Carlsen setzte ein Zeichen
Der Schachzirkus tingelte auf seiner Grand Chess Tour bis an die Elfenbeinküste. Es war eine bizarre Premiere: Zum ersten Mal spielte ein amtierender Weltmeister auf dem afrikanischen Kontinent eine offizielle Turnierpartie.
Yinka Shonibare hatte vor fünfzehn Jahren eine denkwürdige Ausstellung in der Kunsthalle Wien. Der englisch-nigerianische Künstler kleidete Figuren aus bekannten Szenen aus dem Rokoko in Dutch Wax, in Stoffe mit grellen Mustern, die wir gerne für typisch afrikanisch halten. Shonibare erzeugte durch die Verkleidung einen erstaunlichen Effekt: Auf einen Blick machte der Künstler deutlich, wie verstellt nach wie vor die Vorstellung ist, dass Menschen aus Afrika den Platz der Dandys und Gentleladies aus Europa einnehmen könnten.
Die Schachwelt hätte längst einen Yinka Shonibare gebraucht. Wir schreiben das Jahr 2019, und vorige Woche geschah es doch tatsächlich zum allerersten Mal, dass ein amtierender Schachweltmeister eine offizielle Partie in Afrika spielte. Beim kombinierten Schnell- und Blitzturnier in Abidjan, der größten Stadt der Elfenbeinküste, nahm der Norweger Magnus Carlsen teil und setzte allein mit seiner Teilnahme ein wichtiges Zeichen.
Es fanden schon internationale Schachturniere in Afrika statt, das Interzonenturnier in Tunesien am Ende der 60er-Jahre, Kasparow gab auch einige Simultanvorstellungen in Ländern südlich der Sahara, aber das Antreten Carlsens bedeutete eine Premiere. Sie war aufsehenerregend, da sie deutlich machte, wie ungleichgewichtig verteilt die Güter, auch die immateriellen, auf diesem Planeten sind. Die Schachwelt ist wie der Reichtum auf der nördlichen Hemisphäre des Planeten
konzentriert. Die kleine Welt des Schachspiels ist hier Zerrspiegel der Welt im Großen, sie ist aber auch Seismograf der Veränderungen. Und es ändert sich etwas, wie man sieht, langsam, sehr langsam, aber doch.
Das Turnier selbst verlief erwartungsgemäß, doch nur fast. Der Norweger gewann zwar die kombinierte Wertung dank seiner erdrückenden Überlegenheit in den Schnellpartien. Bei den Blitzpartien fand er allerdings in Maxime VachierLagrave seinen Meister. Dem 28-jährigen Franzosen gelang es, Carlsen zweimal beim Blitz zu besiegen. Hier jedoch der glänzende Sieg des Weltmeisters gegen seinen Rivalen bei den Schnellpartien, ein zerebrales Kunstwerk in 20 Minuten.
Carlsen – Vachier-Lagrave 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Le3 Neben 6.Lg5 und 6.Le2 der beliebteste Zug im NajdorfSizilianer. 6… Sg4 Stört die weißen Absichten. 7.Lg5 h6 8.Lh4 g5 9.Lg3 Lg7 Diesen dynamischen schwarzen Aufbau pflegte Garri Kasparow schon vor mehr als zwanzig Jahren. 10.Dd2 Sc6
11.Sb3 Schlagen oder andere Abzüge sind schlechter.
11… Le6 Auch mit 11… b5 oder 11… Sge5 erreicht Schwarz gutes Spiel. 12.h4 Nach 12.f3 Sge5 13.Sd5 b5 hat Schwarz keine Schwierigkeiten. 12… gxh4 Riskanter sieht 12... Tg8 13.hxg5 hxg5 14.f3 Sge5 15.Sd5 b5 aus. 13.Lxh4 b5 Öfter wurde 13... Tc8 14.f3 Sge5 15.Sd5 versucht. 14.f4 Gut für Schwarz ist 14.f3 Sge5 15.Lf2 Lc4. 14... b4 Aggressiver als 14… Tc8. 15.Sa4! Deckt b2 und verwehrt der schwarzen Dame das Feld b6. 15… Dc7 16.0–0–0 Tb8 17.Kb1 Sa5 Mit 17… a5 nebst Ld7 hätte Schwarz ausgeglichen. 18.Sxa5 Noch stärker war 18.Sd4 Ld7 19.Sf5 Lf5 20.b3. 18... Dxa5
19.b3 Dc7 20.Le2 Droht f4f5, doch auch das mutige 20.Lxa6 hatte viel für sich.
20... h5 21.f5 Noch immer bot sich 21.Lxa6 Ld7 22.Dd3 an, doch Carlsen plant anderes. 21... Ld7 22.Lxg4 hxg4 23.Dg5! Mit dieser Doppeldrohung gewinnt Weiß einen Bauern. 23… Lf6 24.Dxg4 Lxa4 25.Lxf6 Und nicht 25.bxa4? Txh4 26.Txh4 Tc8 mit schwarzer Gewinnstellung. 25... Txh1 26.Txh1 exf6 27.bxa4 Ke7 Nach forcierter Zugfolge entsteht ein mittelspielartiges Endspiel, in dem der weiße Mehrbauer noch keine Rolle spielt. Das Belagern schwacher Punkte beginnt.
28.Df3 Tc8 29.Dd3 a5 30.Td1 Tg8 31.De2 Nach 31.Df3, um Tg3 zu verhindern, hat Schwarz 31… Tc8 32.De2 Dc3 und Weiß kommt nicht recht weiter.
31... Tg3 32.Df2 Ta3 33.g4 Ein Versuch mit Falle. 33…
Txa4? Schwarz fällt darauf herein und stellt den Turm ins Abseits. Mit 33... Dc5 34.Dxc5 dxc5 35.Td5 Tc3 war die Partie zu halten. 34.g5! Die Strafexpedition.
34… fxg5 Zu spät kommt 34... Ta3 35.gxf6+ Ke8 (35… Kxf6 36.Dh4+ wird matt) 36.De2. 35.f6+ Ke8 Auch 35... Kd7 36.e5 Dc4 37.Da7+ Ke6 38.De7+ Kf5 39.Dd7+ Kg6 40.Dxa4 endet im Desaster. 36.De2?! Alles klar machte 36.Th1 Kd7 37.Df5+ Kc6 38.Th8. 36... b3?! Zäher war 36... Dc6 37.Dh2 b3 38.axb3 Txe4 39.Dh7. 37.axb3 Tb4 38.e5! Öffnet noch einmal mit Vehemenz die Stellung. 38...
dxe5 Einen Versuch war noch 38… Dc6 mit der Idee De4 wert, doch Weiß spielt 39.Dh5. 39.Td5 Jetzt kann sich der König nicht mehr retten. 39… Kf8 Nach 39... Tb6 gewinnt 40.Dh2 Txf6 41.Txe5+ Kd7 42.Te7+ Kxe7 43.Dxc7+. 40.Dh5
Noch schneller ging 40.Dd3. 40... Th4 41.Dxg5 Th7 42.Dd2
1-0 wegen 42… Ke8 43.Txa5.