Schönes Land der Sumpfblüten
Österreich zeigt Europa seine ewiggestrige Seite – und fällt damit nicht einmal auf
Das Verhältnis der Österreicherinnen und Österreicher zur Europäischen Union war seit jeher zwiespältig – und zwiespältig sind auch die Aussagen, die in diesem EU-Wahlkampf aus den beiden Regierungsparteien kommen: Irgendwem wird’s schon passen.
Die FPÖ tut sich da vergleichsweise leichter als die ÖVP. In ihren Genen steckt auch bei ihrer vierten Regierungsbeteiligung auf Bundesebene das Oppositionelle: Im Zweifel „dagegen“zu sein (gegen was auch immer) kommt bei den freiheitlichen Wählern gut an. Und die EU-Wahl ist eine exzellente Gelegenheit, da einmal Dampf abzulassen. Gegnerschaft gegen die Regierung lässt die Parteiführung, anders als unter Rot-Blau, Schwarz-Blau I und SchwarzBlau II, ja nicht einmal in Ansätzen zu.
Umso forscher kann die FPÖ-Anhängerschaft gegen mangelnde Sicherheitsanstrengungen auf EU-Ebene und „überbordende“EU-Bürokratie vom Leder ziehen: Wer wäre denn nicht gegen „überbordende“Bürokratie? Eben.
Natürlich auch Bundeskanzler Sebastian Kurz nicht. Selbst sein nicht immer auf türkise Linie getrimmter Spitzenkandidat Othmar Karas würde „überbordende“Bürokratie nicht befürworten. Aus Sicht der Freiheitlichen ist es daher nicht angenehm, dass Kurz ihnen dieses Thema wegschnappt und offensiv das Subsidiaritätsprinzip anspricht, das ein grundsätzliches Anliegen der ChristlichSozialen ist und auch im Programm der Europäischen Volkspartei steht. Es hat halt ein anderes Gewicht, wenn der Bundeskanzler das Thema aufgreift. iesen kann der Juniorpartner der Koalition auch nicht direkt angreifen, noch dazu, wo Sebastian Kurz in der Kanzlerfrage mit aktuell 38 Prozent einen um ein Vielfaches besseren Wert als der freiheitliche Vizekanzler Heinz-Christian Strache erzielt; der muss sich mit neun bis zehn Prozent begnügen. Daher schießen sich die Freiheitlichen ersatzweise auf Othmar Karas ein. Der ist ein ausgewiesener Vertreter der europäischen Einigung, die ein großes Anliegen der Bevölkerungsmehrheit ist, aber gleichzeitig auch eine bedeutende Minderheit mit Sorgen erfüllt. Gelingt es den Freiheitlichen, diese Minderheit zu mobilisieren, schaden sie der ÖVP, die sowohl bürgerliche EU-Euphoriker als auch bürgerliche EU-Skeptiker für die angestrebte relative Stimmenmehrheit brauchen wird.
Und am Tag danach? Kann man dann einfach zur Tagesordnung zurückkehren? Man wird das wahrscheinlich tun müssen, vielleicht mit verändertem Personal. Karoline Edtstadler wird ja jedenfalls aus ihrer heutigen Staatssekretärsfunktion ausscheiden, was Gelegenheit für eine etwas größere Regierungsumbildung bieten könnte – egal ob Edtstadler für ihren Wahleinsatz mit einem EU-Posten oder mit einem Ministeramt belohnt wird.
Allerdings: So kuschelig, wie es die ersten 500 Tage in dieser Koalition gewesen ist, wird es wohl nicht mehr werden. Das von Rot-Schwarz gewohnte kleinliche Hickhack könnte eine türkis-blaue Renaissance erleben.
DÖsterreich wird von höflichen Menschen bewohnt. Sogar Polizisten wissen sich in jeder Situation zu benehmen. Ganze zwölf Minuten warteten sie etwa, bis Martin Sellner, Chef der rechtsextremen Identitären, seine Haustür öffnete. Zwar hörten sie zuvor Rumoren in der Wohnung, klopften „beharrlich“und „ersuchten verbal“um Öffnung der Tür – aber gewaltsam hineingehen, nein, so etwas tut man einfach nicht. Das soll uns einmal jemand nachmachen. Jene, die behaupten, bei Abschiebungen werde viel weniger umund vorsichtig vorgegangen, sind nur Neider von Innenminister Herbert Kickl.
Was man in Österreich auch nicht tut: Als Rektor der FH Joanneum in Graz eine Bachelorarbeit ablehnen, die sich mit Rassentheorien beschäftigt. Denn, immerhin, die Arbeit war ja formal korrekt durchgeführt! Und so etwas wie Unruhe, Aufruhr, gar Diskussion – das brauchen wir gar nicht!
Diese beiden Vorfälle, über die der Standard berichtet hat, sind nur zwei von vielen Sumpfblüten, die in diesem schönen Land derzeit an die Oberfläche drängen und auf ihr treiben. Ein paar einschlägige Ereignisse der vergangenen Tage und Wochen:
Den bereits erwähnten Martin Sellner hat offenbar mehr mit dem Attentäter von Christchurch in Neuseeland verbunden als eine bloße Geldspende desselben. Zumindest hat man höflich, wenn nicht sogar freundlich, hinund hergemailt. er Maler Manfred „Odin“Wiesinger, bekannt als Haus-undHof-Künstler der politischen Rechten, wird von der FPÖ in den Kulturbeirat des Landes Oberösterreich gesetzt. Wiesinger malt gerne Schlachtfelder, Soldaten mit Stahlhelm und säbelschwingende Burschenschafter. Gerne auch Motive aus der nordischgermanischen Mythologie. Den Protest der Oppositionsparteien gegen sein Avancement bezeichnet der Maler als „rot-grüne Menschenjagd auf mich“. Wiesinger, Lieblingsmaler von Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ), ist übrigens bei der schlagenden pennalen Burschenschaft Scardonia, die an diesem Wochenende ihren 55. Burschentag in Schärding begeht. Mit „Stadtplatzschoppen“und „Jahn-Ehrung“und Festkommers: Da ist mächtig was los im schönen Schärding.
Apropos rechte Treffen: Auch der
DSüden Österreichs hat da einiges zu bieten, zum Beispiel das faschistische „Ustascha“-Treffen in Bleiburg in Kärnten, wo alljährlich bis zu 10.000 Menschen des faschistischen Ustascha-Regimes im Kroatien der 1940erJahre gedenken und einige von ihnen dabei ebenso regelmäßig am Verbotsgesetz entlangschrammen.
Dazwischen schwadroniert der Vizekanzler der Republik, Heinz-Christian Strache (FPÖ), über den drohenden „Bevölkerungsaustausch“und will wider alle diesbezüglichen Hinweise darin gar keinen rechten Kampfbegriff sehen. Währenddessen veröffentlicht
die steirische Parteijugend der Blauen einen Cartoon, in dem eine „einheimische“Familie in grüner Tracht von finsteren Zuwanderern mit langer Nase, Bart und Buckel bedroht wird. Und Niederösterreichs Asyl-Landesrat Gottfried Waldhäusl schlägt Wellen bis nach Deutschland mit seinen zehn Geboten, die auch FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky aufgreift: Muslime sind nämlich nicht nett zu Hunden.
Alles sehr eigenartig, könnte man meinen. Aber keine Angst: Wir fallen nicht besonders auf. In Europa ist es gerade vielerorts ziemlich sumpfig.