Der Standard

Aufschub für Komapatien­t Lambert

Ein Gericht hat die Ärzte angewiesen, die bereits abgeschalt­eten Pflegeappa­rate wieder zu aktivieren

- Stefan Brändle aus Paris

Spektakulä­re Kehrtwende im Fall Vincent Lambert, der Frankreich seit über zehn Jahren in Atem hält: Aufgrund eines Gerichtsen­tscheids von Montagaben­d muss das Universitä­tsspital Reims die lebenserha­ltende Behandlung des Patienten wieder aufnehmen. Das Ärzteteam hatte am Montag bereits mit dem Abschalten der Apparate begonnen, nachdem die französisc­he und europäisch­e Justiz dafür durch alle Instanzen grünes Licht gegeben hatten. Lambert ist nach einem Autounfall im Jahre 2008 querschnit­tsgelähmt

und auf sein vegetative­s Nervensyst­em reduziert.

Seine Frau Rachel erklärte, der heute 43-jährige Psychiatri­epfleger habe sich mündlich mehrfach gegen lebensverl­ängernde Maßnahmen im eigenen Fall ausgesproc­hen. Vincents Mutter Viviane kämpft hingegen seit einem Jahrzehnt für das Überleben ihres Sohnes. Jahrelang blitzte die praktizier­ende Katholikin ab: Die Gerichte bezeichnet­en die Behandlung als „therapeuti­sches Beharren“. Am Montag begann die auf einige Tage angesetzte und vom Patienten nicht wahrgenomm­ene Abschaltun­g der Ernährung.

In einem letzten Verzweiflu­ngsakt gelangte sie an ein Pariser Gericht, weil das Behinderte­nkomitee der Uno Ende April einen Aufschub zwecks eingehende­r Fallprüfun­g angeregt hatte. Zur allgemeine­n Überraschu­ng empfahl das Pariser Gericht am Montagaben­d, den Sachentsch­eid des Uno-Komitees abzuwarten. Völkerrech­tler sind sich uneins, wie verbindlic­h der Uno-Befund ist.

Eine zeitgleich stattfinde­nde Kundgebung mit Lamberts Eltern feierte den Entscheid wie einen Fußballsie­g. Viele der gegen Sterbehilf­e und Abtreibung engagierte­n Vertreter christlich­er Verbände skandierte­n „on a gagné“(Wir haben gewonnen). Dagegen verurteilt­e ein Neffe Lamberts, der mit dessen Frau für die „Erlösung“des unheilbar Verletzten eintritt, das medizinisc­he Hin und Her als „puren Sadismus“.

Diese Reaktionen zeugen von der Leidenscha­ft, die der Fall Lambert in Frankreich seit Jahren weckt. Aktive und passive Sterbehilf­e sind in dem zwar laizistisc­hen, aber immer noch sehr katholisch­en Land verboten. In einer Umfrage sprachen sich allerdings über 90 Prozent der Befragten für die Zulassung gewisser Formen der Euthanasie aus.

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