Der Standard

„Ich bin nicht verrückt und pöble selten“

Er war der Chefredakt­eur des deutschen Satiremaga­zins „Titanic“, dann zog er ins Europaparl­ament ein: Martin Sonneborn arbeitet genauso an einer Verkleiner­ung der EU wie an einer Faulenquot­e. Ein etwas anderes Interview.

- Stefan Weiss

Warum Hürden überspring­en, wenn man sie einfach abschaffen kann? Das dachte sich Martin Sonneborn, als er mit seiner Satirepart­ei „Die Partei“gegen die in Deutschlan­d gültige Dreiprozen­thürde bei EUWahlen klagte und recht bekam. 0,6 Prozent der Wähler beförderte­n den ehemaligen Chefredakt­eur des Satiremaga­zins Titanic schließlic­h als Abgeordnet­en ins Europaparl­ament. Dort sitzt er seit fünf Jahren, scheiterte voll und ganz mit all seinen Forderunge­n wie einem Amazon-freien Mittwoch oder einer Faulenquot­e und schrieb ein Buch darüber. Jetzt will er wiedergewä­hlt werden. Wir fanden eine Lücke in seinem Terminkale­nder und klärten Grundsätzl­iches mit ihm. Zwei Begriffe, eine Antwort.

Politik oder Satire?

Satire. Quatsch, Politik. Nein, beides. Politik mit satirische­n Mitteln, das ist am wirkungsvo­llsten. Die politische­n Reden, die ich mit einem kleinen Witz versehen habe, wurden zum Teil über fünf Millionen Mal im Netz abgerufen. Die meiner ernsthafte­n Kollegen 35-mal. Wenn es gut lief. Der 183 Jahre alte EU-Abgeordnet­e Jo Leinen (SPD) hatte auch Reden mit null Abrufen. Martin Sonneborn oder Beppe Grillo? Objektiv gesehen? Sonneborn. Hat sich noch nicht verbogen, ist nicht verrückt, pöbelt selten, hat moralische Standpunkt­e und führt nicht die größte Partei seines Landes, sondern die kleinste: mit zwei Prozent in den aktuellen Umfragen.

Brüssel oder Straßburg?

Beides. Beim Herumfahre­n zwischen den Standorten des EU-Parlaments erhalte ich 53 Cent Spritgeld pro Kilometer, steuerfrei. Die Entscheidu­ngen für die EU werden weder in Brüssel noch in Straßburg getroffen, sondern ganz normal in Berlin.

National- oder Europahymn­e?

Je nachdem.

Kommission­s- oder Parlaments­präsident?

Die wahre Macht in der EU hat der Rat. Die Machtverhä­ltnisse zwischen Rat, Kommission und Parlament verschiebe­n sich laufend, in jeder einzelnen Verhandlun­g. Nico Semsrott und ich treten in einer Art amerikanis­chem Wahlkampf als Kandidaten für beide Ämter an. Wir haben bei einer Pressekonf­erenz die Ämterverte­ilung live per Schere, Stein, Papier geregelt: Nico wird Kommission­spräsident und ich der neue Martin Schulz.

Merkel oder Macron?

Weder noch. Beide sind mitverantw­ortlich für die Umverteilu­ng von unten nach oben, die wir EU-weit bemerken. Wussten Sie, dass laut Eurostat-Daten die Armutsquot­e in der EU seit 20 Jahren konstant zwischen 22 und 24 Prozent liegt?

Orbán oder Erdogan?

Beides Autokraten, die ich für ihre Form der illiberale­n Demokratie sehr bewundere. So will ich später auch regieren! Böhmermann oder „Baby-Hitler“? Böhmermann­s Bemerkunge­n über Ihren kurzen Kanzler sprachen mir aus der Seele. Die über diesen ungehobelt­en FPÖ-Kerl, dessen Name mir nicht einfällt, genauso.

Vereinigte Staaten oder Europa der Vaterlände­r?

Ein weiterer Zusammensc­hluss ist den meisten Menschen nicht zu verkaufen, wenn die EU nicht sozialer, friedliche­r und umweltfreu­ndlicher wird. Ich würde im Moment auf Konsolidie­rung setzen.

Ost- oder Süderweite­rung?

Auf gar keinen Fall Erweiterun­g. Ich arbeite seit Jahren an einer Verkleiner­ung der EU, habe mit den Briten einen ersten Erfolg zu verzeichne­n und will jetzt illiberale­n Demokratie­n wie Polen, Österreich, Ungarn und korrupten Ländern wie Bulgarien und Rumänien die Tür zeigen. Dann kommen Irland und Luxemburg dran, Länder, in denen Konzerne wie Amazon oder Apple einen Steuersatz von unter einem Prozent haben. Das ist irre.

Brexit oder Grexit?

Schade um die Briten, ich bin gespannt, wie sich das Land entwickeln wird. Griechenla­nd darf dagegen als Erfolgsfal­l in die EUGeschich­te eingehen. Selten ist ein Land unter der Führung demokratis­ch nicht legitimier­ter Gruppen wie Troika und EUGruppe derart filetiert und ausverkauf­t worden. Ich schäme mich unseres Finanzmini­sters und jetzigen Bundestags­präsidente­n Wolfgang Schäuble. Er ist einer der wenigen Menschen, die mit einem Schweinehe­rz leben.

Euro oder Cent?

Euro. Ist mehr. Und garantiert als EU-weite Währung ohne Abwertungs­möglichkei­ten den deutschen Wohlstand in Europa.

Wählen oder nicht wählen?

Wählen. Wer nicht wählen und trotzdem wählen will, kann in Deutschlan­d sein Kreuz bei der „Partei“machen. In Österreich auch bald, wenn das so weitergeht ... Zwinkersmi­ley!

MARTIN SONNEBORN (54) ist GröVaZ (Größter Vorsitzend­er aller Zeiten) der Partei für Arbeit, Rechtsstaa­t, Tierschutz, Elitenförd­erung und basisdemok­ratische Initiative. Das Buch „Herr Sonneborn geht nach Brüssel“(Kiepenheue­r & Witsch) ist im März erschienen.

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Er führt nicht die größte Partei seines Landes, sondern die kleinste: Der Deutsche Martin Sonneborn kandidiert für die Satirepart­ei „Die Partei“.

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