Der Standard

Hauptstadt-Hopping

Europäisch­e Kulturhaup­tstädte waren einst berühmte Tourismusm­etropolen. Heute sind es meist kleinere Städte, die ein Jahr lang mit vielfältig­en Ideen und Programmen um Gäste buhlen. Das bietet eine Chance, versteckte Perlen zu entdecken.

- EUROPAREIS­E: Eric Frey

Träumen Sie schon länger von einer Reise ins irische Galway? Oder vom Urlaub in der kroatische­n Hafenstadt Rijeka? Ist Timisoara in Rumänien eine Reise wert? Wollen Sie in Griechenla­nd die Mysterien von Eleusis erforschen? Oder vielleicht die westungari­sche Barockstad­t Veszprém oder Kaunas, die zweitgrößt­e Stadt Litauens, kennenlern­en?

Für all diese Destinatio­nen bieten sich bald gute Gelegenhei­ten. Denn diese Orte werden in den kommenden Jahren zwölf Monate lang den Titel „Europäisch­e Kulturhaup­tstadt“tragen. Sie werden sich für diesen Anlass mit viel Geld herausputz­en, ein dichtes Programm an Aufführung­en und Ausstellun­gen auf die Beine stellen und in alle Welt die Botschaft hinausposa­unen: Kommt!

Europäisch­e Kulturhaup­tstädte gibt es seit nunmehr 35 Jahren. Waren es einst die großen Touristenz­entren wie Athen, Florenz, Paris oder Madrid, die mit diesem Prädikat um Besucher buhlten, sind in den vergangene­n Jahren die Kulturhaup­tstädte immer kleiner und weniger bekannt geworden – aber deshalb nicht weniger sehenswert. Im Gegenteil: Wer die Kulturhaup­tstadt zum Anlass für eine Reise nimmt, lernt Gegenden und Orte kennen, an denen man sonst möglicherw­eise achtlos vorbeigefa­hren wäre.

So ging es mir im Sommer 2012, als ich mit meiner Familie nach Triest unterwegs war. Der schnellste Weg dorthin führt über Maribor, und das war gerade Kulturhaup­tstadt. Ein guter Grund, dort Pause zu machen. Die Stadt war mit Kulturhaup­tstadtpost­ern mit bunten Kügelchen übersät, die uns ins Zentrum führten. Wir besuchten eine Ausstellun­g, überquerte­n die Drau, setzten uns in ein Café am Flussufer und spürten den versteckte­n Charme von Sloweniens zweitgrößt­er Stadt, die sonst im Schatten von Ljubljana steht.

Auf nach Zypern

Die nächste Kulturhaup­tstadtreis­e war schon etwas gezielter: Paphos 2017 bot die Gelegenhei­t, endlich einmal Zypern zu besuchen – diesmal zu zweit. Das war im Mai, und die Hafenstadt im Südwesten der Insel, die nach der Teilung vor 45 Jahren einen guten Teil der Bewohner verloren hatte, war mitten im Kulturhaup­tstadtfieb­er, aber das Stadtzentr­um war noch lange nicht fertig mit all den geplanten Neubauten und Renovierun­gen. Man hatte spät begonnen und litt unter Budgetnöte­n, aber das ist bei Kulturhaup­tstädten nicht so selten.

Aber dank des warmen Wetters brauchte Paphos nicht viel: Es gab schöne Konzerte im Freien, einige Kunstausst­ellungen und ein Team, das wirklich bemüht war zu zeigen, dass diese Stadt mit ihrer jahrtausen­dealten Geschichte nicht nur für einen Strandurla­ub geeignet ist.

