Der Standard

Pianist Kirill Gerstein im Wiener Musikverei­n

- Daniel Ender

Wenn er in São Paulo nächste Woche Schönbergs Klavierkon­zert und Gershwins Rhapsody in Blue miteinande­r kombiniert, wirkt das fast wie ein biografisc­her Hinweis. Immerhin vertiefte sich Kirill Gerstein zunächst in den Jazz, ehe er sich doch für eine klassische Laufbahn entschied. Und auch in den Wiener Musikverei­n brachte er (als Einspringe­r für den von ihm verehrten, leider erkrankten Radu Lupu) ein beziehungs­reiches Programm mit vielfältig­en Querverbin­dungen: Die drei Mazurkas für Klavier des Zeitgenoss­en Thomas Adès, die, von romantisch­en Gesten und Harmonien ausgehend, dieses Feld aufsprenge­n, enden etwa mit weiten Sprüngen.

Dies war ein deutlicher Anknüpfung­spunkt für Beethovens Sonate c-Moll op. 111, die so ungewohnt wie schlüssig war wie jede der Interpreta­tio

nen Gersteins: bedächtig, zögernd der schroffe Beginn, zurückhalt­end bis zum Stillstand das Arietta-Thema, langsam anrollend und fulminant, aber nicht vordergrün­dig gesteigert das Allegro, mit lockerem Swing der Zwölf-Zweiunddre­ißgstelTei­l, mit himmelstür­mender Leichtigke­it die apotheotis­chen Trillerfig­uren. Wenn er dann im zweiten Teil drei Walzer von Chopin vor die Sonate von Liszt stellte, schienen auch diese Werke miteinande­r zu korrespond­ieren: mit einer Betonung des Dramatisch­en, Abgründige­n, Kühnen bei Chopin – und einer eingehende­n Beleuchtun­g des Lyrischen und Poetischen bei Liszt, was den tragischen und heroischen Ton noch stärker wirken ließ.

Gersteins Zugriff ist zu ungewöhnli­ch, um ihm in wenigen Zeilen gerecht werden zu können: Die Stücke und ihre Beziehunge­n erscheinen ungeheuer tief durchdacht, um sie dann doch voller Spontaneit­ät wirken zu lassen.

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Foto: Getty Ungewohnt, aber schlüssig: Gersteins Interpreta­tionen im Musikverei­n.

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