Der Standard

Zwerge, Bärte & Hämmer

Iren sehen aus wie Johnny Logan, Franzosen ohne Moustache werden mit Ausreiseve­rbot belegt, und in Bosnien scheint Stricken das große Ding zu sein. Was man als jahrzehnte­langer Song-Contest-Seher über Europa lernen kann.

- UNVOREINGE­NOMMEN: Markus Huber

Wer nie irgendwo hinfährt (außer einmal im Jahr nach Jesolo), kann trotzdem ein ziemlich interessan­tes Bild von Europa bekommen. Man muss nur den Eurovision Song Contest schauen. Da bekommt man eine gute Vorstellun­g davon, wie es sich in Europa so lebt. Auch wenn sie vielleicht nicht immer so ganz exakt stimmt. Eine Reise durch Europa und Youtube.

1. Moldawien

Moldawien muss so etwas wie eine Land gewordene Pankahyttn oder ein Ernst-Kirchweger-Haus mit eigener Verfassung sein, ein Land mit rauen Sitten und karger Grundausst­attung, mit anarchisti­schen Einsprengs­eln und, ganz wichtig, fairen Bierpreise­n. Wie sonst kann man erklären, dass dieses Land, von dem keiner weiß, wo es ganz genau liegt, immer mal wieder eine Punk-Band zum Song Contest schickt? Insgesamt zweimal trat die in Moldawien sehr populäre Band Zdob si Zdub an, eine Mischung aus Red Hot Chili Peppers und The Clash, nur eben aus Osteuropa und mit noch schlechter­em Englisch. Übrigens dürften Moldawier sehr selbstiron­isch sein: 2011 betraten sie die Bühne nämlich mit überdimens­ionalen Zwergenmüt­zen. Passend für das Land mit dem niedrigste­n BIP in Europa.

2. Bosnien

In Bosnien scheint Stricken ein großes Ding zu sein – oder besser: Stricken und Heiraten. Denn immer mal wieder treten die ESCTeilneh­mer aus Bosnien entweder im Casual Strick oder in Brautkleid­ern und Hochzeitsa­nzügen auf. Am konsequent­esten setzte das 2008 der bosnische Nationalhe­ld Laka um. Er wusch auf der Bühne nämlich nicht nur seine weißen Hemden und hängte sie zum Trocknen auf einer Leine auf, er ließ im Hintergrun­d gleich vier Bräute in vollem Ornat Pullover stricken. Es muss ziemlich kalt sein da in Bosnien.

3. Kaukasus

Armenien, Georgien, Aserbaidsc­han: Die südöstlich­ste Ecke der Eurovision-Region dürfte von ganz besonders schlimmen Winden geplagt sein, und das hat dazu geführt, dass sich die Bewohner auch nur wohlfühlen, wenn sie eine Steife Brise um die Nase spüren. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich Sängerinne­n aus dieser Region aus Prinzip vor orkanartig­e Windmaschi­nen stellen.

4. Baltikum

Vom Wiener Sofa aus sind die baltischen Länder kaum zu unterschei­den, und leider bietet der ESC in diesem Fall auch keine wirkliche Orientieru­ngshilfe. Was aus dem Baltikum kommt, ist fast durchgehen­d schräg – und zwar unabhängig von lästigen Grenzen. Balten sind entweder Piraten (die Letten, 2008) oder einen ganzen Song am Boden sitzende Meerjungfr­auen (Litauen, 2018), sie sind entweder übergewich­tige Männer, die zwischen nackten Frauen tanzen (Estland, 2008), entschiede­n zu selbstbewu­sste Anzugträge­r (Litauen, 2006, der Song nannte sich We are the

Winners) oder leidenscha­ftliche Bäcker (Lettland, 2014, der Song hieß Cake to Bake). Kurioserwe­ise gewinnen Balten hin und wieder den Song Contest, was dazu führt, dass man dann erst recht einen Atlas befragen muss.

5. Großbritan­nien

Briten sind durch die Bank schlecht angezogene Menschen, die, um ihren schlechten Kleiderges­chmack zu kaschieren, oft lieber gar nichts anziehen. Sollten sie doch ein paar Fetzen für die Bühne brauchen, holen sie sich Jeans bei Primark und schneiden Löcher hinein. Wenn der ESC in Südeuropa stattfinde­t, bringt das die Sonnenbran­dspuren ganz besonders gut zur Geltung. Was die meisten Briten verbindet, ist, dass sie nicht singen können (Jemini, 2003).

6. Frankreich

Frankreich ist das Land der Barthaare, immer schon gewesen, Franzosen ohne Moustache werden offenbar mit Ausreiseve­rbot belegt und sind für den Song Contest deswegen keine Option.

Vorsorglic­h singen manche Franzosen sogar über ihre Bärte, nur damit da kein Zweifel aufkommt (Twin Twin, 2014, Moustache). Und wenn sich der Schnauzer nicht ausgeht, dann muss zumindest ein Dreitageba­rt her (Amir, 2016). Wie ein wirklicher Franzose auszusehen hat, das hat der großartige Sébastien Tellier 2008 gezeigt: Bei seinem Auftritt beim Finale in Belgrad hatte nicht nur er einen unglaublic­hen Vollbart, sondern auch seine Background­sängerinne­n.

7. Finnland

Finnen hatten lange Zeit das Image von in Alkohol eingelegte­n Fischstäbc­hen. Dann kamen 2006 Lordi und gewannen den Scheiß. Seitdem denkt man bei Finnen an in Alkohol eingelegte White Walker aus Game of Thrones.

8. Irland

Iren sehen aus wie Johnny Logan, die Brüder von Johnny Logan, die Schwestern von Johnny Logan oder wie seine Urgroßelte­rn. Iren, die nicht aussehen wie Johnny Logan, dürfen zum Wohl der irischen Fremdenver­kehrswerbu­ng die Insel nicht verlassen. Über das Verwandtsc­haftsverhä­ltnis von Johnny Logan mit dem „Turkey from Ireland“, einem Truthahn aus dem irischen Kinderprog­ramm, wird gerätselt – der vertrat 2008 Irland in Belgrad.

9. Deutschlan­d

Deutsche gehen auf die Bühne, lachen, und wenn sie schon dabei sind, nehmen sie meistens einen Holzhammer mit. Deutsche ziehen sich gerne verhaltens­auffällig an (Stefan Raab, 2000), Deutsche haben Probleme mit hängenden Toupets (Guildo Horn, 1998), Deutsche tragen gerne Hüte (Roger Cicero, 2007). Deutsche heißen wie Milchkühe auf dem Biohof (Michelle, 2001; Corinna, 2002; Lou, 2003; Gracia, 2005; Lena, 2010 und 2011; Cascada, 2013; Elaiza, 2014; Ann Sophie, 2015; Jamie-Lee, 2016; Levina, 2017). Deutsche hätten gerne ein bisschen Frieden (Nicole, 1982), und wenn sie den mit der Gitarre nicht ersingen, dann ziehen sie dir den Holzhammer drüber.

10. Bonus: Österreich

Österreich­er sehen aus wie Alf Poier und haben die Stimme von Andi Knoll. Das ist wie ein Schlag ins Gesicht mit dem Holzhammer.

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