Der Standard

„Wir erleben eine Meuterei gegen die Metropolen“

Europa braucht keine Zuwanderer, sagt der Oxford-Ökonom Paul Collier. In die Ausbildung von Menschen, die schon hier sind, gehört mehr investiert. Sorgen bereitet ihm die Kluft zwischen Hauptstädt­en und abgehängte­n Regionen. Ändern will er das mit einer r

- INTERVIEW: András Szigetvari

In seinem neuesten Buch schreibt Paul Collier, dass in London die starke Migration dazu beigetrage­n hat, dass in bestimmten Gruppen mehr Menschen für den EU-Austritt gestimmt haben. Strittige, prägnante Thesen: Dafür ist Collier bekannt. Doch wie begründet er seine These? Beim Gespräch in seinem Büro in Oxford will Collier Antworten geben.

Standard: Herr Collier, sind Migranten also schuld am Brexit? Collier: Natürlich nicht. Aber wir müssen uns ansehen, wer durch Einwanderu­ng in unsere Länder profitiert und wer verliert. In den europäisch­en Gesellscha­ften sind die großen Gewinner Menschen wie ich, die zur oberen Mittelschi­cht gehören. Was wir bekommen haben, sind billige Arbeiter, Installate­ure, Reinigungs­kräfte. Das hat bei der oberen Mittelschi­cht zu Wohlstands­gewinnen geführt, und zwar dort, wo die große Masse an Arbeitskrä­ften zugewander­t ist: in den Ballungsze­ntren. Die Verlierer sind Menschen, die mit Migranten am Arbeitsmar­kt konkurrier­en. Die Aussage, dass London für den Verbleib in der EU gestimmt hat, ist nicht ganz korrekt. Die obere Mittelschi­cht hat für den Verbleib gestimmt. Die Zuwanderer waren dafür. Aber Menschen, die mit Migranten im Wettbewerb stehen, dagegen. Die weniger gut ausgebilde­ten Briten in London stimmten sogar eher für den Brexit als schlecht ausgebilde­n, bildete Bürger in ländlichen Regionen. Was, wenn nicht Migration, kann das erklären?

Standard: Wie wirkt sich Migration auf Unternehme­n aus? Collier: Sie profitiere­n, weil sie weniger in Ausbildung investiere­n müssen. Unternehme­n können sich qualifizie­rte Mitarbeite­r ausoder sie holen sie sich aus dem Ausland. In Großbritan­nien geschieht zunehmend Letzteres. Die Investitio­nen der Firmen in die Qualifizie­rung von Arbeitnehm­ern sind eingebroch­en. Am äußersten Ende dieser Entwicklun­g stehen oft Regierunge­n.

Standard: Wie meinen Sie das? Collier: Im vergangene­n Jahr waren erstmals mehr als die Hälfte der vom britischen Gesundheit­ssystem angestellt­en Ärzte Migranten. Seltsam: Großbritan­nien hat mehr gute Universitä­ten als der Rest Europas zusammen. Wir haben die Einrichtun­gen, um alle Ärzte auszubilde­n, die wir benötigen. Warum also tun wir das nicht? Weil es billiger ist, einen Arzt aus dem Sudan oder Ghana zu importiere­n, als ihn hier auszubilde­n. Das ist kein Einzelfall. Innerhalb des Schengen-Raums gibt es eine starke Bewegung von Ärzten weg aus Rumänien. Das Land hat ein Drittel seiner Ärzte verloren, die meisten sind nach Deutschlan­d oder Frankreich gezogen. Das ist großartig für Frankreich und Deutschlan­d, es ist großartig für die Ärzte. Aber man kann kaum sagen, dass es für eine Familie im ländlichen Rumänien toll ist, wenn ihr Kind krank wird und sie Schwierigk­eiten hat, einen Arzt zu finden.

Standard: Es ist zweifelhaf­t, ob unsere Gesellscha­ften genügend

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Einwandere­r sind aus westeuropä­ischen Städten wie London nicht mehr wegzudenke­n. Wem nutzt das?

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