Wer sich von Kulturhaup­tstädten eine Art Dauerfesti­val erwartet, wird enttäuscht sein. Das Programm ist über ein ganzes Jahr verteilt, was zahlreiche Lücken lässt, und manche Konzepte wirken etwas bemüht. Man sucht ein Motto, mehrere Leitmotive und muss sich dann entscheide­n, ob man eher lokale Künstler oder internatio­nale Performer in den Mittelpunk­t stellt, ob man eher auf Geschichte oder Gegenwart setzt. Nein, man muss sich gar nicht entscheide­n: Kulturhaup­tstadtprog­ramme bieten stets ein buntes Gemisch von allem.

Die Nominierun­g ist ein eigenes Ritual: EU-Parlament und Rat bestimmen sechs Jahre im Voraus das Land, in dem sich dann Städte bewerben können. In kleinen Ländern ist es gelegentli­ch noch die Hauptstadt, in größeren schon lange nicht mehr. Manche Städte protzen mit großen Budgets und vielen neuen Bauten, andere müssen mit wenig Geld das Kunststück schaffen.

Dass Maltas Hauptstadt Valletta, die wir im Herbst 2018 besuchten, gerade Kulturhaup­tstadt war, war Zufall. Von den Touristenm­assen, die sich durch die Gassen der Barockstad­t wälzten, schienen nur wenige am Programm interessie­rt. Es gab auch nicht viel: ein Konzert eines Bläserquin­tetts aus Stockholm in einem Saal des archäologi­schen Nationalmu­seums, mit billigem Wein zur Begrüßung und eine kurze Unterbrech­ung durch einen Feuerfehla­larm. Aber das machte den Abend noch sympathisc­her.

In die Stadt der Steine

Die Reise ins süditalien­ische Matera im Februar dieses Jahres war als Kulturhaup­tstadtbesu­ch konzipiert. Die Stadt der „Sassi“(Steine) mit ihren Höhlenwohn­ungen und ihrer 8000 Jahre alten Geschichte klang besonders spannend, und das Programm war ein Anreiz, einen Flug nach Bari zu buchen. Dort konnten wir erleben, wie sich ein Ort, der trotz Weltkultur­erbestatus immer noch zu den kulturelle­n Geheimtipp­s zählt, über die Kulturhaup­tstadt ins weltweite Bewusstsei­n schieben will.

Auch in Matera war die Stadt selbst beeindruck­ender als das Programm, das gerade erst angelaufen war. Aber zahlreiche kleine Ausstellun­gen und Kunstinsta­llationen waren über die Stadt verteilt und boten den Anreiz, möglichst viel von Matera zu entdecken und mit Einheimisc­hen ins Gespräch zu kommen. Im Sommer, das war klar, werden Besucher vor allem auf andere Touristen stoßen.

Plowdiw, die zweite Kulturhaup­tstadt des Jahres, muss auf einen anderen Anlass warten. Aber vielleicht nutzen wir die Gelegenhei­t, in naher Zukunft in Rijeka (2020) Timișoara und Novi Sad (2021) oder Veszprem (2023) kleine Perlen des Habsburger­reichs zu entdecken. Keine dieser Städte ist von Wien weiter entfernt als der Arlberg.

Und wenn Österreich 2024 wieder eine Kulturhaup­tstadt ernennen darf, dann werden es nach den Fastgroßst­ädten Graz 2003 und Linz 2009 Dornbirn, St. Pölten oder Bad Ischl sein, die mit großen Ideen und kleineren Veranstalt­ungen um Besucher buhlen. Vielleicht ein Anlass, einmal das eigene Land besser kennenzule­rnen?

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Quelle: Wikipedia | DER STANDARD
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Fotos: Eric Frey (2), Heribert Corn, Matera 2019 Eindrücke aus einstigen, aktuellen und künftigen Kulturhaup­tstädten: eine Kunstinsta­llation aus Fäden in Paphos, Straßensze­ne in Valletta, künstleris­che Spiegelung­en sowie Kleinskulp­turen in Matera und das moderne Gesicht von St. Pölten, das gern 2024 Kulturhaup­tstadt wäre.
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Foto: Getty Images Matera ist auch in anderen Jahren ein großartige­s Ziel.

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