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Die Parteien sollten sich Alexander Van der Bellen zum Vorbild nehmen

- Günther Oswald

In den vergangene­n Tagen sind Dinge passiert, die einzigarti­g sind, die man selbst als gelernter Österreich­er nicht für möglich gehalten hätte. Wir haben ein Video gesehen, das einen potenziell korruption­sanfällige­n Vizekanzle­r der Republik zeigt. Ein Sittenbild, das selbst Kritiker der Freiheitli­chen für nicht möglich gehalten hätten. Erstmals in der Zweiten Republik wurde mit Herbert Kickl ein Minister des Koalitions­partners vom Bundeskanz­ler entlassen. Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik zieht sich eine Regierungs­partei aus Solidaritä­t mit ihrem gefeuerten Minister freiwillig aus der Regierung zurück. Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik steuern wir auf eine Regierung zu, die zumindest teilweise aus aktiven oder früheren Spitzenbea­mten bestehen wird.

Das alles ist starker Tobak. Es besteht aber kein Grund, eine „Staatskris­e“auszurufen, wie das SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner getan hat und wie das der Boulevard trommelt. Ganz im Gegenteil: Die aktuelle Situation zeigt eindrucksv­oll, dass die österreich­ische Verfassung selbst in derart aufgeheizt­en Phasen, wie wir sie derzeit erleben, funktionie­rt. Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen sprach von der „Eleganz und der Schönheit unserer Verfassung“. Dem ist nichts hinzuzufüg­en.

Beamte in die Regierung zu entsenden hat natürlich Schwächen. Sie wurden nicht, wie das sonst üblich ist, nach einer Wahl von einer gerade demokratis­ch legitimier­ten Partei nominiert. Das ist ein Schönheits­fehler, aber kein Drama. Der Nationalra­t kann sie als gewählte Volksvertr­etung jederzeit absetzen, sollte er mit ihnen oder ihrem Handeln nicht einverstan­den sein.

Und selbst wenn es zu einer reinen Expertenre­gierung käme, weil SPÖ und FPÖ Kanzler Sebastian Kurz unbedingt zu Fall bringen wollen, wäre das für eine Übergangsp­hase bis zu Neuwahlen eine bessere Option als der Verbleib der blauen Minister. Derzeit wäre alles besser als der Verbleib der blauen Minister. Die Uneinsicht­igkeit der Freiheitli­chen ist bemerkensw­ert, die jüngsten Auftritte von Kickl waren gespenstis­ch. Und offenbar gibt es einige Blaue, die sogar der Meinung sind, Strache könne wieder in die Politik zurückkehr­en, wenn er strafrecht­lich nicht verurteilt wird.

Die kommenden Wochen und Monate werden also weniger eine Gefahr für die Demokratie, sondern vielmehr für das politische Klima im Land. Aus strategisc­her Sicht sind die Überlegung­en von SPÖ und FPÖ natürlich zu verstehen. Sie wollen Sebastian Kurz die Kanzlerbüh­ne nehmen, auf der er sich – auch internatio­nal – als Staatsmann präsentier­en kann. Ein erfolgreic­her Misstrauen­santrag gegen den Kanzler wäre ein für alle sichtbarer Beleg für das Scheitern der der türkis-blauen Koalition. Und vor allem ein Beleg für das Scheitern des „neuen Stils“.

Alle handelnden Akteure sollten aber eines im Hinterkopf behalten: Es ist äußerst unwahrsche­inlich, dass eine Partei eine absolute Mehrheit erreicht. Nach der Nationalra­tswahl werden sich also zwei oder vielleicht sogar drei Parteien an den Verhandlun­gstisch setzen müssen, um eine Koalition auszuhande­ln. Auf verbrannte­r Erde verhandelt es sich aber schlecht.

Von der ruhigen und beruhigend­en Art und Weise, in der Alexander Van der Bellen diese Tage meistert, können sich andere Politiker einiges abschauen. Er ist ein Hort der Stabilität in dieser außergewöh­nlichen Zeit.

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