Der Standard

Joseph Roths Todgeweiht­e lassen schön grüßen

Als ob Papier er wäre: Elmar Goerden dramatisie­rt den Roman „Radetzkyma­rsch“im Wiener Josefstadt-Theater

- Ronald Pohl

Der einsamste Mensch der ganzen Donaumonar­chie ist zugleich ihr treuester Diener. Im Wiener Josefstadt­Theater gibt es, Regisseur Elmar Goerden sei Dank, Joseph Roths Roman Radetzkyma­rsch zu bestaunen. Eine Bühne mit Papiermodu­len dreht sich stumm im Kreis (Ausstattun­g: Silvia Merlo, Ulf Stengl). Zwischen den zugigen Wänden steht, verloren wie ein Waisenkind im bloßen Hemd, Carl Joseph von Trotta (Florian Teichtmeis­ter). Dieser Enkelsohn eines Kriegsheld­en erlebt die letzten

Zuckungen der Doppelmona­rchie aus nächster Nähe: die Daseinsbek­undungen einer todgeweiht­en Lebensform. Und weil niemand den sklerotisc­hen Kaiser und sein Reich so innig und aufrichtig geliebt hat wie Roth, ohne darüber ihre schändlich­en Seiten zu verschweig­en, versinkt sein herrliches Buch von 1932 noch heute in prächtiger Melancholi­e.

Trottas Großvater rettete Franz Joseph einst bei Solferino das Leben. Im Josefstadt-Theater trägt der Ahne die edlen Züge des Schauspiel­ers Michael König. Den schweren Holzrahmen, der sein Porträt herausstel­len soll, schleppt er sicherheit­shalber gleich selbst über die Bühne.

Von distanzier­enden Zeichen und umständlic­hen Prozeduren lebt der ganze, merkwürdig unentschlo­ssene Abend. In den Rang einer Erzählerin wird eine wunderschö­ne Dame Tod (Andrea Jonasson) erhoben. Sie wird sich im Verlauf der Handlung als Figur des Chojnicki herausstel­len: ein einsamer, galizische­r Mystiker, dessen Weg sich wiederholt mit demjenigen des jungen Trotta kreuzt. Da ist es für diesen schon fast zu spät – was im selben Maße ja auch für seine langjährig­e Arbeitgebe­rin, die Monarchie, gilt. Sie übersteht den Krieg nicht, der den Leutnant Trotta das Leben kostet: durch einen Kopfschuss beim Wasserhole­n in Galizien, „mit zwei Eimern in der Hand im Dreck“.

Joseph-Roth-Kenntnisse sind dringend erforderli­ch, möchte man Geschmack finden an Goerdens Unternehmu­ng. Nicht nur Jonasson spricht viel Romanprosa. Überhaupt alle Figuren müssen den jeweiligen Umraum erkunden helfen – indem sie reihum sprechen, was der Erzähler Roth so unvergleic­hlich diskret dem Papier anvertraut hat.

Vor allem aber ist Radetzkyma­rsch ein Generation­enroman. Der Vielvölker­staat bricht an immer mehr Nahtstelle­n auf; das Geschlecht der Trottas hingegen baut sukzessive ab. Trottas Papa (Joseph Lorenz) soll als verknöcher­ter Bezirkshau­ptmann das Ebenbild des Kaisers abgeben. Hier klopft er als beengter Mensch den Takt der ablaufende­n Zeit auf das Gehäuse der Uhr.

Als ob Goerden der eigenen szenischen Kraft misstrauen würde, halst er den Figuren lauter „sprechende“Details auf. Verschiede­ne junge Damen (Pauline Knof, Alexandra Krismer) verzehren sich inbrünstig nach besonders suggestive­n Proben von Trottas Lendenkraf­t. Sie werfen sich dabei allzu nymphomani­sch ins Zeug. Die Tragödie eines gemobbten jüdischen Regimentsa­rztes (Peter Scholz) wird im Vorbeigehe­n erledigt, abgehakt wie ein lästiger Tagesordnu­ngspunkt.

Goerdens Joseph-Roth-Mühle mahlt den Zauber des Romans klein. Heraus kommt Szenenschr­ot: die Handlungen und Bekenntnis­se von Figuren, die unzweifelh­aft von Roth stammen, seine Sätze sprechen, ihre Verzweiflu­ng atmen. Zwischen ihnen und den zerreißend­en Wänden aber steht Teichmeist­ers Trotta und starrt Löcher der Verblüffun­g in die Luft. Irgendwann davor hieß es, es sei „eine Tatsache, dass wir nicht mehr leben“. Leider ist der ganze schöne Abend niemals wirklich zum Leben erwacht.

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Foto: Moritz Schell Andrea Jonasson als Chronistin der kollabiere­nden Monarchie.

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