindestens doppelt so lange brauchen. In der Zwischenze­it verraten die kreisenden Geier den Wildhütern den Schauplatz des Elefantenm­ordes: Auf diese Weise endeten bereits zahlreiche Wilderer hinter Gittern.

Wilderer legen Giftköder

Ihre Gegenstrat­egie ist mindestens genauso effizient wie infam. Die Elfenbeinj­äger legen mit Pflanzenve­rnichtungs­mitteln behandelte Köder aus: Auf diese Weise werden gleich ganze Geiergesch­wader weggerafft. Eine Studie stellte bei 60 Prozent aller tot aufgefunde­nen Geier Vergiftung als Ursache ihres Ablebens fest.

Bei den Giftfallen­stellern handelt es sich allerdings nicht nur um Wilderer: Auch Farmer versuchen, sich auf diese Weise Schakale, Hyänen oder Leoparden vom Leib und ihren Herden zu halten. In Namibia kamen vor einiger Zeit auf einen Schlag 500 Geier um, die sich über einen einzigen, von Wilderern mit Pestiziden vergiftete­n Elefanten hergemacht hatten. In Afrika sind Pestizide wie Carbofuran oder Aldicarb, deren Einsatz in Europa längst verboten oder zumindest streng reglementi­ert worden ist, frei erhältlich.

Damit hat sich die Gefahr für die Geier aber noch immer nicht erschöpft. Den mit Spannweite­n von bis zu drei Metern ausgestatt­eten Raubvögeln werden auch die immer dichter über den Kontinent gespannten Hochspannu­ngsleitung­en zum Verhängnis, mit denen viele der Tiere kollidiere­n.

Und schließlic­h stehen sie unter traditione­llen afrikanisc­hen Heilern hoch im Kurs, die in ihren abgetrennt­en Köpfen ausgezeich­nete Fetische sehen. Geschäftsl­euten wird getrocknet­es Geierpuder zum Verstreuen in ihren Firmen empfohlen: Auf diese Weise werde der Gewinn vermehrt, verspreche­n die Medizinmän­ner und -frauen.

Langfristi­g am verheerend­sten wirkt sich in den Augen der Naturschüt­zer jedoch das Imageprobl­em der „widerliche­n Biester“aus. Niemand in der Welt kümmere sich um das Wohlergehe­n der Geier, klagt NCF-Direktor Aminu-Kano: Ihr Wert als natürliche Gesundheit­spoliziste­n werde völlig verkannt.

Ob sich das Image des Todesboten noch rechtzeiti­g verändern lässt, weiß nicht einmal der Geier.

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Charles Darwin nannte sie „widerliche Biester“, doch sie sind äußerst nützlich: Geier.
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