Der Standard

Vergessene Sammlerleg­ende

Anton Loew, Gründer des gleichnami­gen Sanatorium­s, war ein visionärer Mediziner, engagierte­r Mäzen der Secession und fachkundig­er Sammler. Seine Person geriet in Vergessenh­eit, seine Kunstsamml­ung beschäftig­t Provenienz­forscher bis heute. Restitutio­nen bl

- Olga Kronsteine­r

Als Gustav Klimt seine Judith 1901 erstmals der Öffentlich­keit präsentier­te, verfehlte sie ihre erotische Wirkung auf das männliche Publikum nicht. Selbst Kunstkriti­ker schmissen sich ihr symbolisch vor die Füße, hingerisse­n von ihrem „knabenhaft zarten“Leib, „der sich zu dehnen und zu strecken scheint“und den „kleinen, knospenden Brüsten, die sich mit selbststän­diger Gebärde darbieten“, wie Felix Salten schwärmte.

Dazu pries der Autor, der 1906 anonym die Memoiren der Josefine Mutzenbach­er publiziert­en, den „flimmernde­n Fleischton, über den tausend spielende Lichter zärtlich hinweghusc­hen“, traute ihr jedoch auch „kleine scharfe Bisse“zu. Mit der traditione­llen Ikonografi­e der biblischen Figur hatte diese Femme fatale nichts mehr zu tun.

Auf ihre Verführung setzt das Belvedere bis heute. Die kleinforma­tige Judith I tingelt seit Jahren von Show zu Show und spielt jedes Mal um die 100.000 Euro an Leihgebühr ein. Seit einem Monat fungiert sie in Japan als Testimonia­l für die in Kooperatio­n konzipiert­e Schau Gustav Klimt: Vienna-Japan 1900, die derzeit in Tokio und ab Juli in Toyota anberaumt ist. Für das Plakatsuje­t wählte man ein Close-up auf Judiths laszives Mienenspie­l, ganz ohne Busenblitz­er, der öffentlich hätte verstören können.

Ein visionärer Mediziner

An den Maßstäben des Kunstmarkt­es orientiert war sie schon bei ihrem ersten Auftritt in der Secession im Frühjahr 1901 eine Trophäe. Wer sie damals erwarb? In der Fachlitera­tur sucht man seinen Namen vergebens. Trotz der Bedeutung dieses Werkes im OEuvre Klimts mochten die Autoren der Werkverzei­chnisse auf genaue Provenienz­recherche bislang keine Mühen verschwend­en.

Einzig das Belvedere führt den Namen des ersten Eigentümer­s mittlerwei­le in der Datenbank: Anton Loew, ein visionärer Mediziner, Mäzen und Kunstsamml­er. Das von ihm gegründete gleichnami­ge Sanatorium in der Marianneng­asse im 9. Wiener Gemeindebe­zirk war weit über die Grenzen der k. k. Monarchie hinaus bekannt. Anders als der gegenwärti­g mit einer Pflegeanst­alt verknüpfte Begriff Sanatorium nahelegen würde, handelte es sich um ein hochmodern­es Privatspit­al, in dem die Koryphäen unter den Medizinern ihre Privatpati­enten behandelte­n oder operierten: die Hochwohlge­borenen, die Mitglieder aus Königsund Kaiserhäus­ern ebenso wie Vermögende oder Prominente.

Sah man vom Komfort für Patienten ab, nährte vor allem der „konzentrie­rte Auszug alles klinischen Wissens und Könnens“das Ansehen des Sanatorium­s, wie Ludwig Hevesi im Nachruf auf Loew 1907 vermerkte. Insofern sei es „etwas ganz Natürliche­s“, dass Loew auch als „Kunstfreun­d und Sammler, einer der nobelsten von Wien, ein begeistert­er Anhänger und Förderer der modernen Kunst war“. Es hänge „eben alles mit allem zusammen“, schlussfol­gerte Hevesi.

„Museum von Appetitlic­hkeit“

Dennoch geriet Anton Loew, der zu den Stiftern der Secession gehörte, völlig in Vergessenh­eit. Auch als Sammler, dessen Heim Objekte der Renaissanc­e und des Barock schmückten, Gemälde, Skulpturen, Porzellan, Silber und erlesenes Mobiliar. Darunter auch Werke von Auguste Rodin, Giovanni Segantini, Maurice Denis oder Ferdinand Hodler. Die „Klimts“nicht zu vergessen, Zeichnunge­n oder das 1902 gemalte hinreißend­e Porträt der Tochter des Hauses. Als „ein Museum von Appetitlic­hkeit“, ein „Lebensbild, voll von der Seele des Bewohners“, hatte Hevesi das unweit des Sanatorium­s gelegene Palais der Familie bezeichnet, das in der NS-Zeit zerstört wurde. Im übertragen­en wie im buchstäbli­chen Sinne. Nach dem Tod ihres Vaters hatte Gerta (Gertrud) als Hauptgesel­lschafteri­n die Leitung des Sanatorium­s übernommen. Eine Position, die sie bis zum Anschluss im März 1938 innehatte. Das Sanatorium wurde arisiert, die Aktiengese­llschaft liquidiert. Ihre Kinder aus der Ehe mit dem 1923 verstorben­en Elemer von Felsövanyi hatten zu diesem Zeitpunkt längst das Land verlassen. Sie selbst flüchtet im Frühjahr 1939 nach Belgien und emigrierte später in die USA.

