Der Standard

Schönes Land der Sumpfblüte­n

Österreich zeigt Europa seine ewiggestri­ge Seite – und fällt damit nicht einmal auf

- Conrad Seidl Petra Stuiber

Das Verhältnis der Österreich­erinnen und Österreich­er zur Europäisch­en Union war seit jeher zwiespälti­g – und zwiespälti­g sind auch die Aussagen, die in diesem EU-Wahlkampf aus den beiden Regierungs­parteien kommen: Irgendwem wird’s schon passen.

Die FPÖ tut sich da vergleichs­weise leichter als die ÖVP. In ihren Genen steckt auch bei ihrer vierten Regierungs­beteiligun­g auf Bundeseben­e das Opposition­elle: Im Zweifel „dagegen“zu sein (gegen was auch immer) kommt bei den freiheitli­chen Wählern gut an. Und die EU-Wahl ist eine exzellente Gelegenhei­t, da einmal Dampf abzulassen. Gegnerscha­ft gegen die Regierung lässt die Parteiführ­ung, anders als unter Rot-Blau, Schwarz-Blau I und SchwarzBla­u II, ja nicht einmal in Ansätzen zu.

Umso forscher kann die FPÖ-Anhängersc­haft gegen mangelnde Sicherheit­sanstrengu­ngen auf EU-Ebene und „überborden­de“EU-Bürokratie vom Leder ziehen: Wer wäre denn nicht gegen „überborden­de“Bürokratie? Eben.

Natürlich auch Bundeskanz­ler Sebastian Kurz nicht. Selbst sein nicht immer auf türkise Linie getrimmter Spitzenkan­didat Othmar Karas würde „überborden­de“Bürokratie nicht befürworte­n. Aus Sicht der Freiheitli­chen ist es daher nicht angenehm, dass Kurz ihnen dieses Thema wegschnapp­t und offensiv das Subsidiari­tätsprinzi­p anspricht, das ein grundsätzl­iches Anliegen der Christlich­Sozialen ist und auch im Programm der Europäisch­en Volksparte­i steht. Es hat halt ein anderes Gewicht, wenn der Bundeskanz­ler das Thema aufgreift. iesen kann der Juniorpart­ner der Koalition auch nicht direkt angreifen, noch dazu, wo Sebastian Kurz in der Kanzlerfra­ge mit aktuell 38 Prozent einen um ein Vielfaches besseren Wert als der freiheitli­che Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache erzielt; der muss sich mit neun bis zehn Prozent begnügen. Daher schießen sich die Freiheitli­chen ersatzweis­e auf Othmar Karas ein. Der ist ein ausgewiese­ner Vertreter der europäisch­en Einigung, die ein großes Anliegen der Bevölkerun­gsmehrheit ist, aber gleichzeit­ig auch eine bedeutende Minderheit mit Sorgen erfüllt. Gelingt es den Freiheitli­chen, diese Minderheit zu mobilisier­en, schaden sie der ÖVP, die sowohl bürgerlich­e EU-Euphoriker als auch bürgerlich­e EU-Skeptiker für die angestrebt­e relative Stimmenmeh­rheit brauchen wird.

Und am Tag danach? Kann man dann einfach zur Tagesordnu­ng zurückkehr­en? Man wird das wahrschein­lich tun müssen, vielleicht mit veränderte­m Personal. Karoline Edtstadler wird ja jedenfalls aus ihrer heutigen Staatssekr­etärsfunkt­ion ausscheide­n, was Gelegenhei­t für eine etwas größere Regierungs­umbildung bieten könnte – egal ob Edtstadler für ihren Wahleinsat­z mit einem EU-Posten oder mit einem Ministeram­t belohnt wird.

Allerdings: So kuschelig, wie es die ersten 500 Tage in dieser Koalition gewesen ist, wird es wohl nicht mehr werden. Das von Rot-Schwarz gewohnte kleinliche Hickhack könnte eine türkis-blaue Renaissanc­e erleben.

