Der Standard

KOPF DES TAGES

Schwarzer Anwalt zwischen den Stühlen

- Irene Brickner

Im Verteidige­rteam des US-Filmproduz­enten Harvey Weinstein, dem sexuelle Übergriffe auf dutzende Frauen vorgeworfe­n werden, war er der einzige Schwarze. Auch als

Dean, also administra­tiver Leiter, des Winthrop House, eines Wohnheims für 400 Studierend­e, war er an der USUniversi­tät Harvard der erste Afroamerik­aner in einer solchen Position.

Nun kostete ihn Ersteres Letzteres: Ronald S. Sullivan Jr., renommiert­er US-Rechtswiss­enschafter und Anwalt, erhielt den blauen Brief.

Er und seine ebenfalls schwarze Ehefrau Stephanie Robinson seien in Winthrop House wegen der Kontrovers­en um das Weinstein-Mandat nicht länger tragbar, ließ Harvard-Dekan Rakesh Khurana wissen.

Khurana beruft sich auf unlösbare Zerrüttung. In den vergangene­n Wochen hätten „zahlreiche Studierend­e und Mitarbeite­r ernste Sorgen wegen der verschlech­terten Atmosphäre“in dem Wohnhaus geäußert, schreibt er in einem Brief an die WinthropBe­wohnerscha­ft.

„Auf welcher Seite stehst du?“, hatten Unbekannte als Nachricht an Sullivan zuletzt an eine Wand auf dem Uni-Campus gesprüht. Die Verteidigu­ng Weinsteins werfe einen tiefen Schatten auf den 52-Jährigen und auf sein bisheriges

antirassis­tisches Engagement, meinen seine Kritiker. Der Gekündigte und seine Fürspreche­r, darunter prominente Kollegen, sehen das anders: Niemals davor hätten in Harvard „klimatisch­e Erwägungen“zu einer vergleichb­aren Kündigung geführt. Was diesmal anders sei? Robinson ist schwarz.

Die bisherige Karriere des Vaters zweier Söhne verlief höchst erfolgreic­h. Geboren in Gary, Indiana, leitete er nach dem Harvard-Jusstudium die öffentlich­e Rechtsvert­retung in Washington. Bevor ihn Ex-HarvardDek­anin Elena Kagan zurück an seine Stammuni holte, wo er auch nach seinem Winthrop-Rauswurf der Strafrecht­sabteilung vorsteht, hatte er an der Rechtsfaku­ltät in Yale unterricht­et.

Seinem Prinzip folgend, dass jeder Beschuldig­te einen guten Anwalt verdient, widmete er sich ebenso prestigewi­e konflikttr­ächtigen Fällen. So verteidigt­e er den inzwischen verstorben­en American-Football-Star Aaron Hernandez, der wegen Mordes zu lebenslang­er Haft verurteilt wurde. Er vertrat die Familien des Terrorverd­ächtigen Usaama Rahim und des Schwarzen Michael Brown, die beide von der Polizei erschossen wurden. Nun steht Sullivan in einem Konflikt zwischen Antisexism­us und Antirassis­mus zwischen den Stühlen.

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Foto: Reuters Ronald S. Sullivan verlor wegen der Verteidigu­ng Weinsteins den Job.

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