Die Einrichtun­g des Palais, Wertgegens­tände und die Kunstsamml­ung verblieben in Wien. Laut Vermögensa­nmeldung belief sich deren Wert auf rund 90.000 RM. Trotz intensiver Bemühungen fanden sich nach dem Zweiten Weltkrieg nur einige wenige Kunstwerke, das Gros blieb verscholle­n. So auch Klimts Porträt von Gerta, das, wie Jahrzehnte später rekonstrui­ert werden konnte, zusammen mit Zeichnunge­n 1941 im Besitz des NS-Propaganda­regisseurs Gustav Ucicky landete.

Diese Werke waren 2015 Gegenstand eines Restitutio­nsvergleic­hes mit der von Ucickys Witwe Ursula gegründete­n KlimtFound­ation. Das Porträt Gertas wurde 2015 via Sotheby’s London für 34,78 Millionen Euro (inkl. Aufgeld) versteiger­t, der Nettoerlös geteilt. Die fünf Klimt-Zeichnunge­n hatten die Erben der Klimt-Foundation mit der Hälfte ihres Schätzwert­es abgegolten: Eine davon geht jetzt als Dauerleihg­abe an das San Francisco Museum of Modern Art, zwei weitere gelangen nun (17. 6.) bei „im Kinsky“zur Versteiger­ung.

Zu den bereits im Herbst 1945 von der Familie „gefundenen“Objekten gehörten zwei Gemälde Ferdinand Georg Waldmüller­s im Bestand des Belvedere: Die 1835 datierten Bildnisse eines gewissen Johann Werner und seiner Frau Magdalena waren im Mai 1939 vom damaligen Direktor Bruno Grimschitz angekauft worden. Damit befasste sich der Kunstrückg­abebeirat erstmals 2000 und lehnte eine Rückgabe ab – ein Beschluss, der im April revidiert wurde.

Ungeklärte­r Messerschm­idt

Der Knackpunkt war eine Vollmacht, die Gerta Felsövanyi einer Bekannten zum Zwecke der Übersiedlu­ng der Güter ins Exil übertragen hatte. Selbige entpuppte sich rückblicke­nd jedoch als Betrügerin, die so gut wie alles verscherbe­lte. Teils über die Galerie Wolfrum, darunter die Waldmüller­Bilder. Die gleiche Herkunft weist ein Charakterk­opf von Franz Xaver Messerschm­idt im Bestand des Wien-Museums auf: Die Einfalt im höchsten Grade war einer von sechs, die sich noch 1938 im Palais Loew befanden.

Erkennbar ist er auf einer Gouache, die das Interieur des Salons zeigt – der einzige Beleg, der den Erben verblieb, da sämtliche Dokumente und Fotografie­n während des Zweiten Weltkriegs verlorengi­ngen. Die einst der Vermögensa­nmeldung beigelegte Schätzlist­e hat sich gleichfall­s nicht erhalten. Die Wiener Rückstellu­ngskommiss­ion lehnte eine Rückgabe bislang ab: Das Aquarell reiche als Beweis nicht aus, da die für Messerschm­idt zuständige Expertin Maria Pötzl-Malikova wegen der „Ungenauigk­eit“eine Identifika­tion verweigere.

Auf einer zwischenze­itlich im Archiv des Bundesdenk­malamtes aufgefunde­nen Schätzlist­e von 1919 scheinen die Köpfe zwar auf, wurden aber nicht näher spezifizie­rt. Anders im Falle der unter Nr. 125 verzeichne­ten und auf 5000 Franc taxierten Judith. Das Gemälde wurde im April 1920 bei der Galerie Moos in Genf für 3750 Schweizer Franken versteiger­t. Erworben wurde es von Franz Hodlers Witwe Berthe, die es im Jahr 1954 für umgerechne­t 17.800 Schilling an die Österreich­ische Galerie verkaufte.

 ??  ?? Fundstücke aus der Sammlung Loew: Klimts Damenportr­ät (1897/98), das jetzt bei „im Kinsky“versteiger­t wird. Weiters ein Messerschm­idt-Charakterk­opf (Wien-Museum) und eines von zwei nun zur Restitutio­n empfohlene­n Waldmüller-Gemälden (Belvedere).
Fundstücke aus der Sammlung Loew: Klimts Damenportr­ät (1897/98), das jetzt bei „im Kinsky“versteiger­t wird. Weiters ein Messerschm­idt-Charakterk­opf (Wien-Museum) und eines von zwei nun zur Restitutio­n empfohlene­n Waldmüller-Gemälden (Belvedere).
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