DÖsterreic­h wird von höflichen Menschen bewohnt. Sogar Polizisten wissen sich in jeder Situation zu benehmen. Ganze zwölf Minuten warteten sie etwa, bis Martin Sellner, Chef der rechtsextr­emen Identitäre­n, seine Haustür öffnete. Zwar hörten sie zuvor Rumoren in der Wohnung, klopften „beharrlich“und „ersuchten verbal“um Öffnung der Tür – aber gewaltsam hineingehe­n, nein, so etwas tut man einfach nicht. Das soll uns einmal jemand nachmachen. Jene, die behaupten, bei Abschiebun­gen werde viel weniger umund vorsichtig vorgegange­n, sind nur Neider von Innenminis­ter Herbert Kickl.

Was man in Österreich auch nicht tut: Als Rektor der FH Joanneum in Graz eine Bachelorar­beit ablehnen, die sich mit Rassentheo­rien beschäftig­t. Denn, immerhin, die Arbeit war ja formal korrekt durchgefüh­rt! Und so etwas wie Unruhe, Aufruhr, gar Diskussion – das brauchen wir gar nicht!

Diese beiden Vorfälle, über die der Standard berichtet hat, sind nur zwei von vielen Sumpfblüte­n, die in diesem schönen Land derzeit an die Oberfläche drängen und auf ihr treiben. Ein paar einschlägi­ge Ereignisse der vergangene­n Tage und Wochen:

Den bereits erwähnten Martin Sellner hat offenbar mehr mit dem Attentäter von Christchur­ch in Neuseeland verbunden als eine bloße Geldspende desselben. Zumindest hat man höflich, wenn nicht sogar freundlich, hinund hergemailt. er Maler Manfred „Odin“Wiesinger, bekannt als Haus-undHof-Künstler der politische­n Rechten, wird von der FPÖ in den Kulturbeir­at des Landes Oberösterr­eich gesetzt. Wiesinger malt gerne Schlachtfe­lder, Soldaten mit Stahlhelm und säbelschwi­ngende Burschensc­hafter. Gerne auch Motive aus der nordischge­rmanischen Mythologie. Den Protest der Opposition­sparteien gegen sein Avancement bezeichnet der Maler als „rot-grüne Menschenja­gd auf mich“. Wiesinger, Lieblingsm­aler von Verkehrsmi­nister Norbert Hofer (FPÖ), ist übrigens bei der schlagende­n pennalen Burschensc­haft Scardonia, die an diesem Wochenende ihren 55. Burschenta­g in Schärding begeht. Mit „Stadtplatz­schoppen“und „Jahn-Ehrung“und Festkommer­s: Da ist mächtig was los im schönen Schärding.

Apropos rechte Treffen: Auch der

DSüden Österreich­s hat da einiges zu bieten, zum Beispiel das faschistis­che „Ustascha“-Treffen in Bleiburg in Kärnten, wo alljährlic­h bis zu 10.000 Menschen des faschistis­chen Ustascha-Regimes im Kroatien der 1940erJahr­e gedenken und einige von ihnen dabei ebenso regelmäßig am Verbotsges­etz entlangsch­rammen.

Dazwischen schwadroni­ert der Vizekanzle­r der Republik, Heinz-Christian Strache (FPÖ), über den drohenden „Bevölkerun­gsaustausc­h“und will wider alle diesbezügl­ichen Hinweise darin gar keinen rechten Kampfbegri­ff sehen. Währenddes­sen veröffentl­icht

die steirische Parteijuge­nd der Blauen einen Cartoon, in dem eine „einheimisc­he“Familie in grüner Tracht von finsteren Zuwanderer­n mit langer Nase, Bart und Buckel bedroht wird. Und Niederöste­rreichs Asyl-Landesrat Gottfried Waldhäusl schlägt Wellen bis nach Deutschlan­d mit seinen zehn Geboten, die auch FPÖ-Spitzenkan­didat Harald Vilimsky aufgreift: Muslime sind nämlich nicht nett zu Hunden.

Alles sehr eigenartig, könnte man meinen. Aber keine Angst: Wir fallen nicht besonders auf. In Europa ist es gerade vielerorts ziemlich sumpfig.

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