„Kreativität lässt sich nicht automatisieren“
Markus Peschl hat als Innovationsforscher einen eigenen Zugang zum Thema Logistik. Er rät der Branche, die aktuell laufenden Umbrüche für radikale Innovationen zu nutzen, Optimieren allein sei zu wenig.
Wenn es um Innovationen geht, braucht es ein Denken aus der Zukunft heraus: So lautet die Empfehlung von Markus Peschl an die Logistikbranche. Er lehrt Innovationsforschung mit Schwerpunkt radikale Innovation und Kognitionswissenschaften an der Uni Wien. Als Wissenschafter hat er einen anderen Blick auf eine Branche, die sich derzeit im Umbruch befindet. Dies habe aber nicht nur zu positiven Erscheinungen geführt, sagt Peschl: „Es hat sich der Relativismus durchgesetzt. Alles spielt sich in großen Dimensionen ab, es gibt keine Regeln mehr, es gibt immer weniger Verbindlichkeit.“Es gehe nur noch darum, Geld zu verdienen, am besten in einer kapitalistischen Monokultur. „Wie Amazon und andere Logistiker operieren, ist brutal gesprochen, eine moderne Form der Sklaverei. Das führt zu einer Erosion von Ethik“, sagt der Wissenschafter. Technologie per se sei neutral, aber wie heute vielfach Technologie um der Technologie willen eingesetzt wird, gebe ihm nicht viel Anlass zu Hoffnung. Die Fragen nach Sinn und Inhalt sind seiner Meinung nach nahezu irrelevant geworden. Dennoch wolle er nicht schwarzmalen: „Ich sehe auch junge Unternehmen, die gegensteuern, die sind zwar in der Minderheit, aber eine Gegenbe,wegung ist deutlich erkennbar.“
Gestaltend agieren
In den vergangenen Jahren sei immerhin sehr viel neues Wissen in die Welt gekommen, sagt Peschl – dies sei die beste Voraussetzung für Innovationen in Unternehmen gerade in der Logistikbranche. Stichwort Automatisierung: Alles, was automatisierbar ist, wird in Zukunft auch automatisiert werden. Dies sei wirtschaftlich gesehen verständlich. Die Frage sei aber, „was machen wir mit dem frei werdenden Arbeitskräftepotenzial“. Einfache Jobs würden dadurch verlorengehen. Menschen mit geringerer Qualifikation hätten kaum noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Peschls Ansatz: „Den Menschen bilden und zu dem machen, was ihn ausmacht, nämlich ein geistiges Wesen zu sein, das autonom kreativ und gestaltend agiert. Denn Kreativität wird sich so bald nicht automatisieren lassen.“
Peschls wissenschaftlicher Fokus ist die radikale Innovation. Eine radikale Innovation ist eine Form von Innovation, die Dinge an der Wurzel verändert. Sie steht im Gegensatz zur inkrementellen Innovation. In diesem Fall werden Prozesse, Produkte oder eine Dienstleistung lediglich optimiert. Die Sache an sich bleibt die gleiche. Inkrementelle Innovationen sind wichtig, haben aber einen entscheidenden Nachteil: Sie verändern nichts fundamental. Bei radikaler Innovation hingegen muss man an der Wurzel ansetzen. „Radikal innovieren heißt, die Prämissen verstehen und verändern, auf denen ein Geschäftsmodell beruht. Um daraus die Frage abzuleiten: Was passiert, wenn ich das Geschäftsmodell verändere“, erklärt Peschl. Dies birgt ein hohes Risiko in sich, weil sich nicht voraussagen lässt, wie erfolgreich ein daraus resultierendes Produkt oder eine Dienstleistung sein wird.
Teil einer Kette
Man müsse in Ökosystemen denken: Ein Logistikdienstleister ist in seinem System ein kleines Glied in der Kette. Wenn er etwas verändert, kann er Schiffbruch erleiden, weil andere nichts verändern. 3D-Druck und Internet der Dinge gibt es bereits, doch so genau lässt sich nicht sagen, wohin diese Technologie führt.
Peschl: „In dieses Unbekannte muss ich hineininnovieren. Es geht darum, Potenziale auszuloten und zu verstehen. Ich muss lernen, aus der Zukunft heraus zu denken.“Das heißt, Dinge zu erkennen, obwohl sie noch nicht klar sichtbar sind. Peschl rät Logistikmanagern daher, dass sie alle ihre Partner bei geplanten Veränderungen miteinbeziehen und interdisziplinär agieren, wenn sie Veränderung als Chance begreifen. Dazu gehört auch eine Portion Fantasie und die Gabe, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Es braucht Empathie und die Bereitschaft, sich auf die Zukunft einzulassen, und den Willen, sie proaktiv zu gestalten.
CEOs wollen Kontrolle, und wenn sie die Zügel lockerer lassen, haben sie Angst, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Dafür hat Peschl Verständnis. Er empfiehlt „eine Balance zwischen klarem Standpunkt in der Gegenwart und Offenheit für die Zukunft. Sich nicht zuschütten lassen mit laufenden Aktivitäten um der Aktivität willen.“Denn radikale Innovationen bedingen ein dafür aufgeschlossenes betriebliches Umfeld, was die Frage aufwirft: Sind die heutigen Arbeitswelten geeignet, um radikale Innovationen hervorzubringen? Peschls Antwort ist ernüchternd: „In 80 bis 90 Prozent der Fälle: nein.“
Hemmnisse und Chancen
Dafür gibt es Peschl zufolge drei Gründe. Erstens: Die Menschen an den Arbeitsplätzen sind nicht vorbereitet. Es fehlt das Wissen, wie man an radikale Innovation herangeht und sie umsetzt. Zweitens: die Kultur in den betrieblichen Strukturen. Alles ist auf Optimierung ausgerichtet, auf Kontrolle und darauf, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Geld herauszuholen. Da bleibt kein Freiraum für Neues. Drittens: die Architektur der Arbeitswelten. Mitarbeiter in Großraumbüros arbeiten zu lassen, damit sie besser miteinander kommunizieren können, ist zwar lobenswert, aber schon lange nicht mehr ausreichend. Peschl: „In Firmen herrschen oft Silostrukturen, starke Hierarchien; diese sind für Innovation die Haupthindernisse.“