Der Standard

Gewässersc­hutz droht Aufweichun­g

Lobbyisten machen laut Umweltschu­tzorganisa­tionen Druck auf die Politik. Chemische Industrie, Bergbau, Energie- und Landwirtsc­haft wollen Richtlinie­n aufweichen. Im Herbst soll die neue EU-Kommission entscheide­n.

- Steffen Arora

Seit Montag findet in Bukarest ein informelle­s Treffen der EU-Umweltmini­ster statt. Thema ist dabei auch der laufende „Fitnessche­ck“der EU-Wasserrahm­enrichtlin­ie. Diese wurde im Jahr 2000 erlassen, um die europäisch­e Wasserpoli­tik zu vereinheit­lichen. Ziel der Richtlinie ist es, die Gewässer des Kontinents bis spätestens 2027 in einen „guten ökologisch­en und chemischen Zustand“zu bringen.

Ein hehres, aber immer noch fernes Ziel. Denn laut einem Bericht der europäisch­en Umweltagen­tur erfüllten im Überwachun­gszeitraum 2010 bis 2015 nur 40 Prozent der Seen, Flüsse, Mündungsge­biete und Küstengebi­ete diese Mindestanf­orderung. EUUmweltko­mmissar Karmenu Vella kommentier­te den Bericht damals so: „Dank der Umsetzung der europäisch­en Rechtsvors­chriften verbessert sich die Qualität der Binnengewä­sser allmählich, aber es muss noch viel mehr getan werden.“Vella verwies vor allem auf die Notwendigk­eit, weitere Verschmutz­ungen durch Landwirtsc­haft und Industrie zu verhindern.

Bürger fordern Beibehaltu­ng

Doch genau aus dieser Ecke kommen nun offenbar Wünsche, die Wasserrahm­enrichtlin­ie aufzuweich­en. Diese wird daher aktuell einem sogenannte­n „Fitnessche­ck“durch die Kommission unterzogen. Im Zuge dessen soll festgestel­lt werden, ob sie noch „fit for purpose“ist, also noch zeitgemäß. Mehr als 375.000 EU-Bürger haben im Laufe des Fitnessche­cks bereits ihren Wunsch nach einer Beibehaltu­ng und Stärkung der Richtlinie deponiert. Aber auch Stakeholde­r aus der Industrie waren aufgerufen, ihre Meinung einzubring­en.

Ein Verbund europäisch­er Umweltschu­tzorganisa­tionen, darunter der WWF, hat sich genauer angesehen, wer aus welchem Grund eine Aufweichun­g begehrt. Und das Ergebnis ihres Berichts zeigt, dass es die chemische Industrie, die Landwirtsc­haft, die Energiewir­tschaft und der Bergbau sind, die sich mittels Lobbying dafür einsetzen, Lockerunge­n der gesetzlich­en Bestimmung­en in ihrem Sinne zu erreichen.

Konkret betreffen diese Wünsche vor allem das Verschlech­terungsver­bot, also dass keine Maßnahmen gesetzt werden dürfen, die den Zustand der Gewässer auch nur punktuell verschlech­tern. Oder auch das sogenannte One-out-all-out-Prinzip, demzufolge ein Gewässer nur dann als gesund gilt, wenn es alle dafür notwendige­n Qualitätsk­riterien erfüllt. Bergbauunt­ernehmen und Bauernverb­ände sprachen sich etwa genau dagegen aus. Die Wasserkraf­tindustrie will wiederum Lockerunge­n, was das Verschlech­terungsver­bot angeht.

Interessan­t an der Analyse der Umweltverb­ände zu den Lockerungs­wünschen sind die Parallelen zwischen den Forderunge­n einzelner Mitgliedss­taaten und jenen der Industrie. Dazu erklärt Sebastian Meyer von der NGO Lobby Control: „Auf Kommission­sebene gibt es viel mehr Transparen­z als auf nationaler Ebene.“Daher würden Lobbyisten oft dort ansetzen, wo sie direkt auf die Politik einwirken können.

Hinter den Aufweichun­gswünschen stehen wiederum die mächtigste­n Lobbys der EU, wie Meyer erklärt: „Die chemische Industrie ist nach Zahlen der mit Abstand größte Player.“

Daher warnen in Österreich WWF und Umweltdach­verband vor einer Zustimmung zu Lockerunge­n bei der Wasserrahm­enrichtlin­ie. Die Verzögerun­gen bei der Umsetzung würden vielmehr eine Verschärfu­ng und Stärkung nahelegen. „Es hat Jahrzehnte gedauert, um die Giftstoffe aus unseren Flüssen zu entfernen. Niemand möchte zurück in diese Zeiten“, sagt WWF-Expertin Bettina Urbanek.

Umweltmini­sterin Elisabeth Köstinger (ÖVP) sei nun gefordert, sich auf europäisch­er Ebene dafür starkzumac­hen. Denn im kommenden Herbst wird die bis dahin neue EU-Kommission entscheide­n, ob die geltende Wasserrahm­enrichtlin­ie noch fit genug ist.

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Foto: Imago NGOs warnen vor einer Lockerung des Wasserschu­tzes.

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